LGBTIQA+: „Wir sollten den Dingen Priorität einräumen, die akut sind“

Luxemburg stagniert, was die Rechte von LGBTIQA+ Menschen angeht. Dabei liegt seit 2018 ein „Plan d’action LGBTI“ vor. Warum ist dem so? Corinne Cahen, Ministerin für Familie, Integration und die Großregion sowie Koordinatorin der Politik zur Förderung der Rechte von LGBTI Personen, pocht auf Kompetenzbereiche und nennt Prioritäten.

Zwar dürfen gleichgeschlechtliche Paare in Luxemburg eine Familie gründen, doch wird diese nach wie vor anders behandelt, als die heterosexueller Eltern. (CC BY Boss Tweed 2.0)

woxx: Frau Cahen, beginnen wir mit dem Bereich Familie: Im „Plan d’action LGBTI 2018“ wird die automatische Anerkennung des zweiten Elternteils bei gleichgeschlechtlichen Paaren versprochen. Bis dato muss das nicht-gebärende Elternteil das Kind adoptieren, damit seine Elternschaft anerkannt wird. Das ist bei heterosexuellen Paaren nicht der Fall. Warum wurde das Versprechen noch nicht eingelöst?

Corinne Cahen: Das Justizministerium arbeitet aktiv an der Überarbeitung des Abstammungsrechts.

Die Reform des Abstammungsrechts befindet sich seit 2013 auf dem Instanzenweg. Machen Sie als Koordinatorin für LGBTI-Politik Druck?

So funktioniert unsere Regierung nicht: Das Familienministerium koordiniert die LGBTI-Politik, doch es respektiert die Kompetenzbereiche der anderen Ministerien. Wir tauschen uns in einer interministeriellen Arbeitsgruppe zu LGBTI-Themen aus, haben jedoch nicht die Mittel, in die Texte anderer Ministerien einzugreifen.

Das Arbeitsministerium hat rezent angekündigt, den „congé de naissance“ auf gleichgeschlechtliche Elternpaare auszuweiten. Das ist allerdings erst nach der Reform des Abstammungsrechts möglich. Wie stehen Sie zu dieser Fehlinformation?

Ich halte das nicht für eine Fehlinformation.

Nennen wir es lieber Inkohärenz.

Damit man den „congé de naissance“ beantragen kann, muss eine juristische Verbindung zum Kind bestehen. Bei verheirateten heterosexuellen Eltern passiert das automatisch, bei homosexuellen Eltern erfolgt die Anerkennung durch die Adoption. Danach kann der „congé de naissance“ beantragt werden. Für mich ist es in jedem Fall wichtig, dass ein Parallelismus zwischen den Rechten heterosexueller und gleichgeschlechtlicher Eltern herrscht.

Das ist derzeit aber nicht der Fall: Das Kind muss zum Zeitpunkt des Antrags auf Adoption mindestens drei Monate alt sein, der „congé de naissance“ hingegen muss innerhalb von zwei Monaten nach der Geburt genommen werden. Das geht also nicht auf – das hat auch das Arbeitsministerium eingeräumt.

Ich glaube, dass auch Adoptionseltern ein Recht auf den „congé de naissance“ haben, aber darüber müsste ich mich noch einmal beim Arbeitsministerium erkundigen.

Gehen wir von der Kinderkrippe zur Schulbank über: Im „Plan d’action LGBTI“ und im aktuellen Koalitionsvertrag wird der Einsatz von LGBTI-freundlichem Lehrmaterial und entsprechenden Unterrichtseinheiten gefordert. Warum ist es nicht obligatorisch, dass das Lehrpersonal sich auch zu diesen Themen weiterbildet?

Ich habe beim Bildungsminister Claude Meisch nachgefragt: Es gibt keine obligatorischen Weiterbildungen, zu keinem Thema.

Wäre Ihnen das denn wichtig?

Ich fände es gut, wenn das Thema Diversität fest in der Grundausbildung der Lehrkräfte verankert wäre: Nicht nur LGBTI-Themen, sondern auch Rassismus. Es kann nicht sein, dass das noch nicht der Fall ist.

„Das Erste, was ich als Politikerin gelernt habe ist, keine Fristen zu nennen.“

Diese Abwesenheit spiegelt sich auch in den Schulbüchern: Die Studie „Les représentations du genre dans les manuels scolaires. Une étude à l’école fondamentale luxembourgeoise“ der Universität Luxemburg und des Ministeriums für die Gleichstellung von Frauen und Männern hält fest, dass nur im naturwissenschaftlichen Buch „Mensch und Natur“ gleichgeschlechtliche Eltern und intersex Personen erwähnt werden. 

