Menschenhandel in Luxemburg: Ausbeutungsspirale statt Opferschutz

Die Zahl der Fälle von Menschenhandel in Luxemburg ließe sich drastisch reduzieren, wenn man nur die Hebel an den richtigen Stellen ansetzte. Darüber sind sich Expert*innen einig, wie vergangene Woche bei einem Rundtischgespräch klar wurde.

Opfer von Menschenhandel mögen zwar nicht unbedingt Handschellen tragen, aus ihrer Lage kommen sie dennoch nur schwerlich heraus. (Copyright: CC BY-SA 2.0)

„Die Welt des Menschenhandels stellt eine Art Parallelwelt zum Rest der Luxemburger Gesellschaft dar.“ Dieser Satz fiel vergangene Woche im Rahmen eines von Time for Equality organisierten Themenabends in den Rotunden. Auf ein Screening des Films „Exit – A Journey out of the Heart of Human Trafficking“ folgte eine Fragestunde mit Regisseurin Alison Jayne Wilson. Anschließend kam eine Expertinnenrunde zu Wort: Stéphanie Gardini von Médecins du monde, von der auch das oben erwähnte Zitat stammte; Ambre Schulz, Juristin bei der NGO Passerell; und Jessica Lopes von der Association de soutien aux travailleurs immigrés (Asti).

Als Sozialarbeiterin, betonte Gardini zu Beginn, sei es ihr besonders wichtig, Orte zu schaffen, wo mit Opfern von Menschenhandel Kontakt aufgenommen werden könne. „Es ist unheimlich schwer, die mehrheitlich weiblichen Opfer zu erreichen, weil sie ihre Unterkunft quasi nur zum Arbeiten verlassen dürfen.“ 2021 hätten Médecins du monde deshalb eine spezifisch an Frauen gerichtete Sprechstunde ins Leben gerufen. Auch das medizinische Personal vor Ort sei ausschließlich weiblich. „In diesem Safe Space können die Frauen sich anvertrauen, man nimmt sich Zeit, ihnen zuzuhören“, beschreibt Gardini den Existenzgrund dieser Sprechstunde. Die Frauen hätten zudem die Möglichkeit, ihre Kinder mitzubringen. „Im Normalfall bekommen wir die Kinder undokumentierter Migrantinnen nie zu Gesicht, sie haben keinen Zugang zu Kinderärzten, zu Impfungen.“

Ein solcher Kontaktort ist auch die Asti-Dienstelle „Info Migrants“, die unter anderem von der Sozialarbeiterin Lopes betrieben wird. Die meisten Opfer von Menschenhandel, die an die Asti herantreten, so Lopes, stammten aus Brasilien, Kolumbien, Nigeria und aus dem Peru. An dieser Stelle hakte die Moderatorin, Wort-Journalistin Ines Kurschat, nach. Wie die Betroffenen auf die Asti aufmerksam würden, so ihre Frage, diese kämen immerhin nicht mit einer Liste an Hilfsorganisationen in der Tasche nach Luxemburg. „Sie würden sich wundern, wie gut informiert und organisiert Menschen sind“, erklärte Lopes daraufhin. Es sei ein Irrglaube, dass Migrant*innen sich nicht im Vorfeld über ihr Ankunftsland informierten. „Illegale Einwanderung ist nicht das Ergebnis eines Mangels an Informationen. Vielmehr wird dieses Risiko bereitwillig eingegangen, weil sie wissen, dass kein legaler Einwanderungsweg existiert.“ Diese Menschen seien sehr gut untereinander vernetzt, von der Asti erführen sie oft schon am Tag ihrer Ankunft.

Große Verletzlichkeit

Charakteristisch für die Problematik ist in ihren Augen die Verletzlichkeit der Betroffenen, noch ehe sie Opfer von Menschenhandel werden. Diese Menschen seien nach Luxemburg gekommen, um hier Arbeit zu finden. Das Visa, das sie beanspruchten, sei nur für 90 Tage gültig, doch sie hofften, innerhalb dieser Zeitspanne eine Festanstellung zu ergattern. „Das geht dann meist eine Weile lang gut, bis ihre Lage sich verschlechtert: Sie geraten an einen gewalttätigen Partner, sie werden krank, und in dieser Situation ist das Risiko sehr hoch, Opfer von Menschenhandel zu werden.“ Wenn Betroffene an die Asti herantreten würden, so Lopes, seien sie in ihrem verletzlichsten Zustand: „Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung, ihre Existenz an sich ist ein Verbrechen. Sie sind gezwungen, sich zu verstecken, weil ihnen sonst eine Abschiebung droht“.

