Schul-Dresscodes: Crop-Tops sind ein feministisches Anliegen

Schulen sollen junge Menschen dabei unterstützen, selbstbewusste und mündige Bürger*innen zu werden, Dresscodes dürften nicht die Persönlichkeitsentfaltung einschränken, heißt es in einer Stellungnahme des Bildungsministeriums. In den Schulen selbst scheint es jedoch oft andere Prioritäten zu geben.

Rund drei Wochen nachdem erstmals Kritik an der Kleiderordnung des Diekircher Gymnasiums aufkam (siehe: Sexistischer Dresscode im Diekircher Gymnasium), besteht kein Zweifel mehr: Die Direktion des LCD hat kein Interesse an einer konstruktiven Debatte. Erst proklamierte Schulleiter Marcel Kramer in der Presse und auf Twitter, die Vorwürfe nicht nachvollziehen zu können. Nun hat er, wie Tageblatt am Donnerstag berichtete, Strafanzeige gegen einen Künstler erstattet, der die Polemik mittels einer Karikatur kommentiert hatte. Eine LCD-Schülerin, die die Zeichnung in den sozialen Netzwerken teilte, wurde für mehrere Tage vom Unterricht suspendiert. Das Bildungsministerium griff daraufhin vermittelnd ein; die Schülerin durfte wieder am Unterricht teilnehmen. Jede disziplinarische Maßnahme entlarvt Kramers Behauptung, mit dieser Kleiderordnung „Erziehungsarbeit“ leisten zu wollen, auf ein Neues als inhaltsleere Floskel. Was genau will man den Schüler*innen genau anerziehen, abgesehen von Gehorsam und Scham?

Auf unsere Nachfrage hin unterstrich das Bildungsministerium diese Woche: „Et ass net Sënn an Zweck vun der betreffender Dispositioun, d’Schüler an hierer Perséinlechkeetsentfalung anzeschränken oder si drun ze hënneren, hier Individualitéit iwwer d’Art a Weis, sech ze kleeden, zum Ausdrock ze bréngen.“ Individualität kann etwa ausgedrückt werden, indem bestimmten Modetrends wie etwa Crop-Tops gefolgt wird – oder eben auch nicht. Über genau diese Freiheit verfügen Schülerinnen in zahlreichen Luxemburger Sekundarschulen allerdings nicht. Laut Bildungsministerium hat eine Kleiderordnung vielmehr den Zweck, „sech als Gemeinschaft Richtlinien fir d’Zesummeliewen, -léieren oder –schaffen ze ginn, an e Schoulklima ze fërderen, an deem sech jiddfereen am Respekt vu gemeinsame Werter wuelfillt“. Das Bildungsministerium nennt das Verbot sexistischer und rassistischer Kleideraufschriften als Möglichkeit, das kollektive Wohlergehen zu fördern.

Innerhalb eines Schulgebäudes treffen unzählige Generationen, politische Haltungen und Geschmäcker aufeinander – dass sich da jede*r durchgehend in der Gesellschaft aller anderen wohlfühlen könnte, ist zwar eine schöne Vorstellung, aber wohl kaum realistisch. Hätte eine feministische Schülerin auf ihrem T-Shirt „Topple the Patriarchy“ stehen, würden sich Antifeminist*innen in ihrer Gegenwart wohl eher unwohl fühlen. Ist das ein Argument gegen ein solches Kleidungsstück?

Normierte Schüler*innen

Doch auch ohne solch explizite Statements ist Kleidung immer politisch. Vor allem dann natürlich, wenn es um Mädchen und Frauen geht. Es gab Zeiten, da galt das Tragen von Röcken, die übers Knie reichen oder von Hosen, oder etwa auch der Verzicht auf einen BH als emanzipatorische Geste. Und auch heute ist die Frage, wie viel Mädchen oder Frauen von ihrem Körper zeigen (dürfen) und wie das Zeigen mancher Körperteile bewertet wird, politisch aufgeladen. Die Bedeutung variiert jedoch stark je nach Kontext und je nach interpretierenden Personen. Genau das ist es, was Marcel Kramer innerhalb dieser gesamten Debatte entgeht, das ist der Grund, weshalb er den Trubel nicht nachvollziehen kann: Er ist sich nicht bewusst, was Kleider mit gesellschaftlichen Machtstrukturen zu tun haben. Und weshalb gerade das Zeigen oder Bekleiden bestimmter Körperregionen ein wichtiger Akt der Persönlichkeitsbildung für Mädchen und Frauen darstellt. Das Vorhandensein von Dresscodes in den Sekundarschulen wirft die Frage auf, wie diese Institution überhaupt auf Individualität und Jugendkultur reagiert. Erkennbar wird ein Reflex vonseiten der Schulen, das, was man nicht versteht, nicht einordnen kann oder nicht kontrollieren kann, unter anderem durch Kleiderordnungen gewaltsam in seine Schranken zu verweisen. Die Schüler*innen sollen kritisch sein, aber nicht „zu“ kritisch, selbstbewusst, aber nicht „zu“ selbstbewusst.

Damit wären wir bei einer weiteren Position, die das Bildungsministerium uns mitteilte. „Et ass d’Aufgab vun der Education nationale, déi Jonk ze ënnerstëtzen, fir zu selbstbewossten a mündegen Bierger erunzewuessen, an dat fräi vu geschlechtsspezifeschen Stereotypen“. Ebenjener Prozess verlangt Kommunikation und Empathie. Pauschale Verbote, Beschämung und im Affekt verhängte Bestrafungen können wohl kaum zielführend sein. Dass das Bildungsministerium in diesem Zusammenhang auf das Sepas (Service psycho-sociaux et d’accompagnement scolaires) verweist, scheint unzureichend. Dieses würde Schüler*innen bei Gesprächsbedarf zur Seite stehen. Wo ist aber eine proaktive Stelle, die den jungen Menschen Diskurse rund um Sexismus, Objektivierung und Kontrolle weiblicher Körper systematisch näherbringt, ganz ohne dass expliziter Gesprächsbedarf besteht?


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