LGBTIQA: So net „queer“!

Die Petition Nummer 3198, die sämtliche queeren Inhalte aus Luxemburgs Schulen verbannen will, sorgt weiter für Diskussionen. Die Argumente, die gegen LGBTIQA-Menschen in Schulen vorgebracht werden, sind altbekannt.

Am 25. Juli setzte das feministische Informationszentrum „CID Fraen an Gender“ mit einer kurzen Protestaktion ein Zeichen gegen die queerfeindliche Botschaft der Petition. (Foto: Giulia Thinnes/woxx)

Mittlerweile haben über 8.400 Personen die Petition unterschrieben, die sämtliche „LGBT-Themen“ für Minderjährige in Schulen verbieten will. Zumindest, so der Petitionär, sollten Eltern darüber bestimmen können, ob ihr Kind solche Inhalte zu hören bekommt oder nicht. Es gibt nur wenig Beispiele für ein solch umfassendes Verbot, über queere Themen zu sprechen – abgesehen von autokratischen Diktaturen kommt das „Don’t say gay“ genannte Gesetz im US-amerikanischen Florida dem wohl am nächsten. Versuche, LGBTIQA-Personen und -Inhalte aus Schulen zu verbannen, gab es im Laufe der Geschichte immer wieder. Sie berufen sich immer auf die gleichen, unbegründeten Ängste.

Die hohe Zahl an Unterschriften lässt sich sicherlich auch daraus ableiten, dass der Titel zwar sehr explizit ist, der Text jedoch vage bleibt. Somit kann jede*r die Botschaft hineininterpretieren, die ihm*ihr passt. Das „Collectif Fräi Liewen“, eine Impf- gegner*innenorganisation, teilte die Petition auf Facebook mit dem Satz „Fasst unsere Kinder nicht an“ – womit queeren Menschen pauschal Pädophilie angedichtet wird. Später teilte die Organisation ein Foto eines Leser*innenbriefs im „Luxemburger Wort“, dessen Verfasser im krassen Gegensatz zum Text der Petition behauptete, bei der Petition ginge es in Wirklichkeit nur darum, dass „gewisse externe Organisationen Propaganda in den Klassensälen betreiben und dabei verlangen, dass die Lehrkräfte den Raum verlassen“. Das entspricht jedoch nicht dem, was in der Petition steht.

Auch der DP-Abgeordnete Luc Emering beteiligte sich an dieser Spekulation und Interpretation. Er verfasste einen Post auf Facebook, den er später nicht löschte, sondern auf „friends only“ stellte. Darin schrieb er „Was zur Diskussion steht, ist wann und auf welche Art und Weise man den Kindern die Diversität der Sexualität beibringen soll.“ Im Gespräch mit der woxx erklärte Emering, für ihn sei die Petition auf den Auftritt der Dragqueen „Tatta Tom“ im Lycée technique agricole (LTA) in Gilsdorf zurückzuführen. „Ich will auf keinen Fall in Frage stellen, dass Diversität und LGBT-Themen ihren Platz in der Schule haben. Aber ich denke, wenn so viele Menschen eine Petition unterschreiben, müssen wir das ernst nehmen und uns überlegen, wie wir Diversität anders vermitteln können.“ Der DP-Abgeordnete will außerdem nicht, dass alle Unterstützer*innen der Petition „ins rechte Eck gestellt werden“.

Ein Posting über den Auftritt von Tatta Tom im LTA wurde am 15. Mai veröffentlicht. Am gleichen Tag begann ein Shitstorm, der vor allem von Tom Weidig (ADR) ausging. Die Petition Nummer 3198 wurde am 31. Mai eingereicht, wie aus dem Protokoll der Petitionskommission des Parlaments vom 19. Juni hervorgeht. Im Juni forderte die Petitionskommission den Petitionär auf, seine Petition umzuformulieren. Nicht etwa wegen diskriminierender Äußerungen, sondern weil der Text in der ersten Person formuliert war. Die Kommission hatte also lange Zeit, über die darin vorgebrachten „Argumente“ und die enthaltene Queerfeindlichkeit nachzudenken.

Welcher Tom hat Schuld?

Der Auslöser der Petition war aber sicherlich nicht das Streitgespräch zwischen Weidig und Tom Hecker („Tatta Tom“) bei RTL. Das behauptete Weidig auf den sozialen Netzwerken. Von der woxx gefragt, welche „LGBT-Themen“ gefährlich seien, antwortete dieser mit einer langen Liste, die unter anderem „Gleichsetzung heterosexueller Paare mit anderen Konstellationen (auch im Bezug auf Kinder)“, „eine Hypersensibilisierung“, „Monopolisierung des Opferstatus“ sowie „Quoten“ und „Pronomen“ aufzählte. Auf weitere Nachfragen – zum Beispiel, ob Adjektive nicht auch gefährlich seien – antwortete Weidig lediglich, er sei bis Mitte August im Urlaub. Weidig und andere ADR-Mitglieder sprechen von einer „LGBTIQA-Ideologie“. Was genau sie damit meinen, lassen sie bewusst offen.

