In Portugal wird das weltweit sechstgrößte Lithiumvorkommen vermutet, und das größte in Europa. Dieses soll nun die Energiewende mit ermöglichen, vor allem aber ein lukratives Geschäft. Doch gegen den umweltschädlichen Tagebau gibt es massiven Widerstand, insbesondere in der Region selbst.
Die „Serra d‘Arga“ ist ein einzigartiges Gebirge im Norden Portugals, das sich unter anderem zur malerischen Kleinstadt Caminha hin erstreckt. Hier, wo der Grenzfluss Minho in den Atlantik mündet, trennt er gleichzeitig Portugal von Galicien in Spanien ab. Hinter Caminha und dem größeren Viana do Castelo türmt sich am Atlantik das Serra-Gebirge bis auf eine Höhe von 800 Metern auf. Der Höhenzug bezaubert durch viele Seen und Wasserfälle und eine einzigartige Flora, in der etliche bedrohte Arten zu finden sind. Das Gebiet gehört zur Route des atlantischen Wolfs. Der zieht auf seinen Wegen auf der Iberischen Halbinsel auch durch die abgelegene Barroso-Region, die zu einem guten Teil weiter östlich im Landesinneren zum grenzüberschreitenden Biosphären- reservat Gerês-Xurés gehört.
Genau hier, in der Serra d‘Arga und der Barroso-Region, soll nach dem Willen von Bergbauunternehmen nun Tagebau im großen Stil betrieben werden. Mit dieser besonders umweltschädlichen Abbaumethode möchte man jenes Rohstoffes habhaft werden, den die sozialistische Regierung in Lissabon schon als das „weiße Gold Portugals“ bezeichnet: Lithium.
Das Leichtmetall ist der Stoff, aus dem viele Träume eines „grünen“ Kapitalismus gesponnen werden (woxx 1641 „Schatzsuche mit Mikro- organismen“). Es wird für die Batterien in Laptops, Tablets und Smartphones benötigt, aber in großem Stil vor allem für Elektroautos, um die Umstellung des Individualverkehrs auf die angeblich umweltfreundliche Elektromobilität zu schaffen (woxx 1624 „Europäisches Lithium?“).
Im Norden Portugals regt sich allerdings längst massiver Widerstand gegen die Pläne, einzigartige Landschaften ausgerechnet im Namen des Umweltschutzes zu opfern. Während die regierenden Sozialisten vom „Partido Socialista“ (PS) in Lissabon das Vorhaben vorantreiben, stellen sich Bewohner und Parteigänger in den betroffenen Regionen quer. „Wir werden alles tun, um den Lithiumabbau in der Serra d‘Arga zu stoppen“, sagt Luís Nobre, der für den PS im Stadtrat von Viana do Castelo sitzt, der woxx. Für ihn geht es um nicht weniger als um das ökologische Erbe der gesamten Region.
„Unsere Mine heißt Biodiversität“, ist sich Nobre mit seinem Parteikollegen Miguel Alves einig, der Bürgermeister von Caminha ist. Alves spricht von einer „sehr rationalen, keinesfalls emotionalen Position“. Er will keine Bergarbeiter in Naturschutzgebieten sehen. „Wir werden das Projekt unter keinem Umständen genehmigen“, so der Bürgermeister, der bei den Kommunalwahlen Ende September in seinem Amt bestätigt worden ist. In seinem Gemeinderat regiert der PS mit absoluter Mehrheit.
Alves setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Serra d‘Arga als Landschaftsschutzgebiet eingestuft wird, um es so vor einem Zugriff auf die Bodenschätze zu bewahren. „Am Boden zerstört“ sei er, dass zeitgleich mit den Wahlen die öffentlichen Konsultationen begonnen haben, mit denen die Umweltverträglichkeit der Suche nach und Ausbeutung von Lithiumvorkommen geprüft werden soll. Alves kritisiert dieses Vorgehen seiner Parteigenossen als „katastrophal“. Nun schössen Spekulationen ins Kraut, dass die Wahlen absichtlich abgewartet wurden, damit die weitere Entwicklung sich in ihnen nicht niederschlägt. Ohnehin musste die PS Verluste hinnehmen.
