Forscherinnen der Universität Luxemburg prüften Schulbücher an Luxemburgs Sekundarschulen auf die Präsenz marginalisierter Personengruppen. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Wie divers sind die Unterrichtsmaterialien an Luxemburgs Sekundarstufen? Eine neue Studie gibt ernüchternde Einblicke. (Copyright: Fauxels/Pexels)
Diese Woche präsentierten die Forscherinnen Claire Schadeck, Enrica Pianaro und Sylvie Kerger von der Universität Luxemburg die Studie „Les représentations du genre dans les livres scolaires en secondaire“ und somit die Fortsetzung der Studie „Les représentations du genre dans les manuels scolaires à l’école fondamentale luxembourgeoise“ aus dem Jahr 2021. Eins ist klar: Wissen schaut auf allen Bildungsstufen gleich aus, nämlich weiß, männlich und ohne Behinderung.
Die Forscherinnen nahmen 52 Bücher des „cycle inférieur de l’enseignement secondaire classique et général“ unter die Lupe, darunter die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch, Mathe, Naturwissenschaften, Geschichte und Geografie. Hinzu kamen acht Unterlagen des Fachs „Vie et société“, das 2016 den Religionsunterricht an Luxemburgs Schulen ablöste.
Insgesamt tauchten in den Materialien 61.409 Figuren auf, davon waren rund 59 Prozent männlich. Frauen machten 21 Prozent, gender-neutrale Charaktere 20 Prozent aus. Damit sind in den Unterriachtsmaterialien in den unteren Sekundarstufen noch mehr Männer vertreten als in den Grundschulbüchern (54 Prozent). Auf beiden Bildungsebenen überwiegen die Geschlechterungleichheiten in Geschichte: Im Secondaire waren dort 11.114 Männer und 1.847 Frauen vertreten; in der Grundschule betrug das Verhältnis 937 zu 226.
Und es gibt einen weiteren Negativtrend, der sich auf beiden Bildungsebenen bestätigt, nämlich die Vorherrschaft von Autoren auf den Literaturlisten, besonders für das Fach Deutsch. In der Grundschule waren 67 Prozent der gelesenen Autor*innen männlich; auf den Sekundarstufen sind es aufgerundet 79 Prozent. Schadeck, Pianaro und Kerger wollen deswegen mehr Diversität auf den Literaturlisten und verweisen unter anderem auf die Seite „Die Kanon“: ein Repertoire an Autorinnen und eine Denkhilfe für alle, die noch nie von erfolgreichen Schriftstellerinnen gehört haben.
Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern setzt sich bei der Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung, nicht weißen und LGBTIQA+-Personen fort. So sind im Französischunterricht auf den Sekundarstufen beispielsweise nur 337 von 14.233 Figuren nicht weiß. Im Kontrast dazu steht das Fach Englisch: Hier sind immerhin 967 von 9.300 Charakteren nicht weiß und werden ebenbürtig als Teil der westlichen Kultur abgebildet. In den Grundschulbüchern ist dies hingegen nicht der Fall: Dort werden sie als Fremde stilisiert. Die Forscherinnen fordern den Bruch mit diesem eurozentristischen Blick, etwa durch den Austausch mit Expert*innen auf diesem Gebiet.
Die Unsichtbaren
Das gleiche Schicksal teilen Menschen mit Behinderung in allen untersuchten Schulmaterialien, denn auch ihre Darstellung wird auf Stereotype heruntergebrochen und nur eingesetzt, wenn es um Behinderung geht. Damit sich dies ändert, empfehlen die Forscherinnen den Besuch der Website leidmedien.de, wo es Anweisungen zur diskriminierungsfreien Darstellung von Menschen mit Behinderung gibt.
Bei der Präsenz von LGBTIQA+-Themen verhält es sich ähnlich: Die größte Diversität herrscht sowohl in der Grundschule als auch auf der Sekundarstufe in naturwissenschaftlichen Fächern. Wird in der Grundschule dort das Thema intersex erwähnt, sind in den entsprechenden Unterrichtsmaterialien der Sekundarstufen 40 von 3.485 Charakteren und 17 von 82 gezeigten Paaren homosexuell. Homosexualität wird in dem Fall auf Körperlichkeiten reduziert, wobei LGBTIQA+-Themen besonders im Geschichtsunterricht und der Literatur mehr Platz verdient hätten. In den Sekundarstufen treten in Geschichte nur 9 homosexuelle Charaktere auf; in allen Sprachunterrichten zusammengenommen sind es 18. Um dem entgegenzuwirken, empfehlen die Forscherinnen Homosexualität zu entmystifizieren: Das Thema soll transversal und systematisch in allen Lehrbereichen mitgedacht werden.
Claire Schadeck verriet diese Woche im Gespräch mit RTL, der erste Teil der Studie fließe bereits in die Arbeit der Programmkommissionen ein: Bei der Erstellung neuer Materialien werde zumindest gezielt auf Geschlechterdarstellungen geachtet. Inwiefern das nun auch im Secondaire der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.