An diesen Beispielen wird deutlich, wie unterschiedlich die Petition interpretiert wird. Diese Offenheit ist sicherlich bewusst gewählt, auch der Fokus auf junge Kinder und die nebulöse „Sorge“ um angebliche „Störungen“, die sie beim Kontakt mit LGBTIQA-Themen bekämen, sorgt dafür, dass sich bei den Leser*innen Assoziationen zu bekannten Mythen oder Verschwörungsglauben bilden. Dabei gibt es mehrere queerfeindliche Erzählungen, die zum Teil ineinander übergehen: Queere Menschen seien inhärent sexuell, was Kinder verstöre, die Lüge, dass queere Menschen vermehrt Kinder sexuell missbrauchen würden, und die Idee, dass LGBTIQA-Personen Kinder „rekrutieren“ müssten, diese also alleine durch den Kontakt zu queeren Menschen selbst queer würden.

Die Sexualisierung queerer Menschen ist wohl die Sichtweise, gegen die sich am schwierigsten argumentieren lässt. Das nicht etwa, weil LGBTIQA-Personen tatsächlich durch ihre bloße Existenz sexuell wären; sondern weil diese Sichtweise rein auf Gefühlen beruht. Wenn die Dragqueen Tatta Tom ein langes blaues Kleid – ohne nennenswerten Ausschnitt und einen Umhang trägt, lässt sich rational nicht erschließen, was daran als sexuell verstanden werden könnte. Wenn sie dann eine Geschichte vorliest, in der ein gleichgeschlechtliches Paar sich küsst, so lässt sich auch darin keinerlei per se sexuelle Handlung erkennen. Queerfeind*innen reichen gerne Bilder von Pride-Veranstaltungen herum, auf denen Kinder mit queeren Menschen in Fetischkleidung zu sehen sind.

Der Sexualpädagoge Jeff Mannes ging in einem Artikel im Magazin Queer.lu auf diese Situation ein. Für Kinder sei die Fetischkleidung in erster Linie eine Verkleidung und habe nichts mit Sex zu tun. Das gelte auch für die Menschen, die sie tragen: Kinks können sexuell sein, aber auch komplett davon losgelöst ausgelegt werden. Mannes meint dazu: „Was wir also als sexuell wahrnehmen, hat weniger mit den tatsächlichen Menschen in Verkleidungen zu tun und viel mehr mit unseren eigenen Fantasien und Vorurteilen über diese Menschen.“

Nazithesen werden aufgewärmt

Die Angst, der Kontakt zu LGBTIQA-Menschen „sexualisiere“ Kinder, steht sicherlich im Zusammenhang mit der Rekrutierungsthese. Heutzutage wird auch der Begriff „Grooming“ verwendet. Eigentlich bedeutet dieser, dass Erwachsene gezielt zu Minderjährigen Kontakt aufbauen und versuchen, stufenweise ihr Vertrauen zu gewinnen, dies mit der Absicht, sie sexuell zu missbrauchen. Die These, dass man durch den Kontakt zu LGBTIQA-Personen selbst queer würde, hat nichts mit der Realität zu tun, es konnte keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür gefunden werden. Trotzdem hat sie anhaltenden Erfolg. Die These wurde beispielsweise im Deutschland der 1920er-Jahre verbreitet. Auch die Nazis benutzten sie, so behauptete die SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“, dass 40.000 Homosexuelle zwei Millionen Männer „vergiften“ könnten. In der Nachkriegszeit kamen ähnlichen Ideen in den USA auf, hier wurde im Zuge der „Lavender Scare“ Antikommunismus mit Homofeindlichkeit vermischt.

(Ilia Bronskiy/Unsplash)

Eine der bekanntesten Kampagnen gegen queere Menschen war die „Save our children“-Koalition in den USA, die von Sängerin und Model Anita Bryant angeführt wurde. Auch Bryant vertrat die Rekrutierungsthese. In Miami (Florida) war die Diskriminierung Homosexueller ab 1977 verboten. Bryant störte sich vor allem daran, dass dieses Diskriminierungsverbot es Homosexuellen erlaubte, in privaten christlichen Schulen zu arbeiten. Mit der Unterstellung, Homosexuelle verführten und korrumpierten Kinder, sammelte sie 64.000 Unterschriften für eine Petition, ein Referendum über das Diskriminierungsgesetz abzuhalten. Dieses ging positiv für „Save the children“ aus, was jedoch die LGBTIQA-Bewegung in den USA und der ganzen Welt mobilisierte. Byrants Karriere war zerstört: Sie konnte keine Auftritte mehr absolvieren, ohne dass diese von Protesten begleitet wurden. Da sie Werbung für die „Florida Citrus Commission“ machte, boykottierten queere Menschen Orangensaft aus Florida, was darin mündete, dass Byrant drei Jahre später ihren Vertrag verlor.

