Auch nach fünf Jahren progressiver Koalition bleiben viele Baustellen in der LGBTIQA-Politik bestehen.
Ein schwuler Premierminister und ein schwuler Vizepremier an der Spitze einer Koalition, die sich über die Marschrichtung in gesellschaftspolitischen Dossiers einig ist: Vor fünf Jahren wirkte es so, als könnte sich Luxemburg zu einem progressiven Land wandeln, zu einem Vorreiter in Sachen Anerkennung und Stärkung der LGBTIQA-Rechte werden.
2018 steht das Großherzogtum lediglich an 18. Stelle im Länderranking der Europasektion der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (Ilga) und erhält nur 47 Prozent in dem Bewertungs-system der NGO. Ilga untersucht jedes Jahr die LGBTIQA-spezifischen Gesetze von 49 europäischen Ländern und erstellt ein Ranking. Schlechte Noten bekommt Luxemburg hier bei der Bekämpfung von Hassrede, der Anerkennung des Geschlechts von trans Personen, dem Asylrecht und der Wahrung der körperlichen Integrität von intergeschlechtlichen Personen.
Dabei hatte die Legislaturperiode eigentlich vielversprechend angefangen. Am 18. Juni 2014 stimmte das Parlament über die gleichgeschlechtliche Ehe ab und führte damit gleichzeitig ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Ehepaare ein. Ein Gesetzesprojekt, das bereits in der Regierungserklärung von 2009 vom damaligen Premierminister Jean-Claude Juncker mit den Worten „Glück lässt sich nicht exklusiv über klassische Strukturen und Einrichtungen definieren“ angekündigt wurde. Nach einer doch hitzigen Debatte, in der der ADR-Abgeordnete Roy Reding von „der Zerstörung der Insitution Ehe“ sprach, stimmten lediglich die ADR und der CSV-Abgeordnete Aly Kaes dagegen. Letzterer wird in einer CSV-Wahlkampfbroschüre, die vor wenigen Tagen an sämtliche Haushalte verteilt wurde, ironischerweise mit dem Satz „Der soziale Fortschritt kam noch nie leise daher“ zitiert.
Die Ehe ist nicht alles
„Die Möglichkeit zur gleichgeschlechtlichen Ehe ist natürlich positiv, aber da hatte man ja fast keine andere Wahl“, kommentiert Enrica Pianaro von der LGBTIQA-Beratungsstelle Cigale. „Auch auf europäischer Ebene wird immer sichtbarer, dass gleichgeschlechtliche Ehen anerkannt werden müssen.“ Anfang Juni hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Rumänien eine in Belgien geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe anerkennen muss – zumindest, was die Niederlassungsfreiheit angeht. Sonst sieht Pianaro wenig Veränderungen, die gesellschaftliche Stimmung im Land habe sich nicht unbedingt verbessert, die Gefahr eines Backlashs bestünde. „Dass der Premierminister schwul ist, schafft natürlich eine gewisse Sichtbarkeit. Aber die sickert nicht unbedingt in alle Kreise der Gesellschaft. Was ändert es für den 16-Jährigen, der in der Schule gemobbt wird, wenn der Premierminister schwul ist? Da bräuchte es schon konkrete Maßnahmen.“
In ihren Forderungen an die Parteien verlangt Rosa Lëtzebuerg, der Träger von Cigale, deswegen ein verstärktes Monitoring von Hate Speech gegen die LGBTIQA-Community im Netz und mehr Mittel für das Centre pour l’Egalité de Traitement. Auch in Schule und Ausbildung sollen Themen wie Homo- und Bisexualität, Trans- und Intergeschlechtlichkeit behandelt werden, um Schüler*innen schon früh für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu sensibilisieren. „Manche Menschen sind der Meinung, es gäbe für LGBTIQA-Personen keine Probleme mehr, weil es ja die gleichgeschlechtliche Ehe und die Möglichkeit zur Adoption gibt. In der Praxis stimmt das nicht – sogar die Menschen, die für diese Prozeduren zuständig sind, können homofeindlich agieren. Auch im Sozialbereich gibt es oft erschreckend wenig Wissen, weswegen wir dort verstärkt Schulungen anbieten. Uns wäre sehr wichtig, dass diese Wissensvermittlung in der Schule anfängt und in den Lehrplänen verankert wird“, so Pianaro.
Für das Unterrichtsministerium scheint das Thema nicht wirklich Priorität zu haben. Im vergangenen Oktober gab es dazu einen Reflexionstag in. Aus dem Bericht darüber geht hervor, dass es viele Lehrer*innen gibt, die sich mit trans, homo- oder bisexuellen Schüler*innen konfrontiert sehen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Wann und ob überhaupt – es zu einer sektoriellen Strategie für inklusive Erziehung kommt, ist ungewiss. Mit der Schaffung des Referenzzentrums für sexuelle und affektive Gesundheit gibt es jetzt zumindest eine Stelle, die bei der sexuellen Aufklärung für Diversität sorgen soll.
Baustellen ohne Ende
Die LGBTIQA-Politik der rot-blau-grünen Koalition ist vor allem von nicht enden wollenden Baustellen geprägt. Im Familienministerium wurde ein halber Posten geschaffen, um einen Aktionsplan für LGBTI auszuarbeiten. Der soll „demnächst“ vorgestellt werden, die zuständige Person war bis Redaktionsschluss allerdings nicht zu erreichen. Am 17. Mai 2017, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit (Idahot) stellte Justizminister Felix Braz ein Gesetzesprojekt vor, das die momentane juristische Prozedur, die trans Personen durchlaufen müssen, um eine Änderung ihres Namens und Geschlechts im Personenregister zu erlangen, durch eine einfache administrative Prozedur ersetzen soll. „Das ist sehr problematisch für die Betroffenen, die sich darauf verlassen, dass da ‚bald‘ etwas kommt. Grundsätzlich wäre es wichtig, dass auch die medizinischen Prozeduren wie Hormontherapie oder Operationen vereinfacht würden. Nicht einmal die Krankenkasse kann uns genau sagen, wie die Rückerstattung funktioniert“, erzählt Pianaro. Nachdem die Weltgesundheitsorganisation vor Kurzem beschlossen hat, trans Menschen nicht mehr als psychisch krank einzustufen, gibt es keine Gründe mehr, die Prozeduren nicht auch hier zu vereinfachen.
