Nato-Gipfel in Den Haag: Zusagen und Zahlenspiele

Ganze fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Nato-Mitgliedsstaaten sollen spätestens ab 2035 jährlich in den Militärhaushalt fließen. Doch was in Den Haag vereinbart wurde, wird noch für Rechenübungen sorgen.

(Foto: EPA/Robin van Lonkhuijsen)

Am Mittwoch wurde offiziell verabschiedet, was bereits vor dem Gipfel in Den Haag von Politik und Medien als größter Umbruch in der Geschichte der Nato bezeichnet worden ist: Fünf Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) werden die Mitglieder des Bündnisses künftig aufwenden, um ihr Militär auf Vordermann zu bringen. Dabei hatten sich noch bis kurz vor dem Gipfel mehrere Staaten abgemüht, mit einiger Trickserei das alte Ziel von zwei Prozent zu realisieren. In spätestens zehn Jahren jedoch sollen alle ein Ausgabenniveau erreicht haben, das mehr als doppelt so hoch ist und sämtliche bisherigen Vorstellungen sprengt. Davon können 1,5 Prozent über „verteidigungsrelevante Infrastruktur“ abgerechnet werden, zu denen unter anderem der Straßenbau gehört. Solche Ausgaben sind in vielen Haushalten auch unter zivilen Gesichtspunkten bereits vorgesehen. Die restlichen 3,5 Prozent sollen aber unmittelbar in Rüstung und Armee fließen. Das neue Ziel geht auf eine entsprechende Forderung von US-Präsident Donald Trump zurück.

Das geplante Budget klingt astronomisch. Doch laut Nato entspricht es den Summen, die die jeweiligen Mitgliedsstaaten aufwenden müssen, um maßgeschneiderte militärische Kapazitäten zu entwickeln. Angesichts der Bedrohung, die von der Russischen Föderation unter Wladimir Putin ausgehe, sei dies unabdingbar, wie viele der Staats- und Regierungschefs bei ihrer Ankunft am Mittwochmorgen betonten. Die spanische Regierung ließ indes wissen, dass man die geforderten Fähigkeiten mit einem geringeren Prozentsatz (2,1 Prozent) zu erfüllen gedenke. Träfe dies zu, müsse Spaniens Auslegung der neuen Regelung für alle gelten, meinte daraufhin Belgiens Premierminister Bart de Wever.

„Den Weg dahin muss jeder Staat selbst beschließen“, so der luxemburgische Premierminister Luc Frieden. Dies hänge auch von der jeweiligen geografischen Lage ab. Offen ließ er, was das konkret für Luxemburg bedeute: „Wir werden unsere Ausgaben in den nächsten zehn Jahren steigern“, sagte er. Sich auf Prozente zu fokussieren, mache dabei allerdings keinen Sinn. Zudem hätten die Nato-Staaten eine Klausel verabredet, um die Situation 2029 noch einmal zu evaluieren, denn „die Welt ändert sich derzeit sehr schnell“.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sagte, er halte das neue Ziel, gegen das er kein Veto einlegte, für nicht erreichbar. Ohnehin sei nicht die Sicherheit, sondern die mangelnde ökonomische Konkurrenzfähigkeit das größte Problem Europas. Gerade durch die Aufrüstung erhoffen sich indes nicht wenige der 32 Nato-Mitgliedsstaaten vermutlich einen wirtschaftlichen Schub. Die geplanten Investitionen könnten „einen kräftigen Rückenwind für wichtige Branchen auslösen“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im vergangenen März. „In gewisser Weise befinden wir uns bereits in einer Kriegsökonomie“, sagte der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur gegenüber der woxx mit Blick auf den explosionsartig gestiegenen Militärhaushalt nicht nur in seinem Land. Die Auftragsbücher vieler Rüstungsunternehmen seien auf Jahre hin ausgebucht.

Ukraine unter Druck

Neben der Frage der Finanzierung war die Ukraine eines der wichtigsten Themen des Gipfels, auch wenn es dieses Mal keine eigene Arbeitssitzung dazu gab. Dem Land stehe ein „sehr schwieriger Sommer“ bevor, sagte ein hochrangiger Beamter der Nato angesichts der jüngsten russischen Geländegewinne auf dem Schlachtfeld. Diese seien zwar „klein“, aber dennoch ernst zu nehmen. Zugleich hätten die Angriffe auf ukrainische Städte ein neues Niveau erreicht. Für ernstgemeinte Friedensverhandlungen sehe er keine Perspektive, so der Nato-Beamte, denn die Kriegsziele Putins hätten sich nicht verändert.

„Als jemand, der die Arbeitnehmer in der Ukraine vertritt“, nehme sie die Notwendigkeit, „Europas Fähigkeiten im Bereich Sicherheit und Verteidigung zu verbessern“, sehr ernst, teilte Esther Lynch, die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (ETUC), am Randes des Nato-Gipfels mit: „Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben darf jedoch nicht zu Angriffen auf den Lebensstandard der Menschen in ganz Europa führen.“ Déi Lénk bezeichneten das neue Finanzierungsziel in einer Presseerklärung als „Katastrophe“. Um US-Präsident Trumps Wünsche zu erfüllen, nehme man „massiven Sozialabbau und eine Militarisierung der Gesellschaft“ in Kauf.


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