Rede zur Lage der Nation: Visionslos

Luc Friedens erste Rede zur Lage der Nation überzeugte nicht. Sie war vor allem eine Aufzählung von – vor allem bekannten – Maßnahmen, ohne eine weitergehende Vision durchblicken zu lassen.

Bereit zum Referat: Luc Frieden auf dem Weg zu seiner ersten Rede zur Lage der Nation. (Foto: CC BY-ND Chambre des Députés)

Es kam nicht so, wie es viele befürchtet und einige Oppositionspoli- tiker*innen prophezeit hatten: Luc Frieden (CSV) hielt am Dienstag keine Rede über die bedrohliche Lage in der Welt und die schwierige Budgetsituation Luxemburgs. Die Einsparungen, die er verkündete, rechtfertigte er nicht mit einer angespannten Lage, sondern damit, dass Preise gesunken seien. Am Mittwoch übten die Oppositionsparteien zum Teil scharfe Kritik.

Bereits der Titel der Rede, „Einfach. Besser. Modern“, gab einen Hinweis darauf, dass Frieden sich nicht unbedingt mit einer Zustandsbeschreibung zufriedengeben würde. Die fand jedoch kaum statt, die Feststellungen zu geopolitischen Spannungen und Kriegen, zur Klimakrise und Kinderarmut, zu Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit dienten lediglich dazu, die entsprechenden Kapitel seiner Rede im Voraus anzudeuten.

Buchhalter oder Lehrer?

Diese Themen formulierte er als Sorgen „vieler“ Mitbürger*innen, an die „wir“ denken. Wen er mit diesem „Wir“ meinte – die Nation, die Regierung oder gar einen Luc Frieden, der im Pluralis Majestatis von sich redet, ließ sich nicht herausfinden. Der Teil der Rede, der sich mit dem Zustand Luxemburgs oder der Welt beschäftigte, war ohnehin so kurz, dass es kaum störte. Mit etwas Pathos leitete der Premier den Hauptteil ein: „Die Zukunft ist nicht fixiert und sie ist nicht vorbestimmt. Die Zukunft passiert nicht, wir schaffen sie.“ Eine hoffnungsvolle Botschaft, die unter dem minutiösen Aufzählen einzelner Maßnahmen begraben wurde. Vor allem, da diese nicht in einen größeren Kontext eingebettet waren. Welche Vision Luc Frieden von Luxemburg hat, welche Zukunft der Premier für Luxemburg „schaffen“ will, das schaffte er nicht zu vermitteln.

Auch stilistisch konnte Frieden keinesfalls überzeugen, dazu war sein Redestil zu starr, ohne Charme, Witz oder staatsmännische Tragweite. Die Stakkato-Elemente, die er – oder seine Redenschreiber*innen – eingebaut hatten, sollten Dynamik und vielleicht auch etwas Pathos in die sehr technische Rede bringen. Doch sie funktionierten höchstens auf dem Papier, nicht jedoch mit Friedens trockenem Redestil. „Wie der Buchhalter einer großen Firma“ nannte Sven Clement (Piratepartei) das am Dienstagabend auf RTL. Vielleicht trifft es „bemühter, aber langweiliger Lehrer“ am besten. Das würde auch zu Friedens Marotte mit dem „Diskurs“ passen: Alle sollen ihm brav zuhören und dann über das diskutieren, was er gesagt hat.

Die Abgeordneten in der Chamber erhielten, anders als die Medien, keine schriftliche Version der Rede im Voraus, sondern mussten andächtig zuhören und sich Notizen machen. Frieden begründete das am Mittwoch während der Diskussion damit, dass ansonsten keine wahre Debatte zustande kommen könne und er die Spontanität der mündlichen Diskussionen schätze. Das erinnert an seine Rechtfertigungen vom November 2023, als das Koalitionsabkommen zwischen CSV und DP erst nach seiner mündlichen Regierungserklärung veröffentlicht werden sollte. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, da mehrere Medien das Dokument vorab erhielten und veröffentlichten. Auch damals wollte Frieden, dass über seine Rede diskutiert wird, statt dass die Details im Koalitionsprogramm auseinandergepflückt werden. Passend zu diesem Verhalten kündigte Frieden auch an, den Informationszugang für die Presse neu regeln zu wollen. Ob es der Demokratie wirklich so zuträglich ist, wenn Journalist*innen die einzigen sind, die einen privilegierten Zugang zu Informationen haben?

Eine der wichtigsten und eher unerwarteten Ankündigungen kam zu Beginn der Rede: Das Verteidigungsbudget soll schneller steigen als bisher geplant. Die Regierung will immer noch zwei Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Verteidigung ausgeben, das aber schon 2030 statt wie bisher geplant 2034. Von heute 696 Millionen Euro sollen die Militärausgaben auf 1,464 Milliarden im Jahr 2030 wachsen. Auch diese Ankündigung kam ohne Pathos, weit weg von einer deutschen „Zeitenwende“, stattdessen mit der Bemerkung, dass diese Ausgaben auch heimischen Betrieben zugutekommen sollten, die Kompetenzen „sowohl für zivile wie für militärische Zwecke“ haben.