Diese Verletzlichkeit kann meist schon festgestellt werden, lange bevor die Opfer hierzulande an Menschenhändler*innen geraten, erklärt Ambre Schulz. „Die Luxemburger Autoritäten tun sich aber sehr schwer damit“, bringt Schulz ihren Eindruck auf den Punkt. Viele Betroffene kämen ursprünglich aus Subsahara-Afrika. Auf ihrem Weg nach Nordeuropa durchquerten sie erst Libyen, dann Italien. Schon in Libyen seien sie meist Opfer von Zwangsarbeit oder sexueller Ausbeutung geworden. „In Libyen muss man seinen Schlepper bezahlen“, erklärt Schulz, „diese Menschen haben aber kein Geld und bezahlen dann auf nicht-materielle Weise.“

Einmal in Italien angekommen, würden sie einen Antrag auf Asyl stellen. Zögen sie anschließend in ein anderes Land weiter, würden sie aufgrund des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeschickt. „Das Verfahren wird strikt appliziert, man interessiert sich nicht dafür, wie hoch das Risiko für diese Menschen ist, in Italien wieder an Menschenhändler zu geraten“, so Schulz, die einen Teufelskreis sieht: „Unser Rechtssystem trägt dazu bei, dass die Opfer aus ihrer verletzlichen Lage nicht mehr herauskommen.“ Besonders traurig daran sei, dass sich die Opfer in Europa ein System erwarteten, das auf den Menschenrechten basiere und das sie vor Ausbeutung schütze. Stattdessen setze sich die Ausbeutungsspirale in Europa ungehindert fort.

Besteht in Luxemburg also kein Ausweg aus dem Menschenhandel? „Es gibt durchaus einen Rechtsrahmen, der die Opfer schützt“, betonte Ambre Schulz im Rahmen des Rundtischgesprächs. Damit bezog sie sich auf die Konvention des Europarats gegen Menschenhandel. Sie besteht seit 2008, ein Jahr später wurde sie von Luxemburg ratifiziert. Die Konvention könne, so Schultz, aus zwei Gründen als modern bezeichnet werden: Erstens, weil sie Menschenhandel als eine Verletzung der Menschenrechte einstufe. Und zweitens weil sie den Opferschutz in den Vordergrund stelle.

Laut Luxemburgischer Gesetzeslage kommen Opfern von Menschenhandel demnach gewisse Rechte zu. Werden sie als solche identifiziert, haben sie ein Anrecht auf eine Unterkunft, auf eine sozio-edukative Betreuung, auf medizinische Pflege, auf eine kostenlose Verteidigung vor Gericht. Zudem hätten Opfer von Menschenhandel ein Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Schulz sieht dabei jedoch ein Problem: „Um diesen Schutz beanspruchen zu dürfen, muss das Opfer Klage gegen seinen Ausbeuter erhoben haben.“

Wieso das ein Problem darstellt, illustrierte Jessica Lopes daraufhin an einem Beispiel. Eine Schwarze Frau, die in Brasilien für eine weißen Familie als Bedienstete arbeitete, immigrierte vor fünf Jahren mit ebendieser Familie nach Luxemburg. Sie erhielt in den fünf Jahren ihres Aufenthalts weder eine Aufenthaltsgenehmigung noch eine Bezahlung. „Ein klarer Fall von moderner Sklaverei“, so Lopes. Die Asti wurde von Médecins du monde auf diesen Fall aufmerksam gemacht, nachdem sie die Betroffene anlässlich ihrer Covid19-Impfung kennengelernt hatten. „Das zeigt die Wichtigkeit dieser Basisorganisationen. Sie haben einen Kontakt mit Opfern von Menschenhandel, den andere einfach nicht haben können“.