Hierzu möchte ich zwei Dinge sagen: Das Ministerium für die Gleichstellung von Frauen und Männern hat zusammen mit dem Bildungsministerium einen Leitfaden ausgearbeitet, um diskriminierende Darstellungen im Unterricht zu vermeiden. Das ist die eine Sache. Jetzt spreche ich als Mutter: Ich habe fünf Teenager zu Hause, die an vier verschiedenen Gymnasien sind. LGBTI ist an allen Schulen ein Thema. Es ist nicht so, als würde es ignoriert. Ich bin positiv überrascht, wie oft es zur Sprache kommt. Es ist sicherlich richtig, was Sie zu den Schulbüchern sagen und welche Ergebnisse diese Studie liefert, das bezweifle ich gar nicht, aber Schule funktioniert heute anders als früher: Die Kinder arbeiten interaktiv mit dem Lehrpersonal zusammen, ihre Meinung ist viel öfter gefragt. Bücher nehmen heute im Unterricht eine andere Rolle ein. Das ist zumindest der Eindruck, den ich als Mutter habe.

Männer, die im letzten Jahr Sex mit Männern hatten, dürfen in Luxemburg nur Blutplasma spenden – ein Umstand, der seit Jahren kontrovers diskutiert wird. (© Ketut Subiyanto/Pexels)

Aus dem „LGBTQI Inclusive Education Index 2022“ des internationalen Studierenden- und Jugendverbands Iglyo geht hervor, dass es keine nationale Reglung zur Verwendung von Gendermarkern und Pronomen an luxemburgischen Schulen oder an der Universität gibt. Hierzu würden derzeit Richtlinien erarbeitet. Können Sie mehr dazu sagen?

Auch das habe ich beim Bildungsminister erfragt: Es gibt einen Leitfaden zur Darstellung von Jungen und Mädchen, jedoch keine Empfehlung zum Gendern. Die sprachliche Situation in Luxemburg sei komplex, zu gendern würde alles noch komplizierter gestalten.

Es geht in diesem Fall nicht ums Gendern, sondern darum, wie Schulen und die Universität mit trans sowie nicht-binären Schüler*innen oder Student*innen umgehen.

Das Bildungs- und das Bauministerium erarbeiten derzeit einen Plan, um Gebäude inklusiv zu gestalten – zum Beispiel im Hinblick auf nicht-binäre Toiletten in Schulgebäuden.

Wie verhält es sich mit der Anerkennung von Studienergebnissen nach einer Personenstandsänderung in Luxemburg?

Das kann ich nicht beantworten, das liegt im Kompetenzbereich des Bildungsministeriums.

Auch im Gesundheitsbereich gibt es einige Baustellen, die LGBTIQA+ Menschen betreffen. Warum bestehen beispielsweise trotz der Depathologisierung von trans Menschen immer noch Richtlinien der CNS, nach denen die Krankenkasse anfallende Behandlungen nur übernimmt, wenn ein Bericht von Psychiater*innen vorliegt, der die trans Identität bestätigt und „toute autre pathologie psychiatrique“ ausschließt?

Warum das so ist, das kann ich Ihnen nicht sagen. Dafür ist das Ministerium für Soziale Sicherheit zuständig. Die Aufhebung dieser Bedingungen stünde jedoch in einer Linie mit der Reform der Personenstandsänderung, die seit 2018 gilt: Trans und intersex Personen können seitdem selbstbestimmt und ohne psychologisches Gutachten ihren Personenstand ändern.

Was ist mit dem im Koalitionsvertrag angekündigten Verbot von nicht-lebensnotwendigen Eingriffen bei intersex Kindern und intersex Personen, die ihre Zustimmung nicht aussprechen können? 

Daran wird gearbeitet, die Maßnahme steht ja auch im Aktionsplan von 2018. Eine interministerielle Arbeitsgruppe – Justiz, Gesundheit, Familie – kümmert sich darum und ist zurzeit dabei, einen Gesetzestext zu schreiben. Mir war es bereits vor den Wahlen 2018 wichtig, dass die Eingriffe an Neugeborenen verboten werden. Es ist schrecklich, wenn einem die Entscheidung genommen wird, zu welchem Geschlecht man gehört. Ich verstehe auch die Eltern von intersex Kindern, die oft nicht weiterwissen.

