Rassismus in Luxemburg: „Es hat sich nichts verbessert“

Wenn die am Mittwoch stattgefundene Diskussionsrunde über Rassismus in Luxemburg eins deutlich machte dann das: So problematisch die Argumentationsweise der Ministerin auch ist, sie liefert eine plausible Erklärung für die Trägheit der Regierung.

V.l.n.r.: Antónia Ganeto, 
Michael Flaherty, 
Michel-Édouard Ruben, 
Corinne Cahen, 
Jean-Paul Lehners (© cet.lu)

Das Auditorium im hauptstädtischen Cercle Cité war am Mittwoch proppenvoll. Bereits vor Wochen war der letzte Sitzplatz reserviert worden. Auf dem Programm stand eine Diskussionsrunde über die Ergebnisse der Ende letzten Jahres veröffentlichten „Being Black in the EU“-Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Im Fokus standen die Befunde bezüglich Luxemburg: die Zahlen, die Mängel, die Forderungen.

Die Akteur*innen vom Feld sind sich eins, dass hierzulande zu wenig gegen rassistisch motivierte Diskriminierung unternommen wird, es an Sensibilisierung, Weiterbildung und einer den Problemen angemessenen Gesetzeslage mangelt. Auch der Umstand, dass es dem „Zentrum für Gleichbehandlung“ (CET) sowohl an finanziellen Mitteln als auch an Personal mangelt, wird seit vielen Jahren von vielen Seiten angeprangert. Es herrscht Konsens darüber, dass die einzelnen Organisationen alles in ihrer Macht stehende tun. Woran es hapert, ist der politische Wille.

In Anbetracht dessen konnte man gespannt sein, wie der Austausch zwischen den Akteur*innen und Integrationsministerin Corinne Cahen verlaufen würde. Diese hatte zuletzt in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage wenig Bewusstsein für die Problematik an den Tag gelegt. Danach gefragt, mit welchen Maßnahmen die Regierung auf die Befunde der „Being Black“-Studie zu reagieren gedenke, hatte Cahen den größten Teil ihrer Antwort darauf verwendet, deren Ergebnisse zu relativieren und sich hinter Aktivitäten und Aussagen des CET zu verstecken.

Mangel an Daten und Ressourcen

Den Anfang der Diskussion machte Michael O’Flaherty, Direktor der Agentur für Menschenrechte, der die zentralen Studienergebnisse für Luxemburg in Erinnerung rief. Schwarze Menschen werden hierzulande in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Bildung stärker diskriminiert und sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt als es im Schnitt in anderen EU-Ländern der Fall ist. Rund 14 Prozent aller in Luxemburg lebenden schwarzen Menschen haben Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen. In Anbetracht dessen äußerte O’Flaherty drei Forderungen. Erstens müsse der nationale Aktionsplan für Integration vollständig umgesetzt werden. Zweitens bedürfe es einer nationalen Verpflichtung zur verstärkten wissenschaftlichen Erforschung der Problematik. Und drittens müsse ausreichend in Organisationen investiert werden, die sich dem Themenfeld widmen.

Anschließend stellte Mirlene Fonseca von „Finkapé Réseau Afrodescendant Luxembourg“ in groben Zügen die Ergebnisse ihrer Masterarbeit dar. Die Wissenschaftlerin hatte junge, in Luxemburg geborene Kapverdianer*innen danach befragt, wie sie ihren Platz in der Gesellschaft sowie ihre eigene Integration darin wahrnehmen. Die Ergebnisse der Studie könnten deutlicher nicht sein: Demnach ist die Schule der Ort, an dem den Befragten zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl vermittelt wird, anders zu sein. Nach wie vor bestehe das Vorurteil, dass schwarze Schüler*innen nicht in den „Classique“ gehören. Alle Befragten hätten angegeben, sich selbst als Luxemburger*innen zu begreifen, hätten aber nicht den Eindruck, auch von ihren weißen Mitmenschen so wahrgenommen zu werden. „Ces notions de différence et surtout d’étranger vont poursuivre les jeunes tout au long de leur vie et dans leur quotidien, que ce soit à travers de remarques, de comportements à leur égard.“

„Je suis profondément choquée, parce que je ne pensais pas effectivement que les préjugés étaient toujours aussi forts“, sagte Corinne Cahen zu Beginn ihrer Intervention. „Il est vrai que, et je pense que c’est le cas pour beaucoup de monde ici, c’est difficile de comprendre les gens qui ont de telles façons de penser si on ne l’est pas du tout soi-même. Je ne peux pas comprendre comment on peut juger une personne par rapport à son aspect physique.“ Betroffene rief die Integrationsministerin dazu auf, sich rassistische Diskriminierung nicht gefallen zu lassen und erinnerte an die Tatsache, dass Unternehmen, die „Diversität leben“, laut Statistiken wirtschaftlich erfolgreicher seien. Zum Schluss ihres Redebeitrags wollte sie nicht ungesagt lassen, dass es nicht nur weiße, sondern auch schwarze Menschen gebe, die Vorurteile gegenüber Schwarzen hegten.

Moderator Michel-Edouard Ruben der Fondation Idea hielt den Ausführungen der Ministerin, wenn auch sehr diplomatisch, einiges entgegen. So stellte er die Frage, wer im Raum sich selbst als rassistisch bezeichnen würde, um an diesem Beispiel zu illustrieren, dass die Angelegenheit komplexer ist als Cahen es wahrhaben will. Als sich wie zu erwarten niemand meldete, ergriff O’Flaherty das Wort: „I think we’re all racist. And we have to challenge that inside ourselves.“ Ruben pflichtete ihm bei, indem er zu bedenken gab, dass viele im Raum sich wahrscheinlich nicht daran erinnern könnten, wann sie zum letzten Mal das Werk eines schwarzen Autors gelesen hätten. Es war der Ministerin anzusehen, dass sie dies nicht so stehen lassen wollte. „Je suis désolée, mais moi quand je lis un livre, je ne me suis jamais posé la question de savoir si l’auteur était blanc ou noir“, verlautbarte sie, ohne zu merken, dass genau darin eine der Ursachen des Problems liegt.