Dennoch habe keine Möglichkeit bestanden, der Betroffenen zu helfen, erzählte Lopes. Denn auch nach ihrer Immigration nach Luxemburg übte die Familie, für die die Frau arbeitete, viel Macht in ihrem Herkunftsort aus – dort lebt auch die Familie des Opfers. „Es kam für sie nicht in Frage, gegen diese Familie zu klagen, Die Folgen wären zu schwerwiegend gewesen“, so die Einschätzung von Lopes. Auf Nachfrage der Asti habe die Luxemburger Polizei bestätigt, der Familie des Opfers keinen Schutz anbieten zu können. Außerdem sei es unmöglich, die Frau als Opfer von Menschenhandel anzuerkennen, solange diese keine Klage erhoben habe.

Hilfe nicht erwünscht

Abgesehen davon, dass die Hilfe für Opfer von Menschenhandel in Luxemburg begrenzt ist, ist diese in manchen Fällen also auch gar nicht erwünscht. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Opfer von Menschenhandel leben in der Regel bei der Person, von der sie ausgebeutet werden. Zeigen sie den Täter an, verlieren sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Unterkunft“, erklärte Gardini. „Die Betroffenen sind abhängig von dem Mann, der sie ausbeutet. Kommt noch ein Kind hinzu, verstärkt sich die Abhängigkeit und Verletzlichkeit noch um ein Vielfaches.“ Manche Opfer würden ihre Lage mit Blick auf andere Länder zudem relativieren. „Sie sagen sich: ‚Hier ist es zwar schlimm, aber immerhin nicht so schlimm wie in Libyen.‘“

Jessica Lopes kann diese Einschätzung bestätigen. „Ich würde lieber sterben als in meine Heimat zurückzukehren“ sei eine Aussage, die sie schon unzählige Male von Betroffenen gehört habe. „Daran wird deutlich, wie anfällig diese Menschen für Ausbeutungsnetzwerke sind“. Manche Opfer würden schon alleine deshalb keine Hilfe suchen, weil sie Angst hätten, gegenüber der im Herkunftsland zurückgebliebenen Familie ihr Gesicht zu verlieren. Die habe oftmals lange gespart, um die Betroffenen nach Europa zu schicken. „Nachdem sie so viele Hürden überwunden haben, liegt ihnen nichts ferner, als ihrer Familie einzugestehen, dass sie versagt haben.“

„Das klingt für mich so, als bedürfe es sehr viel mehr Prävention, damit potenzielle Opfer von Menschenhandel die nötige Unterstützung erhalten“, so Kurschats Einwurf an dieser Stelle, „Welche Maßnahme wäre diesbezüglich am Dringendsten?“. In den Augen der Asti muss das Problem an der Wurzel gepackt werden. Dass diese Personen in diese Lage gerieten, so Lopes, liege einzig daran, dass sie über keine Aufenthaltsgenehmigung verfügten. „Irreguläre Aufenthalte sind ein gefundenes Fressen für Netzwerke von Menschenhandel.“ Das Problem könne schon alleine dadurch gelöst werden, dass undokumentierte Migrant*innen systematisch regularisiert würden. Auch für Stéphanie Gardini führt kein Weg an der Regularisierung vorbei. „Die meisten Menschen, mit denen wir als Médecins du monde interagieren, sind schon seit Jahren in Luxemburg, sie gehen einer Arbeit nach, sie zahlen ihre Miete, gehen einkaufen, sie haben Kinder. Sie sind Teil unserer Gesellschaft.“

Scharfe Kritik durch Europarat

Im Oktober letzten Jahres wurde Luxemburg vom Europarat dringlich dazu aufgefordert, seine Anstrengungen im Kampf gegen Menschenhandel zu verstärken. Anlass dazu gab ein Bericht der Expert*innengruppe des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels (Greta): In den Jahren 2018 bis 2021 wurden hierzulande 68 Verdachtsfälle auf Menschenhandel bei der Polizei gemeldet. Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg im zweiten Pandemiejahr dramatisch an, von zehn im Vorjahr auf 31 in 2021. Die meisten Opfer stammten laut Greta-Bericht aus Rumänien, China, der Ukraine, Portugal und aus dem Nepal. Sie wurden vor allem als Bettler*innen und als Arbeitskräfte im Bau- oder im Horeca-Sektor ausgebeutet. Die Greta-Kommission bemängelt einerseits die zu milden Strafen für Täter*innen, andererseits aber auch das unzureichende Hilfsangebot für Opfer. Woran es zudem fehle, sei eine angemessene finanzielle Entschädigung der Opfer sowie Präventionsmaßnahmen. Die Expert*innen empfehlen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Arbeitsinspektor*innen, Ordnungskräften, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft.


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