Literatur
: Tödliches Exil

Die Abtei Neumünster hat sich mit „Ich gehöre nirgends mehr hin! Stefan Zweigs Schachnovelle – eine Geschichte aus dem Exil“ eine großartige Ausstellung geleistet, die weit über den Horizont des posthumen Meisterwerks hinausreicht.

Die „Schachnovelle“ gehört seit ihrer Veröffentlichung Anfang der 1940er-Jahre in Brasilien – der letzten Zuflucht Zweigs und seiner zweiten Ehefrau Lotte – zu Recht zum literarischen Kanon. Mit der Metapher des Schachspiels, das zur Obsession und zur Persönlichkeitsspaltung des Protagonisten Dr. B führt, gelang es dem Schriftsteller, die Gräuel der Nazi-Schergen in seiner österreichischen Heimat heraufzubeschwören, ohne sie plastisch darzustellen. Horror in absentia sozusagen, und für Zweig das ihm gemäße Verfahren, sich mit dem Erlebten und dem ihm Zugetragenen auseinanderzusetzen.

Denn Zweig, einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Generation, musste 1940 Europa verlassen. In seiner Heimat Österreich war er, nicht nur seit die Nazis auch seine Bücher verbrannten, seines Lebens nicht mehr sicher. Er floh mit seiner Frau zunächst nach London, wo beide der Spionage verdächtigt wurden. Die zweite Station ihrer Flucht waren die USA und die dritte Brasilien, wo sie, in Petrópolis, schließlich zur Ruhe kamen. Zweig hatte das Land schon mehrmals besucht, und die damalige Regierung war ihm wohlgesinnt. Bereits 1936 war er von den brasilianischen Autoritäten als quasi Staatsgast empfangen worden.

Aber die Jahre im Exil hatten Spuren hinterlassen. Zweig, der sich unermüdlich für seine jüdischen Glaubensgenoss*innen eingesetzt, ja sich sogar von seiner geliebten Autographensammlung getrennt hatte, um an Geld zu kommen, war müde geworden, und so begingen er und seine Frau am 23. Februar 1942 Selbstmord.

Die Ausstellung, die vom „Stefan Zweig Centre Salzburg“ konzipiert wurde, nimmt die „Schachnovelle“ als Ausgang, um über die Exil-Geschichte des Schriftstellers zu sinnieren und von dort ausgehend auch Reflexionen über die Konsequenzen der Nazi-Barbarei für das intellektuelle Europa anzustellen. Die Szenographie orientiert sich anfänglich am berühmt-berüchtigten Wiener Hotel Metropole, in dem Zweig gerne gastierte und das nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich zur Folterkammer der Gestapo wurde. Dr. B. aus der „Schachnovelle“ wurde ebendort bis zum Wahnsinn misshandelt.

Ausgestattet mit realen Exponaten, wie zum Beispiel historischem Mobiliar aus dem (inzwischen abgerissenen) Hotel, Zeitungsartikeln, Original-Briefen und Video-Zeugnissen einiger im Metropole gefolterten Menschen, veranschaulicht der erste Teil der Ausstellung den Zustand jenes Österreichs, aus dem Zweig schließlich fliehen musste.

Im zweiten Teil der Ausstellung wird dem Besucher der Zustand des Lebens im Exil haptisch nahegebracht. Mittels aufeinandergestapelter Umzugskisten, leerer Bilderrahmen und aufeinandergetürmter Fotos erscheint hier das Leben aus Kisten zum Greifen nah. Auch wenn die Exponate in diesem Teil in der Mehrheit Auszüge aus Zweigs Autographensammlung sind (und man wüsste zu gerne, welche Schätze sich noch in den geschlossenen Kisten verbergen), so gibt der Raum doch auch eine Vorstellung von dem riesigen intellektuellen Netzwerk, das der Schriftsteller zu Lebzeiten gesponnen hatte – und auch von der umfangreichen Korrespondenz mit den großen Dichtern und Denkern der Zeit: Thomas und Heinrich Mann, Franz Werfel, Romain Rolland, um nur einige zu nennen.

Die Ausstellung behandelt somit viel mehr als nur den Schriftsteller Zweig; sie ist eine anschauliche und eindringliche Mahnung, dass Unabsehbares entstehen kann, wenn Intoleranz gegen alles Intellektuelle hoffähig wird – wie es zur Zeit nicht nur in Österreich leider wieder der Fall ist.

Bis zum 8. April in der Abtei Neumünster.

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