Réserve sanitaire: CDDs werden nun doch fortgeführt und eine Schülerin meldet sich zu Wort

Überraschende Wende in der Affäre um die Verträgen, die Krankenpflege-Schüler*innen im Rahmen der „Réserve sanitaire“ erhalten haben. Außerdem meldete sich eine Schülerin erneut bei der woxx und räumt mit einem gängigen Missverständnis auf.

Foto: SIP/JULIEN WARNAND

In ihrer aktuellen Print-Ausgabe berichtete die woxx über die Situation von Krankenpflege-Schüler*innen, die als Teil der „Réserve sanitaire“ an erster Front gegen Covid-19 kämpfen: Stress, schwierige Arbeitsbedingungen und befristete Verträge, die einseitig „gekündigt“ wurden, obwohl dies arbeitsrechtlich nicht vorgesehen ist .

Mehrere Versuche, das Gesundheitsministerium telefonisch zu erreichen und eine Stellungnahme einzuholen, scheiterten. Hinter den Kulissen war man aber offensichtlich nicht untätig: Am Samstagnachmittag erreichte die Schüler*innen eine E-Mail ihrer Schule. Die Direktorin des Lycée technique pour professions de santé (LTPS) schreibt darin, die „zuständigen Ministerien“ hätten entschieden, die befristeten Verträge (CDD) nun doch bis zum 29. Mai weiterlaufen zu lassen, um den Schüler*innen „zu danken, dass ihr zu Covid-Zeiten als Studenten in der Réserve der Gesondheitsberufe mitgeholfen habt“.

Die Direktorin des LTPS betont in der Mail, die der woxx vorliegt, dass die Schüler*innen ab 11. Mai wieder in ihren vorgesehen Praktika arbeiten könnten und entsprechend betreut würden. Dies war bis zuletzt nicht klar gewesen – die Schüler*innen, mit denen die woxx redete, hatten von chaotischen Zuständen und großer Unklarheit gesprochen.

Das ist ein positiver Effekt des woxx-Artikels – die Politik scheint eingesehen zu haben, dass ihr Umgang mit den Schüler*innen alles andere als ideal war. Dass der Artikel zu viel Diskussion führen würde, war vorhersehbar, leider gab es auch viele Reaktionen von Menschen in Gesundheitsberufen, die die Aussagen der Schülerinnen für überzogen hielten und sie anfeindeten. Eine der beiden Schülerinnen, mit denen die woxx geredet hat, hat sich deswegen – bevor die Information, dass die Verträge verlängert würden, eintraf – nochmals zu Wort gemeldet und, anders als manche ihr unterstellen, ging es ihr nicht ums Geld, sondern um Anerkennung und Respekt für alle Arbeitenden im Gesundheits- und Pflegesektor.

Wir veröffentlichen nachfolgend ihre Stellungnahme im Wortlaut:

Ob es sich um Verhandlungen zur Einführung eines Bachelor-Diploms für Krankenpfleger*innen oder darum, dass erschöpfte Studenten sich über die Alltagsproblematik und Ungerechtigkeiten der „Réserve sanitaire“ zu Wort melden, die Reaktionen sind immer gleich: „Euch geht es nur ums Geld.“ Dabei geht es den betroffenen Krankenpfleger*innen und Student*innen nicht um die Bezahlung, sondern um die Arbeitsbedingungen, um Anerkennung und Respekt. Und darum, den Menschen und der Politik endlich die Augen zu öffnen.“

Die Menschheit sollte eines aus dieser weltweiten Pandemie gelernt haben: Krankenpfleger*innen sind systemrelevant und werden nicht ausreichend von Staat und Politik unterstützt, weder finanziell, noch was die Arbeitsbedingungen angeht. Und eines sollte man hierzu ganz besonders hervorheben: Geld ersetzt keinen Respekt.

Als sich Krankenpflegestudent*innen in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet haben, um über unfaire Handlungen seitens des Ministeriums betreffend falscher Daten auf Arbeitsverträgen und plötzliche Kündigungen zu berichten, war das Ziel nicht, mehr Geld zu fordern, sondern auf die Umstände aufmerksam zu machen in der sich diese Personen momentan befinden. Junge Krankenpfleger*innen und Student*innen wurden eingezogen, um an vorderster Front zu helfen, Covid-19 Patienten zu versorgen. Für viele war es selbstverständlich sofort die Gesundheitsinstitutionen wie Krankenhäuser und Alten-und Pflegeheime zu unterstützen.

