Rassimus in Luxemburg: Zahlen des Hasses

Ausländer*innen machen über 47 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung aus. Das mag ein Indiz für kulturelle Offenheit sein, ist aber auch ein Nährboden für Rassismus, wie die neue Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“ offenbart.

50,3 Prozent der Ortsansässigen finden, dass die Identifizierung und die Bestrafung von Diskriminierung unzureichend ist – 68,4 Prozent sind gar der Ansicht, dass neue Richtlinien notwendig sind, vor allem in der Arbeitswelt und im Bildungsbereich. (Copyright: Pexels/Pavel Danilyuk)

Die luxemburgische Abgeordnetenkammer hatte sie im Juli 2020 gefordert, jetzt liegen die Zahlen und Daten zu Rassismus und ethnischer Diskriminierung im Großherzogtum vor: Am Dienstag veröffentlichten das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) und das Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales (Cefis) die Studie „Le racisme et les discriminations ethno-raciales au Luxembourg“, die auf Anfrage des Ministerium für Familie, Integration und die Großregion entstanden ist. Der Wunsch nach Zahlen zu Rassismus war laut geworden, nachdem Luxemburg 2018 im Bericht „Being Black in the EU“ der Europäischen Union für Grundrechte schlecht abgeschnitten hatte. Eine Bestnote erhält Luxemburg auch nach der Studie des Liser und des Cefis nicht: Die bestätigt vielmehr, dass Menschen in Luxemburg aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Herkunft stark diskriminiert werden.

Die Studie setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Das Liser führte eine Online-Befragung durch, an der sich 2.949 volljährige Ortsansässige beteiligten; das Cefis suchte den Dialog mit 67 Strukturen, die sich direkt oder indirekt mit Rassismus und Diskriminierung beschäftigen, und mit 139 Expert*innen auf diesem Gebiet. Die Eindrücke der Ortsansässigen, der Strukturen und der Expert*innen überschneiden sich bis auf wenige Ausnahmen. Was hervorsticht, ist die Diskrepanz zwischen der Gesetzeslage und der Lebensrealität betroffener Menschen.

In Luxemburg gilt seit November 2006 ein Gleichbehandlungsgesetz, nach dem Rassismus und Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft strafbar sind. Die Opfer entsprechender Angriffe machen von diesem Gesetz kaum Gebrauch, wie die Studie aufdeckt: 66,6 Prozent der Studienteilnehmer*innen, die Opfer von Rassismus oder „discrimination ethno-sociale“ geworden sind, meldeten die Vorfälle nicht. Die meistgenannten Begründungen: ein Mangel an Informationen und die Komplexität entsprechender Verfahren. Darüber hinaus empfanden die Betroffenen ihr Anliegen als unwichtig oder waren der Ansicht, eine Anzeige ändere nichts. Die Strukturen und Expert*innen, die vom Cefis zum Thema befragt wurden, warfen weitere Motive ein: Für Betroffene sei es teilweise schwer, die erlebte Gewalt zu verbalisieren oder sie als solche zu erkennen. Generell gebe es eine gewisse Zurückhaltung, Straftaten anzuzeigen.

Zwischen Theorie und Praxis

2020 eröffnete die Kriminalpolizei dennoch 191 Dossiers, die den Aufruf zum Hass gegen rassifizierte Personen zum Gegenstand hatten. Davon wurden 78 an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. 76 dieser Fälle wurden ursprünglich über die Plattform Bee Secure Stopline gemeldet, was die Wichtigkeit dieser Anlaufstelle unterstreicht. Die Kriminalpolizei zeigt sich in der Studie besorgt über aktuelle Entwicklungen: „L’année 2020 est également marquée par l’apparition de la menace liée à la mouvance de l’extrême droite au Luxembourg. Très actifs sur des réseaux et plateformes cryptés, des auteurs souvent très jeunes échangent leurs idées imprégnées entre autres de racisme et d’antisémitisme, avec une propension de plus en plus violente.“

Ein Fall, der 2020 öffentlich wurde, ist der von Antónia Ganeto, Sprecherin von Finkapé, einem anti-rassistischen Netzwerk: Die Aktivistin erstattete Anzeige gegen einen Hassredner im Internet. Sie war sexistisch und rassistisch angegriffen worden, nachdem sie beim Frauenstreik in ein Megafon des Künstler*innenkollektivs Richtung22 gesprochen hatte, auf dem ein Aufkleber mit dem Slogan „Lëtzebuerg, du hannerhältegt Stéck Schäiss“ prangte. Der Vorfall liegt eine Weile zurück, doch ist er beispielhaft für ein weiteres Phänomen, das in der Studie aufgegriffen wird: die Mehrfachdiskriminierung. Ganeto wurde nicht nur aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihres Geschlechts angefeindet. Das scheint hierzulande keine Seltenheit zu sein: „Les experts reconnaissent (…) l’importance de prendre en compte l’intersectionnalité du racisme et des discriminations avec, en plus du phénotype, l’accumulation des stigmates suivants : femme, catégorie socio-économique modeste ou monoparentale, non-connaissance du luxembourgeois ou d’une langue officielle.“