„Unsere Mine heißt Biodiversität!“
Einig ist sich Alves in der Ablehnung des Bergwerks auch mit den Kommunisten vom „Partido Comunista Português“ (PCP) und dem marxistischen Linksblock „Bloco de Esquerda“ (BE). Im konservativen Lager ist man hingegen eher gespalten. Beim „Partido Social Democrata“ (PSD), den „Sozialdemokraten“, wie sich die rechte Partei nennt, erkennen einige in den Minen auch Chancen für die betroffenen Regionen. In Viana do Castelo bezahlte der PSD seine Position daher mit Stimmverlusten.
Allerdings hat der im Januar im Amt bestätigte portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa (PSD) gegenüber der Regierung seine Haltung unmissverständlich deutlich gemacht: „Ich glaube nicht, dass es jemals eine Mine im Serra-Gebirge geben wird“, so Rebelo de Sousa gegenüber „Caminha Radio“. Und in der Tat scheinen die Abbaugegner in der Serra d‘Arga erfolgreich zu sein. Nun hängt es vor allem von der Umweltverträglichkeitsprüfung ab, ob das Gebirge als Landschaftsschutzgebiet deklariert wird.
Anders sieht es dagegen in der Barroso-Region aus. „HELP“ wurde dort von der Bevölkerung im Sommer in riesigen Lettern in die Weidelandschaft gemäht. Dort im Landesinneren sind die Entwicklungen schon weiter fortgeschritten. Probebohrungen wurden durchgeführt, die Interessen von diversen Bergbaufirmen formuliert. Es handelt sich um Portugals am weitesten vorangetriebenes Lithium-Projekt. Das britische Unternehmen „Savannah Resources“, das bisher nur Tagebau in Mosambik betreibt, hat sich 2017 in das Gebiet eingekauft. Es spricht von der „bedeutendsten Lithiumlagerstätte in Westeuropa“. 175.000 Tonnen des Lithium-Minerals Spodumen will der Bergbaukonzern gewinnen.
Tourismus spielt in der ehemaligen Provinz „Trás-os-Montes“ (Hinter den Bergen), anders als in der Serra d’Arga, eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl hat Präsident Rebelo de Sousa auch das Landesinnere betreffend Zweifel, ob angesichts der komplexen rechtlichen Lage dort jemals Lithium gefördert werden wird. Ein entsprechendes Dekret, dass vom Kabinett im November zur Neuregelung von derlei Aktivitäten verabschiedet wurde, hat der Staatschef nicht unterzeichnet, sondern zur Neuformulierung an die Regierung zurückgegeben. Zu dieser Weigerung hatten ihn nicht zuletzt Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen gedrängt.
Märchen vom „green mining“
Nun hoffen die Bewohner im Barroso-Gebiet auf die Aussagen des Staatschefs, ohne diesen wirklich zu trauen. Der Vorsitzende der örtlichen Bürgerinitiative zur Verteidigung des Barroso fragt sich, wieso Rebelo de Sousa, der schließlich „alle und jeden“ besuche, nicht auch in die Barroso-Region kommt. „Wir vermissen Erklärungen von ihm und vom Regierungschef“, fügt der Landwirt und Viehzüchter Nelson Gomes hinzu. Nach einer dreimonatigen öffentlichen Anhörung wartet „Savannah Resources“ nun auf das Gutachten der Umweltbehörde, die sich mit 170 Einsprüchen beschäftigen muss. Das Ergebnis soll im November bekannt gemacht werden. Sollte es die Unbedenklichkeit des Abbaus erklären, stünde dessen Beginn kaum mehr etwas entgegen.