Sparen und austeilen

Der Sparstift wurde hingegen bei den Hilfen für die energetische Transition angesetzt: Die Prämie für Elektrofahrräder fällt weg, jene für Elektroautos werden gestrichen und die Konditionen verschärft. Der Energiepreisdeckel fällt, außer beim Strom, wo jedoch nur die Hälfte der 60-prozentigen Preissteigerung, die das Statec voraussagt, vom Staat aufgefangen werden soll. Auch muss man ein Elektroauto jetzt drei Jahre lang besitzen, um eine Subvention zu erhalten. Ob diese vor oder nach dem Ablauf dieser drei Jahre ausgezahlt wird, konnte Frieden weder während seiner Rede noch am Mittwochmorgen im Interview mit „Radio 100,7“ sagen. Wer davon genervt ist, hat wohl einfach zu wenig Lust auf Klimaschutz. Allerdings kündigte Frieden auch „sozial gezielte“ Maßnahmen an, nämlich eine Verdreifachung der „prime d’énergie“ und eine Erhöhung des Steuerkredits für Revis-Empfänger*innen. Der Premierminister betonte auch immer wieder seinen Willen, die Produktion erneuerbarer Energien in Luxemburg auszubauen.

(CC BY-ND Chambre des Députés)

Dem Wohnbauproblem setzte Frieden einen Zehnpunkteplan entgegen. Wobei nicht alle diese Punkte, wie etwa ein Standard-Baureglement für alle Gemeinden, sofort umgesetzt werden können und bei manchen, wie etwa die „Natur auf Zeit“, bei der spontan entstandene Biotope nicht mehr kompensiert werden müssen, die Wirkung auf den Wohnungsbau eher unklar ist. Wenn sich Bauträger*innen die Zeit lassen können, bis ein Biotop entsteht, können sie es ja nicht so unglaublich eilig haben. In der Ausrichtung der Wohnbaupolitik kündigte Frieden, wenig überraschend, eine Wende an: Statt Staat und Gemeinden sollen private Investor*innen erschwingliche Wohnungen bauen und etwas unter dem Marktpreis an den Staat vermieten. Der Staat vermietet hingegen zu „sozialen“ Mietpreisen und bezahlt die Differenz. Signal an den Markt: Ihr macht alles richtig, eure Profite sind gerechtfertigt, wir zahlen das schon. Immerhin soll der Staat nach 20 Jahren ein Vorverkaufsrecht erhalten.

Die Steuertabelle soll ab 2025 ein weiteres Mal bereinigt werden: 2,5 Indexanpassungen sollen diesmal wettgemacht werden. Das war allerdings auch schon die einzige Ankündigung, die tatsächlich für „mehr Geld in der Brieftasche“ sorgt, wie die CSV es vor den Nationalwahlen 2023 plakatierte. Zumindest, wenn man von seinem Lohn leben muss und keine Firma ist. Für letztere wird die Körperschaftssteuer gesenkt sowie Investitionen in die Wasserstoffinfrastruktur und elektrische Lieferwagen subventioniert. Und: Bürokratie soll abgebaut werden.

Viele Leerstellen

Das war das große Thema seiner Rede; das gleiche Mantra, das Frieden im November 2023 immer und immer wieder wiederholte. Immer wieder erwähnte er die Prozeduren, die vereinfacht werden sollen, um das Ansuchen von Zuschüssen einfacher zu machen, um schneller Wohnungen bauen zu können, um die Natur weniger schützen zu müssen, um schneller Firmen gründen zu können, damit „der Bauer auf dem Feld arbeitet, statt am Schreibtisch sitzt“. Obwohl der Premier ankündigte, nicht alles abdecken zu können, so fielen doch einige Leerstellen besonders auf: Im Pride-Monat Juni erwähnte er die Rechte von LGBTIQA-Menschen überhaupt nicht und die Gleichstellung der Geschlechter war ebensowenig Thema wie die Biodiversitätskrise.

Friedens Rede endete damit, dass er über Demokratie und die sich darin abspielenden Diskussionen redete. Beinahe in einem Nebensatz kündigte er an, die konsultative Menschenrechtskommission an das Parlament angliedern zu wollen, damit die Gutachten der Menschenrechtler*innen stärkeres Gehör in der Chamber finden. Vor allem betonte er aber, was sich wohl als sein Führungsstil herauskristallisieren wird: Nach einer Diskussion muss eine Entscheidung getroffen werden, „das ist die Aufgabe der Regierung und der Chamber“. Die Idee, dass Entscheidungen sich im Laufe einer Diskussion herausstellen, dass Lösungen kollaborativ erarbeitet werden könnten, scheint Frieden vollkommen fremd zu sein. Man diskutiert und am Ende spricht einer (Luc Frieden) das Machtwort.