Die meisten Personen, die sich dafür entscheiden, Krankenpfleger*in zu werden, tun dies, weil sie anderen Menschen helfen wollen. Doch nur weil ein Mensch bereit ist, anderen zu helfen, bedeutet dies nicht, dass man diese Hilfsbereitschaft ausnutzen solle. Doch genau das passiert! Krankenpfleger*innen arbeiten seit jeher unter schlechten und ungerechten Bedingungen: Personalmangel, zu hohe Arbeitslast, wenig Anerkennung, kein Respekt, ein schlechtes Bild in der Gesellschaft („die Assistent*innen der Ärzt*innen“). Diese Umstände sind in der Ausbildung der Pflegekräfte ebenso vorhanden. Die Ausbildung in der Krankenpflege in Luxemburg ist chaotisch. Organisationen und Lehrer*innen setzen sich seit Jahren, sogar Jahrzehnten für besser Ausbildungsverhältnisse ein, doch werden immer wieder seitens der Regierung abgeblockt.

Sich mit Arbeitsrecht herumzuschlagen und mit Ministeriumsmitarbeiter*innen zu diskutieren, während man selbst Schichtdienst auf Covid-Stationen arbeitet, ist Stress. Man stelle sich mal vor, man fängt an in einem Krankenhaus zu arbeiten, doch wenn man den Arbeitsvertrag erhält, bemerkt man, dass das Anfangsdatum sieben Tage später datiert ist. Auf Nachfrage hin wird einem lediglich mitgeteilt, dass die am Anfang geleisteten Arbeitsstunden freiwillig waren. Man hat in dieser Woche aber fast 50 Stunden gearbeitet, Überstunden geleistet, Nachtdienste geschoben oder an Wochenenden gearbeitet – und dieser Aufwand soll nun „freiwillig“ gewesen sein? Ob Student*in, Krankenpfleger*in oder sonst schlichtweg Arbeiter*in, wer möchte den unbezahlt arbeiten, wenn es anders versprochen wurde?

Man stelle sich mal vor, überhaupt keinen Einfluss auf seine Arbeitsbedingungen zu haben. Zu Verträgen darf man sich nicht äußern. Man wird eingestellt und gekündigt und man hat keine Möglichkeit sich zu wehren und wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Hinzu kommt, dass man sich neben dem Schichtdienst auf bevorstehen Examen vorbereiten muss und zusätzliche Hausarbeiten bekommt. Als junge Krankenpfleger*in muss man sich auch erst einmal durchsetzen und darüber hinaus sich zuhause auch auf den Arbeitstag vorbereiten muss, in dem man Bücher wälzt und Krankheitsbilder untersucht. Und nicht zu vergessen: Die allgemeine psychische Belastung, die diese Pandemie in der Gesellschaft ausgelöst hat und das Fehlen der Möglichkeit, seine Liebsten zu sehen oder seine Sportart auszuüben, um Stress abzubauen.

Die „Réserve sanitaire“ hat die Schüler- und Student*innen als „fin de carrière“ eingestuft, um ihnen ein Gehalt auszurechnen. Diese Entscheidung wurde aus unerklärten Gründen getroffen. Kein*e Schüler*in oder Student*in hätte sich über ein normales Anfangsgehalt beschwert, wenn diese korrekt ausbezahlt worden wäre. Die Auszahlung des Gehaltes ist allerdings ein einziges Chaos: Manche werden am Monatsende bezahlt, andere müssen bis zum nächsten Monat warten, einige erhalten zu viel Geld, welches dann wieder zurück bezahlt werden muss. Auf Fragen erhält man keine konkreten Antworten; es ist zum Beispiel unklar, ob der Schichtdienst überhaupt bezahlt wird und wann dies der Fall sein soll.

Der Ärger von Krankenpfleger*innen zurzeit ist zu verstehen. Es ist ihnen gegenüber nicht gerecht, dass jüngere Pfleger*innen auf einmal mehr pro Stunde verdienen als sie, selbst mit jahrelanger Erfahrung. Ungerecht ist es auch, dass die Schüler*innen und Student*innen dies auf der Arbeit vorgehalten bekommen. Diese nervenaufreibenden Zeiten sollten die Solidarität steigern, doch dem ist nicht der Fall. Die Anspannungen und Angst provozieren permanentes Streiten, welches die Arbeit negativ beeinflusst. Frustrationen in den Teams steigen täglich. Solche Frustrationen sind der Spiegel von jahrelanger Ausbeutung im Beruf, von übermüdeten und überarbeiteten Pflegekräften die tagtäglich versuchen kranken Menschen zu helfen und ihr Bestes zu geben. Die Anstrengungen, die der gesamte Gesundheitssektor zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erdulden musste, sollten gerecht bezahlt werden, ohne dass irgendwer – egal ob Schüler*innnen oder Alteinessgene – benachteiligt werden. Es gilt nun, dass alle zusammenhalten und gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Respekt kämpfen.


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