Offenes Buffet: Das Stadtmuseum bittet zu Tisch

Das Lëtzebuerg City Museum lädt zum „All You Can Eat“ ein und beleuchtet rückblickend in seiner Ausstellung, wie unser Verhältnis zum Essen unsere Gesellschaftskultur geprägt hat – von der Massenproduktion bis hin zu den heutigen Konsumgewohnheiten.

Von der Handarbeit auf Feldern …

Das Menü steht aufgeklappt auf dem weißen Tisch, auf den zwei Stühlen sitzen jedoch noch keine Besucher*innen. Über der kleinen Installation hängt ein Schild, das an das erste chinesische Restaurant in Luxemburg erinnert. Es veranschaulicht das Ziel des Lëtzebuerg City Museums, mit seiner aktuellen Ausstellung „All You Can Eat“ die Geschichte unserer Ernährungsgewohnheiten zu erzählen und unsere Beziehung zu Nahrung kulturell und gesellschaftlich zu beleuchten. Dabei wird der Fokus immer wieder auf Luxemburg gerichtet.

… zur Massenproduktion an Fließbändern: Das Stadtmuseum schaut in historischer Perspektive auf lokale Traditionen und globale Lieferketten. (Fotos: woxx.)

Über ein Dutzend Räume verteilt, gleich einem eklektischen Buffet, offenbart die Ausstellung ungewöhnliche Artefakte, wie beispielsweise ein in Alkohol konservierter menschlicher Magen, vereinzelte Gemälde und Projektionen sowie Fotografien und Video-Interviews. Viele davon wurden vom Museum selbst produziert oder entstammen anderen Ausstellungen. Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt mit der neolithischen Revolution vor rund 12.000 Jahren: Der Mensch domestizierte damals Pflanzen und Tiere und wurde sesshaft.

Am Ende der Lieferkette

Anhand von lebensgroßen Fotografien, Video-Interviews zeitgenössischer Landwirt*innen und ehemaligen Werkzeugen bringt das Stadtmuseum, in dem sich früher eine Volksküche befand, die ursprüngliche Landwirtschaft mit moderner Lebensmittelproduktion in Verbindung. So werden Besucher*innen in diesem ersten Raum an die hiesige Stahlindustrie erinnert, deren zurückbleibendes Nebenprodukt, die Schlacke, dem Agrarsektor als Dünger diente – und nicht unbeträchtliche Konsequenzen für Umwelt und Biodiversität mit sich brachte. Die gemahlene Schlacke, die auch als Thomasmehl bekannt ist, ist ein feines graues Pulver und wird in einem großen Einmachglas ausgestellt.

Ein Symbol der Selbstbedienung und des Massenkonsums. In der Ausstellung bekommen Besucher*innen einen Original-Einkaufswagen des ersten Supermarkts in Luxemburg zu sehen. (Foto: woxx)

Dem Klang einer Glocke folgend, die den Schichtwechsel im 1876 eröffneten Schlachthof in Pfaffenthal einläutete, gelangt man in den nächsten Raum, wo der Fleischkonsum im Zentrum steht. Über die schwindende Anzahl heimischer Fische und anderer Fluss-und Seetierarten erfährt man wenig, dafür bleibt eine Zahl im Kopf: Im Schnitt konsumiert die uxemburgische Bevölkerung jedes Jahr 80 Kilo Fleisch pro Kopf. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Verzehr Schätzungen nach im Jahr 2022 bei unter 55 Kilo pro Kopf.

Hinter einem Kunststoffvorhang trifft man im nächsten Raum auf ein Fließband, auf dem auf Kästchen projizierte schwarz-weiß flimmernde Videos von Tieren in Batteriehaltung den Besucher*innen die Industrialisierung des Lebensmittelsektors vor Augen führen. Daneben steht ein Apparat zur Analyse von Lebensmittelverunreinigungen. Man bleibt im vergangenen Jahrhundert: Aktuelle Massenproduktion aus Nachbarländern und deren Importe ins Land werden wenig beleuchtet.

Das Rezept für nationale Kultur

Mit der Massenproduktion kam dann auch die Industrialisierung der nationalen Produkte und deren Qualitätsbescheinigungen. Erneut richtet die Ausstellung den Blick etwas nostalgisch auf die luxemburgische Produktion und zeigt, wie stark die hiesigen Lebensmittel den Nationalstolz prägten: Verpackungen und Reklamen im Retrolook für Butter und Senf aus Luxemburg oder eingerahmte Original-Rezeptbücher – wie jenes der Ketty Thull – werben von den Regalen und Wänden um die Aufmerksamkeit der Besucher*innen.