Einen Fortschritt, der ihre Ressourcen in wenigen Jahren zu zerstören droht, wollen die Menschen hier in Trás-os-Montes nicht. Denn auch hier findet sich ein besonderes Gebiet, dass deshalb 2018 von der „Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen“ (FAO) zum ersten landwirtschaftlichen Weltkulturerbe Portugals erklärt worden ist. Barroso gehört nun zu den sieben Gebieten in Europa, die als Standort des „Global Important Agricultural Heritage Systems“ (GIAHS) eingestuft sind. Gemeint sind damit traditionelle landwirtschaftliche Systeme, die laut FAO „aufgrund ihrer herausragenden Merkmale“ wie traditionelles Wissen, ihre biologische Vielfalt, ihr sozioökonomisches Modell oder auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber menschlichen, klimatischen und ökologischen Veränderungen dazu beitragen können, die Bewirtschaftung moderner landwirtschaftlicher Systeme zu verbessern.
Hierbei bezieht die FAO auch die dortige Viehzucht mit ein. Aus der Region stammt die Rinderrasse Barrosã, die zwischenzeitig vom Aussterben bedroht war und nach Meinung vieler Portugiesen das beste Fleisch liefert. Die Region sticht aber auch durch die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Agrar- und Weideflächen auf den sogenannten „Baldios“ hervor. Kollektiv werden hier auch Wasserressourcen und Wälder bewirtschaftet.
Die Bevölkerung fürchtet, dass all das durch eine ohnehin nur kurzfristige Aktivität zerstört wird. Lediglich für die Dauer von 16 Jahren soll in der Region nach Lithium gegraben werden. Für den Vorsitzenden der Bürgerinitiative ist es ein Unding, dass vier riesige Löcher entstehen sollen, „die 150 Meter tief und 600 Meter breit“ werden. Darüber hinaus würden riesige Abraumhalden entstehen. Damit werde die Landschaft für immer zerstört, meint Landwirt Gomes. Wie die gesamte Bevölkerung geht auch er davon aus, dass das Wasser der Region dauerhaft verunreinigt werde. Sogar ein ganzer Fluss müsste umgeleitet werden.
Von den üblichen Versprechen, es würden dank des Abbaus Arbeitsplätze und Infrastruktur geschaffen, hält man in der Region angesichts der drohenden Umweltzerstörung im Tagebau, der ständigen Sprengungen und erwartbaren Staubentwicklung wenig. Ganze 600.000 Euro pro Jahr will „Savannah Ressources“ an Ausgleichszahlungen leisten; in den Augen der Gegner ein lächerlicher Betrag. Ohnehin sollen in dem geplanten Bergwerk lediglich 200 Arbeitsplätze geschaffen werden, sieht man von der Weiterverarbeitung ab.
„Lithium-Lobby in der Regierung“
Bezieht man diese jedoch mit ein, würden 600 weitere Arbeitsplätze entstehen, versichert David Archer, Geschäftsführer von „Savannah Ressources“ gegenüber der Tageszeitung „Diário de Notícias“. Er ist überzeugt, dass die Regierung den „Lithium-Abbau für Europa“, wie er es mit Blick auf den angespannten Weltmarkt nennt, genehmigen wird. Er spricht auch von „green mining“. Mit diesem Euphemismus soll suggeriert werden, dass Bergbau auch umweltschonend betrieben werden könne.
Auch die EU-Kommission setzt im Rahmen ihres angeblichen „Green Deal“ verstärkt auf den Abbau von Bodenschätzen in den verschiedenen Mitgliedsländern. Archer greift die damit verbundene Argumentation auf und versichert, dank der Verwendung von Lithium könne der Ausstoß von bis zu 100 Millionen Tonnen des Treibhausgases CO2 verhindert werden. Die portugiesische Umweltorganisation „Quercus“ rechnet hingegen vor, der Bau und Betrieb jeder Lithiummine verursache etwa 1,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die geplante Barroso-Mine liege mit 2,43 Millionen Tonnen pro Jahr sogar noch deutlich darüber.