Im Vereinigten Königreich nutzte die Konservative Margaret Thatcher Queerfeindlichkeit in ihrem Wahlkampf und setzte danach das als „Section 28“ bekannte Gesetz um, das es verbot, Homosexualität in Schulen zu „begünstigen“ oder auch nur als akzeptabel darzustellen. Auch hier wurde behauptet, junge Kinder würden detailliert über homosexuellen Sex aufgeklärt und sie würden „indoktriniert“. Das Gesetz war in Schottland bis 2000, in England und Wales bis 2003 in Kraft.

Warum haben Eltern Angst vor queeren Kindern?

Es gibt – dies wird vermutlich die wenigsten woxx-Leser*innen überraschen – keinerlei Hinweise darauf, dass der Kontakt mit LGBTIQA-Themen oder -Menschen die Sexualität oder Geschlechtsidentität von Kindern oder Jugendlichen ändern könnte. Zu dem Schluss kamen beispielsweise die Forscher Andreas Gegenfurtner und Markus Gebhardt nach einer systematischen Analyse des Forschungsstands im Jahr 2017. Die Tatsache, dass es diese Angst vor der Queerheit der eigenen Kinder gibt, sagt sehr viel über die Einstellungen der Eltern aus. Wenn die Möglichkeit, dass das eigene Kind eine LGBTIQA-Person sein könnte, so gefährlich erscheint, offenbaren viele Eltern hier nur ihre eigene Queerfeindlichkeit.

Manche mögen jetzt einwerfen, dass es nicht die Angst vor einem queeren Kind sei, sondern die Angst, dass das Kind Opfer von Missbrauch wird. Diese Idee ist jedoch nicht mit der Realität vereinbar: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass mehr queere Menschen Kinder missbrauchen würden als die restliche Bevölkerung. Der Psychologieprofessor Gregory Herek hat sich lange mit diesem Thema beschäftigt und hält in einem Artikel fest, dass die Datenlage es nicht hergibt, einen solchen Schluss zu ziehen. „Damit soll nicht behauptet werden, dass homosexuelle und bisexuelle Männer niemals Kinder belästigen. Aber es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die Behauptung, dass sie dies mit größerer Wahrscheinlichkeit tun als heterosexuelle Männer“, so Herek abschließend.

Im Mai veröffentlichte die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA) die Resultate einer Umfrage unter LGBTIQA-Menschen. In Luxemburg gaben 66 Prozent der Befragten an, in ihrer schulischen Laufbahn nie mit LGBTIQ-Themen in Kontakt gekommen zu sein. Während ihrer Schulzeit mussten 44 Prozent ihre Identität verstecken und nur 35 Prozent hatten jemanden, der*die ihre Rechte als LGBTIQA-Person verteidigt hat. Von Mobbing, Beschimpfungen oder Bedrohungen waren 68 Prozent betroffen. Es ist davon auszugehen, dass eine offene und ehrliche Ausrichtung der Schulbildung, die LGBTIQA-Themen ohne falsche Scham erklärt, diese Zahlen in die richtige Richtung verändern würde. Auch die Bildungsgewerkschaft SEW/OGBL hob dies in einer Pressemitteilung hervor: „Als Lehrkräfte erleben wir Tag für Tag, wie wichtig es ist, den Kindern und Jugendlichen Toleranz zu vermitteln, ihnen andere Perspektiven auf verschiedene Themen aufzuzeigen. […] Es wäre fahrlässig und unverantwortlich, wenn in unseren öffentlichen Schulen künftig kein Raum mehr geboten werden würde, um offen und wertfrei über LGBTQ+ Themen zu sprechen.“ Der Ombudsman für Kinder und Jugendliche (Okaju) schlug in seiner Mitteilung zur Petition in die gleiche Kerbe und betonte, dass die Forderungen der Petition gegen gleich mehrere Kinderrechte verstoßen. „[Der Okaju] zeigt sich besorgt über jeden Versuch, den gleichberechtigten Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Informationen über Sexualität mit der Begründung zu beschränken, dass Kinder angeblich geschützt werden müssen. Der Schutz von Kindern beginnt ganz im Gegenteil mit Informationen, die ihrem Alter und ihrer Reife entsprechen.“

Politische Unterstützer*innen

Folgende Politiker*innen haben die Petition Nummer 3198 öffentlich mit ihrem Namen unterschrieben. Alle waren Kandidat*innen bei mindestens einer der drei Wahlen 2023 und 2024.
Fernand Kartheiser (ADR)
Norbert Freymann (ADR)
Pascal Nicolay (CSV)
Patrick Dosseray (CSV)
Tom Bendels (déi Gréng, heute nicht mehr Mitglied)
Micah Dahlem (Fokus)
Danielle Vagnarelli (Piratepartei)


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