Rechtsextremismus
: Spielend leicht radikalisiert


Wurde der Attentäter von Halle durch Videospiele radikalisiert? Statt der Spiele selbst wäre es naheliegender, Teile der Community drumherum genauer zu betrachten.

In der Gaming-Szene herrscht oft ein zynischer, herablassender Umgangston. Das führt zur Desensibilisierung und erleichtert die Radikalisierung. (Foto: pixabay)

Ein Rechtsextremer versucht ein Attentat in einer Synagoge und in den anschließenden Diskussionen wird pauschal über Videospiele geredet. Dabei hat der Täter die ideologischen Gründe – Antifeminismus, Rassismus und Antisemitismus – komplett klargemacht. Wie er radikalisiert wurde, hatte allerdings vermutlich auch mit Videospielen zu tun. Nicht mit den Spielen selbst, sondern mit der Kultur, die sich darum herum entwickelt hat.

Am 9. Oktober – dieses Jahr der Tag des höchsten jüdischen Feiertages Jom Kippur – versuchte ein rechtsextremer Attentäter in Halle in die Synagoge einzudringen, mit dem Ziel, dort wahllos möglichst viele jüdische Menschen zu töten. Als ihm dies nicht gelang, tötete er eine Passantin und später den Kunden eines Dönerladens. Auf seiner Flucht schoss er zwei weitere Menschen an, um deren Auto zu stehlen. Sie wurden schwer verletzt. Vor seiner Tat stellte der Täter ein Manifest online und verteilte einen Link zur Livestreaming-Plattform Twitch. Via Helmkamera wollte er sein Attentat ins Netz übertragen. Damit wird klar, dass die rechtsextremen Terroristen Anders Breivik und ganz besonders Brenton Tarrant, der im März in Christchurch (Neuseeland) 50 Menschen in Moscheen tötete, die Vorbilder für seine Tat lieferten.

Im Anschluss forderten einige Politiker*innen nicht etwa ein schärferes Vorgehen gegen Rechts, sondern wetterten gegen Videospiele. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bediente sich dem angestaubten Argument, der Attentäter hätte nicht mehr zwischen virtueller und realer Welt unterscheiden können, während der Innenminister Horst Seehofer (CSU) zumindest die „Gamerszene“ erwähnte, im gleichen Atemzug jedoch von Simulationen, die sich zum Vorbild genommen würden, redete.

Keine monokausalen Ursachen für Radikalisierung

Das Muster ist altbekannt: Neuere Medien werden gerne als monokausale Ursache für eine Gewalttat herangezogen. Für Politiker*innen hat das den Vorteil, dass sie mit schärferen Gesetzen zumindest so tun können, als hätten sie etwas getan. So wurde 2002 in Deutschland beispielsweise nach dem Amoklauf in Erfurt das Jugendschutzgesetz in letzter Minute noch einmal im Hinblick auf gewalttätige Computerspiele verschärft. Im Nachhinein betrachtet wirken die Ängste, die auf neuere Medien projiziert werden, oft lächerlich. Wer könnte sich heutzutage noch ernsthaft vorstellen, dass Harry Potter-Bücher zu Satanismus führen – oder die Simpsons zum Schulabbruch?

Genauso absurd ist die Idee, dass Computerspiele an sich zu Gewalttaten führen würden. Immerhin spielen enorm viele Menschen und sei es nur das „casual game“ am Smartphone. Allerdings ist dies für die wenigsten identitätsstiftend. Und in diesem Punkt hatte Seehofer vielleicht zumindest zum Teil Recht: Ein Blick auf die Gamerszene lohnt sich durchaus, wenn man die Radikalisierung des Attentäters verstehen will.

Obwohl Computerspiele weitverbreitet sind und von allen demografischen Gruppen gespielt werden, sind es bei vielen Spielen und manchen Genres vor allem junge Männer, die die Community um sie herum dominieren. Die Erkenntnis, dass es gefährlich werden kann, wenn die Zugehörigkeit zur Gamingszene das einzige identitätsstiftende Merkmal einer Person ist, ist nicht unbedingt neu. Das hat das Phänomen Gamergate bereits 2014 bewiesen. Damals wurden Entwicklerinnen und Spielekritikerinnen einer massiven Belästigungswelle ausgesetzt – mit dem vermeintlichen Ziel, für mehr „Ethik im Videospieljournalismus“ zu kämpfen. Mit Gamergate zeigte sich das Hasspotenzial der Gamingszene. Es folgte eine systematische Kampagne von Rechtsextremen, die versuchten, in diesem Milieu zu rekrutieren.

