Serie: Anders wirtschaften 1/4: Auf grünen Pfaden


Nachhaltiger Tourismus zieht Kunden an. Damit der Besuch für die lokale Umwelt und die Bevölkerung schonend ausfällt, sind allerdings Qualitätskriterien und geeignete Verkehrsmittel vonnöten.

Naturbelassene und gut ausgeschilderte Wege - 
Win-win für Umwelt und Öko-Reisende, für Veranstalter und Hoteliers. (Foto: Escapardennes)

Naturbelassene und gut ausgeschilderte Wege – 
Win-win für Umwelt und Öko-Reisende, für Veranstalter und Hoteliers. (Foto: Escapardennes)

Einen Monat ohne Auto leben, zur Ruhe kommen, an Nichts denken, die ländliche Region neu entdecken, Dörfer aus einer ungewöhnlichen Perspektive sehen: So in etwa lauten die Beweggründe eines jungen Luxemburger Paares, das letztes Jahr 123 Kilometer von Norden nach Süden durch Luxemburg gewandert ist – dokumentiert im Luxemburger Wort vom 4.8.2014. Tatsächlich haben immer mehr Einwohner den Wunsch, auf dem Wege des sanften Tourismus Näheres über das Kultur- und Naturerbe ihrer Heimat zu erfahren. Zugleich vergrößert sich das Angebot: 2012 wurde der Interreg-Trail Escapardennes fertiggestellt, das Limpertsberger Kleinunternehmen Velosophie bietet naturnahen Radtourismus an …und die großen Reisegesellschaften entdecken die Marketing-Buzzwörter Natur-und Ökotourismus. Was verbirgt sich hinter diesen Konzepten, wann ist Reisen nachhaltig? Entsteht auch in Luxemburg ein neuer Nischenmarkt für Ökotourismus?

„Der Escapardennes-Fernwanderweg soll das historische und ökologische Erbe der Ardennen-Region aufwerten. Deshalb befinden sich an bestimmten Standorten Schilder, die auf Besonderheiten der Flora und Fauna hinweisen – weitere Erläuterungen können in unserem Topoguide recherchiert werden“, erklärt der Geograph Claude Schiltz, der an der Wegkartographierung des Escapardennes maßgeblich mitgewirkt hat. Dieser 157 Kilometer lange Fernwanderweg von Ettelbruck nach La-Roche-en-Ardennes in den belgischen Ardennen wurde 2012 fertiggestellt und ist in beiden Richtungen ausgeschildert.

„Der Name soll Einheimische auf ein attraktives Eskapade-Ziel in der näheren Umgebung hinweisen“, erläutert Schiltz. Aus Gesprächen mit Mitarbeitern von Tourismuszentren weiß er, dass sich tatsächlich auch Luxemburger für die Flucht in die Ardennen interessieren. „Mehrheitlich zieht es allerdings Belgier und Niederländer auf den Trail“. Der Trail biete zudem eine hervorragende Möglichkeit, die Naturschutzgebiete der Stiftung Hëllef fir d’Natur bei der Leeresmillen und Emeschbach für Wanderer zugänglich zu machen und didaktische Aufklärungsarbeit über die Aktivitäten der Stiftung zu leisten.

Gerade Tourismusprojekte mit umweltbildenden Angeboten, verbunden etwa mit Wandern oder, in den Alpen, mit Berg- und Natursportarten, sind ein wichtiger Bestandteil des nachhaltigen und naturnahen Tourismus, erklärt Lea Ketterer Bonnelame, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Landschaft und Freiraum in Rapperswil in der Schweiz. Sie hat Qualitätsstandards für den naturnahen Tourismus im Alpenraum entwickelt. Des weiteren steht das Konzept des naturnahen Tourismus für einen „verantwortungsbewussten Aufenthalt in Naturgebieten und naturnahen Kulturlandschaften, der sich aus den regionalen Bedürfnissen über die Mitbestimmung der Beteiligten heraus entwickelt“. Dabei sollen die Umwelt, die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten respektiert und langfristig geschützt werden.

Escapardennes lohnt sich

Tatsächlich hat der Escapardennes auch einen wirtschaftlichen Impakt. Der Trail wurde mit einem Qualitätslabel ausgezeichnet. Dieses garantiert nicht nur naturbelassene Wege und eine ausgezeichnete Ausschilderung, sondern zeigt auch die Möglichkeit an, ohne Gepäck zu wandern. „Die Nachfrage und die Bereitschaft, für komfortable Übernachtungsmöglichkeiten zu zahlen, steigen“, bekräftigt Paul Ihry, Koordinator beim Office Régional du Tourisme des Ardennes. Für ihn steht fest, dass der Wandermarkt ein enormes Potential hat. Dies bestätigten auch die hiesigen Hotelbetreiber. „Konkret hat mir ein Clerfer Hotelier gesagt, der Anteil an Wandertouristen sei in den letzten Jahren um etwa 25 % gestiegen“, erläutert Ihry. Und die Hotelbetreiber stellen sich auf den Trend ein: die Auberge des Ardennes in Hoscheid hat vor einigen Monaten beschlossen, aktiv Wander- und Radtourismus zu bewerben.