© flickr

Pädagogische Erklärrunde

Es folgte die Intervention von Antónia Ganeto von Finkapé, die, ähnlich Ruben und O’Flaherty, auf möglichst pädagogische Weise auf die Aussagen der Ministerin reagierte. Die Problematik des Rassismus sei sehr komplex. Oft werde sie nicht wahrgenommen, solange das Wort „Neger“ nicht gefallen sei. Neben dem direkten Rassismus sei es wichtig, auch dessen strukturelle Varianten wahrzunehmen, die oft versteckt daherkämen. Fakt sei, dass schwarze Menschen nicht gleichberechtigt seien, wer dies ausblende, ignoriere die Konsequenzen der Kolonialisierung und der Sklaverei. Auch Luxemburg sei diesbezüglich nicht völlig schuldfrei, seien doch 600 Luxemburger im Kongo stationiert gewesen. „Et par leur vecu, leur transmission, ils ont aussi un impact sur l’imaginaire qui a été véhiculé au Luxembourg.“

Jean-Paul Lehners, der Präsident der „Commission européenne contre le racisme et l’intolérance“ (ECRI), unterstrich die Notwendigkeit den nationalen Integrationsplan jährlich auf seine Tauglichkeit hin zu überprüfen. Es mangele zurzeit nicht nur an Statistiken, auch werde beispielsweise die Polizei zu wenig in puncto Rassismus geschult und sensibilisiert. Mit Nachdruck betonte er die Notwendigkeit, Menschenrechte systematisch in der Schule zu lehren. Er habe es satt, dass es stets heiße, diese würden transversal vermittelt. „J’en ai marre. Je ne peux plus entendre de ce mot ‚transversal’. Parce que ça veut dire qu’on ne fait rien.“

Als aus dem Publikum die Anregung kam, in jegliche Entscheidungsgremien, wie Parlamente und Vorstände, schwarze Menschen zu integrieren, legte Cahen erneut eine individualistische, auf Eigenverantwortung setzende Sichtweise an den Tag. Damit Gremien diverser würden, sei es wichtig, marginalisierte Menschen zu „empowern“: „Il faut leur donner de la confiance en soi“. Eine Reaktion hierauf ließ nicht lange auf sich warten. Empowerment sei schön und gut, so Ganeto. Dieses müsse allerdings aktiv gefördert werden, es reiche nicht, passiv darauf zu warten, dass Menschen sich selbstermächtigen. Die heutige Position von Frauen in der Gesellschaft sei immerhin auf Gesetze und Quoten zurückzuführen. Fonseca hatte kaum „on a besoin des autorités“ gesagt, als Cahen den Ball auch schon wieder zurückspielte: Die Akteur*innen auf dem Feld müssten der Politik Impulse geben, denn diese sei sich vieler Probleme nicht bewusst. Doch gerade hier beißt sich die Katze in den Schwanz, ist es doch der drastische finanzielle und personelle Ressourcenmangel, der die gewünschten Impulse nicht im nötigen Maße hervorbringen lässt.

Während Corinne Cahen die Veranstaltung damit verbrachte, Verantwortung auf andere zu übertragen und sich selbst von „richtigen“ Rassist*innen abzugrenzen, zeigte FRA-Direktor O’Flaherty, dass es auch anders geht. Bei seiner Institution arbeiteten zwar auch schwarze Menschen, doch längst nicht genug. „We can always do better“ – Selbstkritik, auf die man von der Ministerin vergebens wartete. Die FRA lege zudem Wert darauf, Menschen über ihre eigenen Erfahrungen sprechen zu lassen, eine Aussage, für die er lauten Beifall erhielt. Und noch etwas gab er zu bedenken: Wie anfangs von ihm bereits erwähnt, seien schwarze Menschen einem verstärkten Armutsrisiko ausgesetzt: Personen jedoch, die sich darum sorgen müssten, wann sie als nächstes etwas zu essen bekommen, seien von den Voraussetzungen für ein persönliches Empowerment weit entfernt.

Relativ spät im Verlauf der Veranstaltung drückte dann eine Zuhörerin ihren Unmut über die von Cahen zur Schau gestellte Haltung aus. Man bekäme den Eindruck, für die Ministerin seien die dargestellten Dimensionen des Rassismus vollkommen neu: „Seit ich vor fünfzehn Jahren zur Schule ging, hat sich nichts verbessert. Wo waren Sie die ganzen letzten Jahre?“

Von dieser Ausnahme abgesehen dominierte das Bedürfnis nach Harmonie. Geduldig auf die Ignoranz weißer Menschen zu reagieren, ist an und für sich nicht verwerflich. Schlichter Unwissenheit mit Zorn und verbalen Angriffen zu begegnen, stünde dem Erkenntnisprozess nur im Wege. Von Corinne Cahen allerdings darf und muss man mehr erwarten: Sie ist Integrationsministerin, und es kann vorausgesetzt werden, dass sie eine Expertin auf diesem Gebiet ist und ihre Expertise durch kompetente Mitarbeiter*innen konsequent stärkt. Stattdessen zeigte sie am Mittwoch auf ein Neues, wie sehr sie die Problematik missversteht und wie bitter nötig sie es hat, sich doch zumindest mal mit „Critical Race Theory“ auseinanderzusetzen.


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