Jeder Mensch hat das Recht auf faire Arbeitsbedingungen, doch viele werden dessen beraubt. Die Ausstellung „Unfree Labour: Who Has the Choice?“ rückt Betroffene in den Mittelpunkt.
Wer die Ausstellung „Unfree Labour: Who has the choice?“ im Musée Ferrum* in Tetingen betritt, will entweder aufräumen oder gleich ranklotzen: Von der Decke hängen Pizzaschachteln, Putzeimer und ein Handy; die Besucher*innen müssen sich durch Baugerüste von einem Raum zum nächsten winden. Dabei tauchen sie in die Lebensrealität von Arbeitskräften in prekären Verhältnissen ein.
Den Anfang machen Freibe- rufler*innen und Scheinselbstständige, im Mittelpunkt stehen Essens- kurier*innen, die über Online-Plattformen ihr Geld verdienen. Sie werden pro Lieferung bezahlt, Wartezeiten werden nicht entlohnt, Fahrten für die Konkurrenz sind verboten. „Die freiberuflichen Kurier*innen haben keine Sozialversicherung, keine Ferien. Auch für Reparaturen am Fahrrad oder am Auto müssen sie selbst aufkommen“, heißt es im Ausstellungstext. Die Auftraggebenden würden die Lieferzeiten per GPS-Tracking kontrollieren und die Kund*innenzufriedenheit auswerten. Nur wer besonders schnell und effizient arbeitet, erhält den nächsten Auftrag.
In der Ausstellung wird keine Plattform namentlich erwähnt, doch geriet in Luxemburg zuletzt der Lieferdienst WeDely in die Schlagzeilen: Die luxemburgische Gewerbeinspektion reichte 2020 laut einem Artikel des Lëtzebuerger Land sieben Dossiers an die Staatsanwaltschaft weiter; 2021 wurden die Betreiber und Geschäftsführer des Lieferdiensts wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht zu Geldstrafen verurteilt.
Schwerpunkt Prostitution
Weiter geht es in der Schau mit Wanderarbeiter*innen und Einblicken in das Berufsleben von Migrant*innen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Die Kurator*innen legen bei den Wandtexten zum Thema Wert darauf, die Vorteile der Regularisierung der Betroffenen hervorzuheben, wie etwa die Bekämpfung von Ausbeutung, illegaler Beschäftigung, Sozialdumping oder Gewalt gegen Frauen. Während dieses wichtige Kapitel knapp ausfällt, widmen sich die Ausstellungsplaner*innen anschließend kurz den schlechten Arbeitskonditionen in der Fleischindustrie, dann ausführlich der Prostitution und dem digitalen Geschäft mit der Lust.
Gut gemeint, aber schlecht gemacht ist dort der Hinweis auf die besonders schwierige Situation von homosexuellen, trans und drogenabhängigen Sexarbeiter*innen: Leider wird nur ihr erhöhtes Risiko erwähnt, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken, nicht aber die überdurchschnittliche Gewalt, der sie im Vergleich zu anderen Beschäftigten in der Szene ausgesetzt sind.
Auf mehreren Bannern wird derweil der rechtliche Status von Sexarbeit in Luxemburg, Belgien und Deutschland grob umrissen, hinzu kommen Zitate von Prostituierten und Camer*innen – Personen, die sich per Webcam auf Online-Plattformen erotisch in Szene setzen. „Sie werden auf der Grundlage eines für ihre Leistung in ihren privaten Showrooms festgelegten Stundensatzes mit Trinkgeldern entlohnt, die ihre Kunden spontan per Kreditkarte bezahlen“, steht hierzu im Begleittext.
