Luxemburger Rentensystem: Was kostet’s?

Die CSL rechnet vor, wie viel die Seite der Arbeitnehmer*innen durch die Reform von 2012 verloren hat. Gelegenheit für einen kritischen Blick auf vergangene und künftige Anpassungen des Rentensystems.

Wird die „Rentenmauer“ ein Wahlkampfthema für die im Herbst anstehenden Chamberwahlen? Schreckensszenarien zur Zukunft des Luxemburger Pensionssystems werden immer wieder von liberalen Wirtschaftsexpert*innen, rechten Politiker*innen, aber auch von Verfechter*innen der „Nachhaltigkeit“ thematisiert. Demgegenüber versucht die jüngste Veröffentlichung der „Chambre des salariés“ (CSL), ein anderes Thema zu setzen: den Rentenklau. Am Ende könne die Reform von 2012 durchschnittliche Arbeitnehmer*innen mindestens 314.000 Euro zu stehen kommen, so die Überschrift des Econews von Ende Mai. Die Berechnungen der CSL beziehen sich auf den – relativ sozialen – gesetzlichen Rahmen von 2012. In den Augen seiner wirtschaftsliberalen Kritiker*innen ist dieser unzureichend und sollte dringend von der nächsten Regierung reformiert werden.

Erste Ursache für eine finanzielle Einbuße durch die Reform ist die Einstiegsrente. Die damals eingeführte Formel sorgt dafür, dass der fixe Anteil der Rente (majorations forfaitaires) ansteigt, dafür aber der variable Anteil (majorations proportionnelles, abhängig von der eingezahlten Beitragssumme) sinkt – mit einer Anpassung der Faktoren, die sich über 40 Jahre erstreckt. Durchschnittliche Arbeitnehmer*innen, die 2052 in Rente gehen, verlieren gegenüber den Bedingungen von vor 2012 etwa 190.000 Euro, so die CSL. Es sei angemerkt, dass diese Berechnung sich auf eine Pensionierung nach 40 Jahren Versicherungszeit bezieht, ohne das Rentenalter zu berücksichtigen. Weil aber eines der Elemente der Reform die Förderung eines späteren Einstiegsalters durch die Formel war, kann dieser Verlust durch ein Weiterarbeiten über die 40 Jahre hinaus kompensiert werden.

Zu diesen niedrigeren Einstiegsrenten kommt eine Verschlechterung bei der Rentenanpassung hinzu. Bisher wird, zusätzlich zum Ausgleich der Preisentwicklung (Index) eine regelmäßige Angleichung an die Lohnentwicklung vorgenommen. 2012 wurde die Möglichkeit geschaffen, stattdessen die Renten nur teilweise an das ansteigende Lohnniveau anzupassen. Sobald die Bilanz der Pensionskasse ein als kritisch eingestuftes Niveau erreicht, wird der Anpassungsfaktor von 1 auf 0,5 oder weniger gesenkt. Dieser Eingriff ist wahrscheinlich 2027 fällig. Die CSL hat ausgerechnet, dass bei einer „minimalen“ Senkung des Faktors auf 0,5, kombiniert mit der niedrigeren Einstiegsrente, durchschnittliche Arbeitnehmer*innen 314.000 Euro verlieren – berechnet auf eine nach der Pensionierung verbleibende Lebenszeit von 25 Jahren (über 1.000 Euro monatlich). Damit sei ein Anstieg der Altersarmut vorprogrammiert.

Kritik, aber welche?

Im Kontext der Wahlkampagne kann man sich fragen, worum es der CSL mit dieser Veröffentlichung geht. Soll die LSAP als Verräterin des Sozialstaates gebrandmarkt werden? Immerhin war es der sozialistische Minister Mars Di Bartolomeo, der seinerzeit die Reform gegen den Willen der Gewerkschaften durchgesetzt hatte. Oder geht es einfach um die Botschaft, das Salariat habe schon viele Opfer gebracht und dürfe nicht durch neue Reformen zusätzlich geschröpft werden? Wahltaktisch mag das Sinn ergeben, doch zugleich versäumt es die Gewerkschaftsseite, die Stärken des bestehenden Rentensystems zu betonen. Statt als fairer gesellschaftlicher Ausgleich zwischen Aktiven und Rentner*innen (und anderen Interessen), wird das Umlageverfahren als reiner Verteilungskampf dargestellt. Dabei gibt es genügend Kritikpunkte an der Reform von 2012, die über die reine Arithmetik hinausgehen.

Dass die CSL Zukunftsszenarien mit schwachem Wachstum nicht in Betracht ziehen will, die eine Absenkung des Rentenniveaus unausweichlich machen, ist verständlich. Doch mögliche Antworten darauf, unter anderem neue Finanzierungsquellen, gehören zur Debatte über die Zukunft des Rentensystems – und wurden 2012 ausgeklammert. Dass die in der Reform vorgesehenen Mechanismen die Unternehmensseite nur zu einem geringen Teil für die Stabilisierung des Systems heranzieht, wäre aber ein opportuner Kritikpunkt für die Gewerkschaften gewesen. Auch die De-facto-Erhöhung des Renteneintrittsalters, ohne funktionierende Förderstrategie für die Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer*innen, ist ein sensibler Punkt. Nicht zuletzt wäre es wünschenswert, die Rentendebatte im Rahmen einer ganzheitlichen Sicht auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu führen, wie das zum Beispiel in der Broschüre „Grands défis“ (Fondation Idea) angedacht wird.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Die Kommentare sind geschlossen.