Referendumsdebatte: Luft holen, und durch

Referenden sind die Stresstests der parlamentarischen Demokratie. Schlecht vorbereitet können sie zwar ins Auge gehen, doch gänzlich darauf verzichten sollte man nicht.

Wer dieser Tage das Verfassungs- referendum mit Politiker*innen des politischen Mainstreams diskutiert, hört vielfach vom Frust, die sehr aufwändige und nicht immer sehr prickelnde Kärrnerarbeit des Parlaments würde nicht gewürdigt. Sie sei mit dem Aufruf zu einem Verfassungsreferendum sogar in Frage gestellt.

Bei der Vorstellung der Reform der Verfassung am 1. Oktober schienen sich die vier großen Parteien in Sachen Referendum noch einig: Die Stückelung des Reformvorhabens in vier Einzelgesetze und die „intensive“ Einbeziehung der Zivilgesellschaft während der Vorbereitung machten ein Referendum überflüssig.

Zu diesem Zeitpunkt war die Kampagne der ADR bereits in vollem Gange, ein Informationsblatt in mehreren Sprachen verteilt und einigen Tageszeitungen beigelegt. Eine Petition mit weitgehend gleichem Wortlaut war wenige Tage zuvor auf dem Internetportal der Chamber online gestellt worden.

Die Frage, was dagegenspreche, die teilweise überfälligen Änderungsanträge dennoch in gebündelter Form einem Referendum zu unterziehen, wurde seitens der Verfassungsspezialist*innen der Chamber erst gar nicht beantwortet. Stattdessen wurde sich ziemlich erregt gegen Verdächtigungen gewehrt, der neue Verfassungstext säge am Stuhl des Großherzogs, plane die Abschaffung der Familie oder schränke die Freiheitsrechte der einzelnen Bürger*innen ein … Vorwürfe, die so allerdings auch vonseiten der Presse immer wieder zurückgewiesen worden sind.

Einen Vorwurf aber konnte man den Rechtspopulist*innen nicht falsch machen: Der politische Mainstream hat seine Wahlversprechen von 2018 nicht eingehalten und das darin aufgelistete Verfassungsreferendum, aus welchen Gründen auch immer, abgesagt.

Das Argument, es gehe inzwischen nicht mehr um einen ganzen Verfassungstext, was ein Referendum nicht mehr rechtfertige, zerplatzte nach dem Chambervotum zum ersten Teil der Reform: Die Initiative von fünf Wahlberechtigten reichte, um eine Referen-dumsprozedur einzuleiten. Dass so etwas passieren musste, war abzusehen.

Zwar ist noch nicht entschieden, ob es zu einem Referendum kommen wird. Dafür müssen sich bis Mitte Dezember mehr als 25.000 Wahlberechtigte schriftlich in ihrer Gemeinde eintragen. Doch wurde damit eine bürokratische Maschinerie losgetreten, die hätte vermieden werden können.

Als wäre die Situation nicht kompliziert genug, hat die CSV kundgetan, für ein Referendum einzutreten, sollte die eingangs erwähnte Petition die magische Zahl von 25.000 Unterstützer*innen erreichen. Damit führte sie nicht nur das Instrument der Online-Petitionen ad absurdum (die lediglich dazu gedacht sind, dass ein Anliegen, das 4.500 Unterschriften erreicht, mit dem Parlament und mit den zuständigen Ressortminister*innen diskutiert werden muss), sondern verhalf der Anti-Reform-Kampagne zu unverhoffter Aufmerksamkeit – bei Redaktionsschluss tickte der Zähler fast im Minutentakt und stand bei über 17.200.

Die CSV verhalf der Anti-Reform-Kampagne zu unverhoffter Aufmerksamkeit.

Nicht erklären konnte die CSV bisher, wie ein solches Referendum aussehen könnte. Ohne die erste Abstimmung hätte der Ball im Lager der Verfassungskommission gelegen. Sie hätte die vier Gesetze bündeln oder zumindest zeitgleich abstimmen können, um so ein Referendum an einem einzigen Tag abhalten zu können.

Jetzt kann es passieren, dass wir in den nächsten Monaten ein Referendum zu dem wohl unspannendsten (aber sicher nicht unwichtigsten) Teil der Reform abhalten müssen. Und die Sache sich danach unter Umständen dreimal wiederholt – sehr zur Freude der Verfassungsgegner*innen.

Der Mainstream fürchtet im Falle eines Referendums eine Vereinnahmung durch eben diese Gegner*innen. Doch wird das einstige Versprechen nicht eingelöst, wird genau diese Anti-Reform-Kampagne über Monate befeuert werden.

Wenn also das Vertrauen in die eigene Wahlbevölkerung, die Wichtigkeit einer Verfassungsreform richtig einschätzen zu können, nicht sehr hoch ist, bietet sich der Politik jetzt die Gelegenheit, es per parlamentarisch initiiertem Referendum wieder herzustellen.


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