Die führende Plattform auf dem Camming-Markt habe ihren Sitz in Luxemburg und beschäftige fast zwei Millionen Camer*innen, von denen allerdings nur 400.000 aktiv seien. Letztere würden zwischen 35 und 80 Prozent des Geldes erhalten, das sie erwirtschaften, den Rest behalte sich die Hosting-Website als Provision vor. Auch hier verraten die Ausstellungsmacher*innen nicht, welche Plattform gemeint ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie auf Mindgeek anspielen, die Firma hinter den Websites Pornhub und Youporn. Zahlreiche Medien, darunter die woxx und Reporter, berichteten die letzten Jahre über das Unternehmen und seine Skandale. Den Betreiber*innen wird unter anderem vorgeworfen, die Verbreitung von Videos sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige zu ermöglichen. Wer Interesse am Thema und Zugang zu Netflix hat: Die Doku „Money Shot: The Pornhub Story“ rollt die Geschehnisse noch ein Mal auf, vornehmlich aus der Sicht von Sexarbeiter*innen und Camer*innen, die dadurch in finanzielle Notlagen geraten sind.
Davon ist in „Unfree Labour“ keine Rede, dafür leitet ein Vorhang aus Bilderstreifen das Kapitel zu Au-Pairs ein. Erneut stehen Luxemburg, Belgien und Deutschland im Vergleich zueinander. So geht beispielsweise aus der Ausstellung hervor, dass die Organisation Fairwork Belgium sich dafür ausspricht, das Au-Pair-System in Arbeitsmigration umzuwandeln, wie vom flämischen Sozial- und Wirtschaftsrat vorgeschlagen. Als solche würden Au-Pairs die gleichen Lohn- und Arbeitsrechte genießen wie Hausangestellte.
Über vergleichbare Debatten in Luxemburg schweigen die Ausstellungsmacher*innen, dabei gäbe es einiges zu erzählen: Die woxx schrieb 2021 über durchwachsene Erfahrungen von Au-Pairs mit dem für sie zuständigen Service national de la jeunesse (SNJ) und ihren Gastfamilien; ging auf die neue Partnerschaft zwischen dem SNJ und dem Privatunternehmen Luxaupair sowie auf die hitzigen Debatten um Luxemburgs Austritt aus dem „Europäischen Übereinkommen über die Au-Pair-Beschäftigung“ im Jahr 2002 ein. Von Menschenhandel in Verbindung mit dem Au-Pair-System ist zwar ansatzweise die Rede, die Schau beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, dass „die jungen Mädchen“ oft schlecht über ihre Rechte informiert seien und im Falle von Ausbeutung wenig Unterstützung erhielten.
Ähnlich ergeht es Arbeiter*innen im Strafvollzug, deren Anliegen laut Kurator*innen wenig Anklang in der Politik finden. Während die Arbeit im Strafvollzug in Luxemburg obligatorisch für rechtskräftig verurteilte Straftäter*innen und fakultativ für alle anderen Häftlinge ist, besteht diese Pflicht in Belgien gar nicht und in Deutschland nur in vereinzelten Bundesländern. Keines der drei Länder käme jedenfalls den internationalen Richtlinien für Gefängnisarbeit nach, zum Beispiel im Hinblick auf die Löhne, die Art der Arbeitsverträge oder die Ausbildungspolitik für die Gefangenen. Eindrücke von angestellten Häftlingen ergänzen das Kapitel.
Die Schau ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Lehrkräften, Studierenden der Universtität Luxemburg sowie der École supérieure des Arts Saint-Luc Liège und vier Museen (Musée vun der Aarbecht, DASA Dortmund, La Fonderie Bruxelles, Le Bois du Cazier Charleroi). Die Inhalte kamen bei einem partizipativem Workshop im Oktober 2020 zustande, bei dem junge Erwachsene die Schwerpunkte festlegten.
Diese sind gut gewählt, nur wird der überschaubare Ausstellungsraum in Tetingen ihrer Komplexität nicht immer gerecht. Dadurch wirkt die getroffene Auswahl wiederrum willkürlich und lässt die Besucher*innen mit der Frage zurück: Warum ausgerechnet diese Beispiele? An manchen Stellen wären weiterführende Informationen oder ein stärkerer Bezug zu Luxemburg wünschenswert, an anderen Stationen hätte ein Tick weniger Dekor Raum für mehr Inhalt gelassen. Trotzdem ist „Unfree Labor: Who Has the Choice?“ einen Abstecher wert, besonders für Menschen, die bisher keine Berührungspunkte mit den Ausstellungsthemen hatten.