Braz‘ Gesetzesprojekt wartet seit über einem Jahr auf die Begutachtung des Staatsrats. Jenes zur Reklassierung mancher Staatsbeamt*innenkarrieren – zugegebenermaßen ein legistisch vermutlich weniger anspruchsvoller Text – bekam seine Begutachtung innerhalb von vier Monaten. Welche Gesetzestexte der Staatsrat prioritär behandelt, ist durchaus eine Frage des politischen Willens. Ähnlich ist es mit einem Gesetzesprojekt, das die Elternschaft, neu regeln soll – es wäre dann keine Adoption mehr nötig, sondern lediglich ein „Elternschaftsakt“ für das Elternteil, das keinen biologischen Link zum Kind hat. Auch dieses Projekt ist bereits beinahe ein Jahr in der Chamber-Pipeline, ohne dass etwas passiert wäre. Obwohl Familienministerin Cahen im Oktober 2017 noch bekräftigte, intergeschlechtliche Kinder müssten ihr Geschlecht selbst wählen können und eigentlich auch ein Verbot von Genitalverstümmelungen angekündigt war, ist auch an dieser Front bisher nichts geschehen.
Mangel an Wissen und Empathie
Die Situation queerer Flüchtlinge ist in Luxemburg immer noch prekär (die woxx hat bereits mehrfach berichtet, siehe woxx 1362 und 1465), weswegen Cigale einen Bericht über deren Situation veröffentlicht hat. Darin wird nicht nur die Arbeit der NGO mit insgesamt 44 queeren Flüchtlingen geschildert, sondern auch die unzumutbaren Zustände in Unterkünften und bei Gesprächen mit Behörden. Um festzustellen, ob eine Person wirklich homosexuell ist, ist es mehrmals vorgekommen, dass luxemburgische Beamt*innen nach der Bedeutung der Regenbogenflagge oder nach den Namen von einschlägigen Clubs fragen, generell mangele es an Wissen und Empathie. Dies nicht nur in den Behörden, sondern auch bei den Betreibern von Flüchtlingsunterkünften. Cigale fordert deswegen, dass über die Schaffung einer spezielle Unterkunft für queere Flüchtlinge nachgedacht wird. Auf der luxemburgischen Liste der sogenannten „sicheren Drittländer“ befinden sich übrigens zwei Länder, in denen Homosexualität illegal ist. Auch in Ländern, wo dies nicht der Fall ist, kann das gesellschaftliche Klima gegenüber queeren Menschen sehr feindlich sein. Cigale weist in diesem Kontext darauf hin, dass Menschen flüchten, weil sie in ihrer Heimat zwangsgeoutet wurden und ihnen damit die Lebensgrundlage entzogen wurde, sie teilweise sogar in Lebensgefahr geraten sind.
LGBTIQA-Politik scheint in Luxemburg nicht sehr ernst genommen zu werden. Das liegt wohl auch an der Medienpräsenz, die die Themen haben. „Zu bestimmten Anlässen wie der GayMat-Parade oder dem Idahot gibt es viel Aufmerksamkeit von den Medien, ansonsten ist das Interesse eher gering. Außerdem gibt es auch nur wenige LGBTIQA-Aktivist*innen, die an die Öffentlichkeit gehen und zum Beispiel Blogs schreiben oder Radiosendungen produzieren“, sagt Pianaro dazu. Das mag auch daran liegen, dass Homo, Bi- und Transfeindlichkeit in Luxemburg immer noch – wenn auch unterschwelliger – vorhanden sind und mitunter auch zu Wahlkampfzwecken eingesetzt werden, wie Marc Spautz‘ „rosa Polizeiuniformen“ oder ein Blick in das familienpolitische Kapitel des „déi Konservativ“-Wahlprogramms beweisen.
Ihnen fehlt der Durchblick im LGBTIQA-Buchstabensalat? Sie wissen nicht genau, was Begriffe wie Trans- oder Intergeschlechtlichkeit heißen? Alle Erklärungen dazu finden Sie unter woxx.eu/lgbtiqa
Politische Diskussionsrunde im Rahmen des „GayMat“
Im Rahmen des „GayMat“ organisiert Rosa Lëtzebuerg eine politische Diskussionsrunde. Die NGO hat im Vorfeld der Wahlen ihre Forderungen an die Politik kundgetan und möchte diese nun mit Vertreter*innen der Parteien erörtern. Mit Marc Angel (LSAP), Corinne Cahen (DP), Sven Clement (Piratepartei), Mandy Ragni (déi gréng), Marc Spautz (CSV) und Line Wies (déi Lénk) werden die offenen Baustellen aus Politikbereichen wie Medizin, Asyl- und Familienpolitik debattiert. Dabei ist das Publikum natürlich herzlich eingeladen, mitzudiskutieren und Fragen zu stellen. Die Runde wird von woxx-Journalist Joël Adami moderiert und findet am Mittwoch, dem 11. Juli 2018 ab 19 Uhr in der Kulturfabrik in Esch-Alzette statt.