Auf den ersten Blick mag die Ausstellung überwältigend wirken, doch die Gegenstände und Einblicke sind häppchenweise auf ein Dutzend Räumen verteilt. „Jede*r kann etwas aus der Ausstellung lernen“, so die Museumsführerin während des Besuchs der woxx. (Foto: woxx)

Nach dem „goldenen Zeitalter“ des Kleinwarenhandels und der lokalen Märkte – die auf vom Museum selbst produzierten Videos gelungen zur Geltung kommen – traf mit dem „Ekonomat“ in den 1950ern der erste Supermarkt in Luxemburg ein. Mit ihm: die Konsumgesellschaft. Umgekehrt beeinflusste auch die Gesellschaft unsere Essenskultur. Ab den 1950er-Jahren brachte die zunehmende Anzahl von Immigrant*innen neue Lebensmittel und Gerichte mit; Nudeln, Schokolade und Kaffee wurden, so erfährt man, besonders schnell beliebt.

Weder Industrialisierung noch Konsumgesellschaft schafften es jedoch, Nahrungsproblemen ein Ende zu setzen. So macht die Ausstellung etwa kurz auf den Hunger aufmerksam, der sowohl auf Naturkatastrophen als auch auf anthropogene Ursachen zurückzuführen ist. Mit einem Video-Interview über die „Épicerie sociale“ von „Stëmm vun der Strooss“ erinnert das Museum daran, dass auch hierzulande immer noch Menschen Hunger leiden.

Zugleich zeigt die Ausstellung die Schattenseite der Globalisierung, in der man sich immer mehr vom Ursprung der Nahrungsmittel entfernt. Fotos von Menschen mit Über- oder Untergewicht führen Besucher*innen vor Augen, wie sich unsere Beziehung zum Essen in den letzten Jahrzehnten verzerrt hat. Zusätzlich veranschaulicht wird dies durch Gegenstände wie Zusatzvitamine oder Broschüren zu Heildiäten, die schon vor 150 Jahren dank sogenannter Reformhäuser an Zulauf gewannen. Es gibt außerdem ein Video zur heutigen Digitalkultur, in der immer mehr Menschen ihre Mahlzeiten alleine vor einem Bildschirm sitzend zu sich nehmen.

Im letzten Raum leitet die Ausstellung den Blick der Besucher*innen deshalb Richtung Zukunft und gibt ihnen dabei mehr Fragen als Antworten mit auf den Weg: Werden sich Insekten oder künstliches Fleisch in Luxemburg zur Alltagsmahlzeit entwickeln? Wie erhält man die Diversität der Samen? Welche Art Landwirtschaft werden wir in den nächsten Jahrzehnten haben?

Ein zunehmend verzerrtes Verhältnis

Groß ins Detail geht die Ausstellung nicht. Teils werden komplexe Tätigkeitsbereiche (etwa die Werbeindustrie oder die Agrarlobby), die unsere Ernährung heutzutage mitbeeinflussen, nur am Rande erwähnt, der Fokus liegt meist auf der individuellen Verantwortung. An Informationen mangelt es dennoch nicht, ganz im Gegenteil: Die Ausstellung bietet einen interaktiven und informativen Überblick darüber, wie die hiesige Gesellschaft durch ihre Ernährung geprägt wurde. Und auf die Frage, wie wir unser Produktionssystem nachhaltiger gestalten können, treffen die in den verschiedenen Video-Interviews zu Wort kommenden Organisationen mit gut durchdachten Vorschlägen den Nagel auf den Kopf. Wie bei einem „All You Can Eat“-Buffet können Besucher*innen so viel schauen, interagieren und mitdenken, wie sie möchten: Eine gelungene Anregung für Besucher*innen also, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen und die eigenen Essgewohnheiten zu hinterfragen.

„All You Can Eat“, Lëtzebuerg City Museum (14, rue du Saint-Esprit, L-1475 Luxemburg),
Di. – So. 10 – 18 Uhr, Donnerstags bis 20 Uhr. Noch bis zum 14. Juli.

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