Ungleichheiten bestehen fort

Haben Sie sich eine Frist gesetzt, bis wann der Gesetzestext stehen soll?

Das Erste, was ich als Politikerin gelernt habe, ist, keine Fristen zu nennen. Sie werden nie eingehalten. Diese Prozesse dauern.

Es wird knapp bis zur nächsten Wahl 2023.

Es ist noch Zeit bis dahin. Zwar meinen alle, wir befänden uns schon im Wahlkampf, aber dem ist nicht so. Die Regierung arbeitet noch auf Hochtouren. Das Justizministerium schreibt auch an einem „Avant-projet de loi“ zur Einführung eines dritten, genderneutralen Eintrags im Personenstand.

Ein weiterer Punkt, der seit Jahren diskutiert wird: Für Männer, die in den letzten zwölf Monaten Sex mit Männern hatten, ist die Vollblutspende in Luxemburg immer noch verboten. Wie stehen Sie dazu?

Auch das ist eine Maßnahme im Aktionsplan: Die Vollblutspende für Männer, die Sex mit Männern haben, ohne Abstinenz zu ermöglichen. Rosa Lëtzebuerg ist mit der Croix Rouge im Gespräch. Ich spende selbst Blut und fülle jedes Mal den Fragebogen aus – ich verstehe nicht, warum diese Männer nach wie vor ausgeschlossen werden. Ich kenne genauso viele monogame hetero- wie homosexuelle Paare, die sich treu sind. Es ist immer noch ein Vorurteil, dass Männer, die Sex mit Männern haben, viele Sexpartner haben. Ich hoffe, dass das irgendwann kein Thema mehr sein wird.

CC BY Ittmust 2.0

Wenn wir schon bei Vorurteilen sind: Vor Kurzem geriet die Kommunikation des Gesundheitsministeriums über die Affenpocken in die Kritik. Es wurden Fehlinformationen vermittelt, wie etwa, dass die Krankheit durch Sex zwischen Männern übertragen würde. 

Das war unglücklich, aber gut, dass es aufgegriffen und diskutiert wurde. Es darf nicht sein, dass man Menschen ungleich behandelt.

„Das Familienministerium versucht aufzuklären und für Sichtbarkeit zu sorgen“

Greifen Sie als Koordinatorin der LGBTI-Politik in solchen Fällen ein?

Offiziell nicht. Interministeriell, im Regierungsrat und auch außerhalb sprechen wir schon über solche Vorfälle. Das Familienministerium versucht weiterhin aufzuklären und durch die Erarbeitung von Leitfäden oder Informationskampagnen für Sichtbarkeit zu sorgen. Wir haben zum Beispiel vor Kurzem einen Leitfaden zur Inklusion von trans Menschen in Unternehmen beim Firmennetzwerk Inspiring More Sustainability (IMS) in Auftrag gegeben und publiziert. Wir müssen mit den Menschen, die betroffen sind, zusammenarbeiten. Sie müssen uns auf bestehende Probleme hinweisen. Wichtig ist auch, dass die Firmen mitziehen: Betriebe, die die Charte de la diversité unterzeichnet haben, sind viel offener und bemühen sich aktiv um ihre Umsetzung.

Zurück zu den Verboten: Konversionspraktiken bei denen LGBTIQA+ Menschen ihre Identität oder sexuelle Orientierung ausgetrieben werden sollen, sind in Luxemburg nicht verboten. Warum?

Wir haben uns mit dem Thema beschäftigt: Es sind keine Fälle bekannt, weder in Luxemburg noch von luxemburgischen Bürgern, die sich im Ausland einer Konversionstherapie unterzogen haben. Wir sollten deshalb den Dingen Priorität einräumen, die akut sind, und die es den Menschen erlauben, ein gutes Leben zu führen.

Und was hat für Sie Priorität?

Die Reform des Abstammungsrechts und das Verbot der nicht lebensnotwendigen Operationen von intersex Kindern.

Was sind die nächsten Schritte bei der Umsetzung des Aktionsplans?

Wir führen derzeit eine erste Bestandsaufnahme in Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg durch. Die soll erörtern, welche der 93 Forderungen umgesetzt wurden und wo noch Handlungsbedarf besteht. Wir nutzen die Gelegenheit aber auch, um uns neue Ziele und Prioritäten zu setzen. Die Situation hat sich im Laufe der Jahre verändert. Hierzu werden Menschenrechts- und LGBTI-Organisationen befragt. Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2023 vorliegen.


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