Von den vermeintlichen Segnungen, die mit den Minen kommen sollen, halten die Abbaugegner in den betroffenen Regionen daher wenig, und auch die örtlichen Autoritäten glauben den Versprechungen nicht. Immerhin gestand selbst der „Savannah Ressources“-Geschäftsführer Archer ein, dass es sich bei den geplanten Arbeitsplätzen vor allem um spezialisierte Stellen handeln soll. Der Abbau selbst ist weitgehend automatisiert. Archer spricht deshalb von „Geologen, Umweltwissenschaftlern, Buchhaltern und IT-Technikern“. Die Gehälter solcher Spezialisten liegen zwar weit über dem Durchschnitt der Region, allerdings sind diese Berufsgruppen in der von Landwirtschaft geprägten Region nicht zu finden.
So geht auch Fernando Queiroga, Bürgermeister der rund 5.000 Einwohner umfassenden Gemeinde Boticas – eine der größeren in der Region – davon aus, dass die Arbeitsplätze an Personen gehen, die nicht aus der Gegend kommen. Sie würden „morgens im Auto kommen und am Ende des Tages in andere Gemeinden zurückkehren“, ist Queiroga überzeugt. Dadurch werde regional kein Wohlstand geschaffen, so der konservative PSD-Politiker. Durch den Bergbau würden vielmehr „andere Arbeitsplätze zerstört, die wir im ländlichen Tourismus, in der Gastronomie und in der Landwirtschaft haben“. Den vagen Aussagen seitens des Unternehmens und der Regierung, es werde Lithium nicht nur ab-, sondern eine ganze Wertschöpfungskette aufgebaut, wie eine Lithiumraffinerie und eine Batteriefabrik, wird hier ebenfalls kein Glauben geschenkt.
Weniger einhellig als hinsichtlich der Arbeitsplätze beurteilt man allerdings das Umweltschutzargument. Deshalb sei es mit der Unterstützung des Widerstands gegen die Bergwerke durch die traditionellen Umweltorganisationen bislang noch nicht allzu weit her, so Catarina Alves von der örtlichen Bürgerinitiative in Covas de Barroso. Einige glaubten, dass für eine Energiewende Opfer erbracht werden müssen.
„In der Regierung hat sich eine Lithium-Lobby festgesetzt“, so Alves über die von Lissabon aus betriebene Politik. Man wolle Portugal mit Unterstützung der EU zum „Big Player in Sachen Lithium in Europa“ machen. Klare Unterstützung bekomme die Bewegung indes von den portugiesischen Grünen und auch von der Klimastreik-Bewegung. Die internationale Solidarität sei ebenfalls von entscheidender Bedeutung“. Zudem streicht Alves die „grundlegende Rolle der Frauen“ im Widerstand gegen die Bergwerke heraus: „Sie waren die ersten, die erkannten, was auf dem Spiel stand und die langfristig dachten; sie sind die treibende Kraft der Bewegung gegen die Bergwerke“.
Kritisiert wird von Aktivistinnen wie Alves nicht zuletzt das Argument, dass Lithium-Autos nachhaltig seien. So verweist man auf die kurze Lebensdauer der Batterien und die Probleme beim Recycling. Überdies sei der Preis von Elektroautos sehr hoch und diese damit nur für wenige zugänglich. Vor allem jedoch folge man weiter der Logik des Individualverkehrs anstatt mit der Schaffung und dem Ausbau öffentlicher Verkehrsnetze einen Paradigmenwechsel voranzutreiben. Mit der Übergangsstrategie Lithium lasse sich die klimapolitische Krise jedenfalls nicht bewältigen. Davon sind die Minen-Gegner überzeugt.