Es ist jedoch nicht hilfreich, die Gamingszene oder Teile von ihr isoliert zu betrachten, denn das Phänomen ist durchaus größer. Wer verstehen will, wieso in der Hauptsache weiße junge Männer durch Communities im Netz rechtsextrem werden, muss sich jene Zusammenschlüsse ansehen, in denen diese Merkmale ihrer Identität im Mittelpunkt stehen. Dazu gehören auch andere Fankulturen, Pick-Up-Artists und sogenannte Incels.

Wo Außenseiter*innen Anschluss finden

Es ist verständlich, dass Außenseiter*innen nach Anschluss und Gemeinschaft suchen und diese oft im Netz finden. Wer seine Liebe für Videospiele zu einem fundamentalen Teil seiner Identität macht, ist für Botschaften à la „Die Feministinnen wollen dir deine Spiele kaputtmachen!“ empfänglich. Wer Probleme hat, zwischenmenschliche und vor allem romantische Beziehungen aufzubauen, wird einfache Lösungen, wie sie sogenannte Pick-Up-Artists verbreiten, einleuchtend finden. Wer sein Leben lang das Gefühl vermittelt bekommen hat, zu unsportlich, hässlich und nerdig zu sein, wird sich in den misogynen Botschaften der Incels wiederfinden.

Hinzu kommt, dass der abgeklärte, zynische Humor, der in vielen Gaming-Communities vorherrscht, desensibilisiert. Ständiges Kokettieren mit rassistischen und sexistischen „Scherzen“ stumpft ab und führt dazu, dass die dahinterliegenden Botschaften, die anfangs noch ironisch wahrgenommen werden, irgendwann tatsächlich geglaubt werden. Ein weiterer Faktor ist der in der Gamingszene vorherrschende Diskurs, dass „politische“ Spiele schlecht seien. Als „politisch“ gelten Games vor allem dann, wenn sie Frauen, nicht-weiße oder LGBTIQA-Charaktere enthalten. Die hegemoniale weiße und männliche Spielfigur gilt als unpolitisch.

Neben der direkten Infiltration von Communities sind Videos auf Youtube ein weiterer Vektor, über den rechtsextreme Inhalte verbreitet werden. Aussteiger*innen berichten, dass sie anfangs Kanäle von verhältnismäßig harmlosen, eher konservativen Persönlichkeiten angesehen haben und durch den Algorithmus immer tiefer in ein rechtsextremes Weltbild abgerutscht sind. Dieser Effekt wird von Rechtsextremen gezielt ausgenutzt. Die vermeintlichen Erweckungsmomente werden dabei „Red-Pill“ genannt, nach der roten Pille aus dem Film Matrix, nach deren Verzehr der Protagonist die tatsächliche Welt abseits einer Simulation wahrnehmen kann.

Mit roten Pillen zum Antisemitismus

Wer immer tiefer in diese rechtsextremen Gedankenwelten abtaucht, erlebt dies als mehrmaliges Schlucken von „Red Pills“ und entfernt sich immer weiter von der Mehrheitsgesellschaft und damit auch von Freund*innen und Bekannten, die die Welt anders sehen. Am Ende dieser ideologischen Reise steht meistens eine antisemitische Verschwörungstheorie: Schuld am Feminismus, an Migrationsbewegungen, an ökonomischer Ungleichheit und ähnlichen Problemen ist stets eine jüdische Verschwörung.

Der Attentäter in Halle nannte das „Zionist Occupied Government“ – ein bekanntes Schlagwort in rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Kreisen. Dass er seine Tat ins Netz streamte, sich dabei auf Englisch an seine Zuschauer*innen wandte und in seinem Manifest zynisch benannte „Achievements“, also Bonusziele wie in Computerspielen für seinen Anschlag niederschrieb, zeigt deutlich, dass er sich der Gamingszene verbunden fühlte. Gibt es in Luxemburg Fälle von Personen, die durch die Videospielszene radikalisiert wurden? Dem Anti-Radikalisierungszentrum respect.lu sind solche Fälle nicht bekannt, wie auf Nachfrage der woxx versichert wurde. In den sozialen Netzwerken gibt es allerdings immer wieder luxemburgische Accounts, die ganz klar von den Diskursen der sogenannten „alt-right“ inspiriert sind.

Es wäre nun aber vermessen, Computerspieler*innen zu überwachen und dann zu glauben, damit wäre das Problem erledigt. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungsformen sind tief in unserer Gesellschaft verankert. In Sphären, in denen Diskriminierung nicht geahndet wird, ist es ein leichtes, sich zu radikalisieren. Es wäre nun also an der Szene selbst, gegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen vorzugehen – andere Subkulturen haben es vorgemacht. Was natürlich nicht heißt, dass die Spielebranche sich und ihre Inhalte nicht auch selbstkritisch hinterfragen sollte.


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