Die Diskussion, die Frieden sich gewünscht hatte, fand dann am Mittwoch statt. Die Majoritätsparteien entschieden sich dafür, die Diskussion unnötig in die Länge zu ziehen: Neben Gilles Baum (DP) und Marc Spautz (CSV), die den Anfang machten, schickten sie nach den Redner*innen der Opposition auch Diane Adehm (CSV) und Carole Hartmann (DP) ans Pult, um ein weiteres Mal Friedens Rede zu paraphrasieren. Sollte das die neue, aufgelockerte Debattenkultur sein, mit der das Parlament und sein Präsident sich mehr Interesse erhoffen? Besonders hervorgehoben wurden die Modernitätsversprechen des Premiers: Luxemburg will sich als Standort für einen Quantencomputer bewerben, außerdem wollen sich Firmen, die autonom fahrende Autos entwickeln wollen, in Luxemburg ansiedeln.

Opposition unzufrieden

Taina Bofferding (LSAP) betonte in ihren Redebeiträgen vor allem, dass viele der Gesetzesprojekte, die Frieden vorstellte, wie etwa das „Remembrement ministériel“, bereits seit längerer Zeit auf dem Instanzenweg seien. Das betreffe auch die Verkürzungen der Prozeduren der speziellen Bebauungspläne und die „Natur auf Zeit“, so Bofferding. Sven Clement (Piratepartei) hob fehlende Mitbestimmungsmöglichkeiten hervor – er erwähnte das in seiner Rede gefühlt genauso oft wie Frieden die Prozeduren. Ein Beispiel für mangelnde Mitbestimmung sei die Erhöhung der Schwelle für Onlinepetitionen, die vor Kurzem beschlossen worden sei.

Rechtspopulist Fred Keup (ADR) monierte nicht nur, dass Frieden nicht erwähnt hatte, dass es „zu viele Scheidungen“ gebe, sondern fühlte sich von dessen Aussage, in einem gut organisierten urbanen Umfeld könne man auch ein gutes Leben führen, wohl sehr provoziert, denn er fühlte sich verpflichtet zu betonen, wie gut er alleinstehende Familienhäuser findet. Menschen, die in solchen leben, haben übrigens meist höhere Energie- und Transportkosten als jene in Stadtwohnungen.

Marc Baum (Déi Lénk) ließ kein gutes Haar an Friedens Rede, der seiner Meinung nach durch den bürokratischen Zugang „die großen gesellschaftlichen Probleme des Landes bagatellisiert“ habe. Die Ankündigung, dass Hilfen für arme Haushalte nun teilweise automatisiert angefragt werden könnten, kommentierte der linke Abgeordnete mit der Bemerkung, Armut werde dadurch „zum administrativen Problem erklärt“.

Wenn in den USA der Präsident seine Rede zur Lage der Union hält, wird im Anschluss eine Gegenrede eines Mitglieds der jeweils anderen Partei übertragen. Diese Idee griffen Déi Gréng auf: Die frühere Justizministerin Sam Tanson hielt eine Art alternative Rede zur Lage der Nation und ging dabei auf den Rechtsruck in Europa ein und betonte, dieser habe durch die ADR auch in Luxemburg stattgefunden. Sie ging ebenfalls auf den Zustand der Umwelt und des Klimas ein und warf der Regierung vor, keine ehrliche und kohärente Politik in diesem Bereich zu machen. Rhetorisch funktionierte das auf jeden Fall besser als die Rede des Premiers – Tanson hatte aber den Vorteil, dass sie keine doch sehr technischen Maßnahmenpakete ankündigen musste.

In seiner Antwort auf die Debatte ging Frieden, zum Teil scheinbar etwas beleidigt, auf einzelne Punkte ein und verteidigte sich vor allem gegen die Anschuldigung, sich zu sehr auf die Ankündigungen von Maßnahmen beschränkt zu haben, statt das große Ganze im Blick zu haben. Auch den Vorwurf, er habe alle Neuerungen selbst verkünden wollen und die Regierung kommuniziere chaotisch, kommentierte er: „Dir wäert Iech nach wonnere, wéi vill Kommunikatioun mir kënne maachen!“

Luc Friedens Top 20

Welche Begriffe verwendete der Premierminister in seiner Rede besonders oft? Hier die Hitliste, bei der besonders häufig vorkommende Verben und Artikel natürlich nicht berücksichtigt wurden:

20. Wunnengen 19. Prozeduren 18. Kanner 17. Politik 16. Gesellschaft 15. manner 14. Kader 13. Méint 12. Deel 11. Europa 10. Welt 9. Staat 8. Regierung 7. wëllen 6. Land 5. Betrieber 4. Zukunft 3. Lëtzebuerg 2. Leit 1. Joer


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.