CC-BY-NC 2.0 strassenstriche.net

Selbst wer die Landessprachen beherrscht, stößt auf Hürden, unter anderem auf der Wohnungssuche. Die woxx berichtete im April 2021 von Fatima, einer alleinerziehenden Mutter marokkanischer Herkunft, die bei der Wohnungssuche kategorisch abgelehnt wurde. „Une agence a refusé mon dossier avant la visite à cause de mon statut familial. Un autre bailleur n’acceptait que des personnes parlant le luxembourgeois comme locataire. Heureusement je maîtrise le luxembourgeois et pourtant on ne m’a pas donné l’appartement“, erzählte sie der woxx. Das erinnert an weitere Zahlen aus der Studie des Liser und des Cefis: 11,1 Prozent der Befragten wollen schon allein Nachbar*innen einer bestimmten ethnischen Herkunft vermeiden, vor allem Luxemburger*innen über 55. Am unbeliebtesten sind arabische und muslimische Personen im Nachbarhaus. Organisationen, die sich für den Zugang zum Wohnungsmarkt einsetzen, berichten ebenfalls von rassistischen Diskursen, wenn es um die Verteilung von Wohnraum geht: „Les personnes qui nous appellent avec un discours raciste contre d’autres qui prendraient les logements à des Luxembourgeois. C’est la recherche du coupable de la crise du logement.“

Insgesamt wurden 13,7 Prozent der Studienteilnehmer*innen bei der Wohnungssuche Opfer von Rassismus und „discrimination ethno-sociale“. Bei Schwarzen Personen beträgt dieser Wert 37 Prozent, bei arabischen Muslim*innen 32 Prozent und bei Portugies*innen 26 Prozent. Der Wohnungsmarkt gilt damit neben der Arbeitswelt als einer der Bereiche, in denen Menschen am stärksten unter Diskriminierungen leiden. Die Hälfte aller Befragten gab an, dass diese oft bis sehr oft auf die Hautfarbe (48,3%), mangelnde Kenntnisse der luxemburgischen Sprache (48,8%), die vermutete Herkunft (40,4%) oder Anzeichen einer bestimmten Kultur (47,6%) zurückzuführen seien.

Um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen, schlagen die Expert*innen die Einrichtung einer Helpline vor, über die Akteur*innen der Branche die „clients-propriétaires“ melden können, die diskriminierend handeln, sowie die Einführung einer „clause de non-discrimination“ im Vertrag zwischen den Kund*innen und der Immobilienagentur. Es gibt bereits mehrere Bemühungen in diese Richtung: Unter anderem im Code de déontologie der Chambre immobilière du Grand-Duché de Luxembourg (CIGDL) ist die Diskriminierung von Kund*innen untersagt.

Dass dies Diskriminierungen bei der Wohnungssuche nicht verhindert, ist wiederum darauf zurückzuführen, dass Rassismus in Luxemburg allgegenwärtig ist: 54,9 Prozent der vom Liser befragten Menschen wurden aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Herkunft ungleich behandelt. 36,9 Prozent der Befragten bestätigen, dass Rassismus in Luxemburg in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. 29,7 Prozent von ihnen haben Angst, dass rassistische Angriffe in Zukunft häufiger werden, vor allem Schwarze Menschen äußerten diese Bedenken (38,4 Prozent). Erschreckend ist auch, dass 15,2 Prozent aller Befragten angab, rassistische Reaktionen seien manchmal gerechtfertigt. Leider gibt die Studie keine Auskunft über den Kontext, in dem diese Aussagen gefallen sind.

Das sind nur wenige der vielen Eindrücke, die die Studie gibt. Auf über 200 Seiten werden unzählige Daten und Lösungsvorschläge vermittelt, die der zuständigen Ministerin Corinne Cahen nun als Leitlinie für ihre Integrationspolitik dienen können. Auf Nachfrage der woxx, was vonseiten des Ministeriums auf die Studienergebnisse folgen wird, verwies eine Pressesprecherin zunächst auf die laufenden Projekte des „Plan d’action national“ für Integration: Diese sollen erst ausgewertet und anschließend weiter ausgebaut werden. Mitte des Jahres soll eine „formation spéciale“ zu „diversité et non-discrimination“ für Gemeindemitarbeiter*innen angeboten werden und das Cefis wurde mit einer weiteren Recherche über Opfer von Rassismus, ihre Erfahrungen und ihre Strategien beauftragt. Außerdem sind öffentliche Veranstaltungen zu Rassismus und Diskriminierung geplant. Am Ende erinnert die Pressesprecherin an eine Aussage von Corinne Cahen während der Pressekonferenz zur Studie: „Die Ministerin hat (…) daran erinnert, dass das Ministerium nur Sensibilisierungs- und Fortbildungsarbeit machen kann. Sie hat unterstrichen, dass es Bemühungen der gesamten Regierung braucht und dass sich jedes Ministerium einbringen muss, wenn es um die Bekämpfung von Rassismus geht.“

36,9 Prozent der Befragten bestätigen, dass Rassismus in Luxemburg in den letzten fünf Jahren gestiegen ist. 29,7 Prozent von ihnen haben Angst, dass rassistische Angriffe in Zukunft weiter zunehmen, vor allem Schwarze Menschen äußerten diese Bedenken (38,4 Prozent).


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