Auch die Politik trifft Maßnahmen zur Förderungs des nachhaltigen Tourismus. Gemeinsam mit dem Oekozenter Pafendall verleiht das Wirtschaftsministerium ein entsprechendes EcoLabel. Bereits 42 Betriebe (Hotels, Campingplätze, Jugendherbergen) wurden ausgezeichnet. Dabei wird bei der Benotung auf umweltrelevante Kriterien geachtet, also auf Abfallentsorgung, Energie- und Wasserverbrauch, Herkunft der Nahrungsmittel aus der regionalen und biologischen Landwirtschaft, Bereitstellung von Informationen zum öffentlichen Transport usw. Zusätzlich zum EcoLabel entwickelte das Wirtschaftsministerium mit der Velosinitiative ein BedandBikeLabel für fahrradfreundliche Unterkünfte. Auf der bedandbike.lu Seite werden, Radfahrer als „zahlungskräftige und gutgelaunte Kundschaft“ beschrieben.

Über fahrradfreundliche Strukturen freut sich besonders Monique Goldschmit, die Gründerin von Velosophie, einem Fahrradreiseunternehmen, das seit 2008 Fahrradreisen in Luxemburg und im Ausland anbietet. Wirtschaftliche Rentabilität ist zwar eines der Ziele des Unternehmens, aber nicht sein einziges. „Bei meiner Reisegesellschaft Velosophie steht die ökologische Nachhaltigkeit ganz klar im Vordergrund. Bei Touren in Luxemburg werden die Besonderheiten einer Region und deren Produkte aus dem Biolandbau thematisiert. Auch alle Radstrecken im Ausland, wie die in Ostfriesland, werden mit dem Zug erreicht,“ erläutert die hauptberufliche Radfahrerin. Zudem werden die Radreisen oft mit einer Führung durch Naturschutzgebiete kombiniert. Untergebracht werden die Teilnehmer nach Möglichkeit in Privathotels, um lokale Kleinunternehmen zu unterstützen.

Flug- oder Radreisen?

Nur wenige Einwohner Luxemburgs entscheiden sich wie Monique Goldschmit für den Zug, im Jahr 2014 zum Beispiel machten Urlaubsanreisen mit dem Zug laut Statec nur 8 % aus. Seit eh und je ist der eigene PKW das bevorzugte Reiseverkehrsmittel (ca. 53 %). Mit 35 % schnellte im letzten Jahr der Anteil der Flugreisen auf einen Höchststand. Unverändert niedrig blieb hingegen das Reisen mit dem Bus, das in den letzten Jahren stets um die 5 % verbuchte. Reisetätigkeiten mit Verzicht auf motorisierte Verkehrsmittel werden undifferenziert zusammenfasst und schlagen mit weniger als 0,2 % zu Buche.

„Es gibt keine konkreten Zahlen zu Urlaubsreisen, die ausschließlich mit dem Rad durchgeführt werden. Die Nachfrage junger luxemburgischer Familien nach Fahrradtouren im Ausland steigt aber deutlich“, erklärt Monique Goldschmit. Für mehrtägige Fahrten durch Luxemburg kommen immer mehr Anfragen aus Deutschland – vor allem von Rentnern.

In Deutschland ist allgemein der Trend zu Radreisen, verglichen mit anderen europäischen Ländern, sehr ausgeprägt: 7 % der Deutschen unternahmen 2014 eine Radreise mit mindestens 3 Übernachtungen. 15 % von diesen starteten dabei direkt mit dem Rad von ihrem Wohnort. Ob nachhaltige Reisen und Unternehmungen vom Typ Lokal- oder Radtourismus nicht häufig nur die zusätzliche zweite oder dritte Kurzreise sind, bleibt allerdings offen. „Ich denke, dass viele nicht auf ihren ‚großen‘ Urlaub verzichten wollen und dass der regionale Tourismus dann als zusätzliche Freizeitgestaltung hinzukommt“, meint Monique Goldschmit. Der Tourismus wird insgesamt betrachtet also wohl nicht nachhaltiger, es verhält sich vielmehr so, dass sich der Tourismusmarkt diversifiziert.

Wanderurlaube, das zeigen die Statec-Erhebungen von 2013, bilden ohnehin nicht den größten Anteil: während der Anteil an Städtereisen 41 % und Strandurlauben 24 % ausmachen, entscheiden sich nur 11 % aller Reisenden für Gebirgsregionen. 25.000 der 1,5 Millionen registrierten Urlaubaufenthalte schließlich fielen auf Luxemburg – wobei für die Statistik nur Reisen mit mindestens drei Übernachtungen als Urlaub gelten.

2010 prophezeite Monique Goldschmit im Woxx-Interview, in vier Jahren von ihrem Betrieb leben zu können. Dank der Gemeinde-Aufträge zur Verbesserung der Radwege und der steigenden Kundenzahl trägt sich das Unternehmen aber bereits seit 2012. „Dieses Jahr konnte ich zudem eine Mitarbeiterin einstellen, und demnächst möchte ich das CCS beantragen“, sagt Monique Goldschmit. Damit wäre Velosophie 
das erste zertifizierte Reiseunternehmen für nachhaltigen Tourismus in Luxemburg.

Naturnaher vs. Öko-Tourismus

Oft wird naturnaher Tourismus mit Ökotourismus gleichgesetzt. Einige wichtige Unterschiede bestehen jedoch. So erklärt Lea Ketterer-Bonnelame: „Der Ökotourismus ist eine spezifische Tourismusform, die aus dem Ferntourismus in die Gross-Schutzgebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas entstanden ist. Im Anschluss an die Rio-Konferenz 1992 versuchte eine Reihe von NGOs gemeinsam mit der Welttourismusorganisation UNWTO, den Ökotourismus als Spezialform des nachhaltigen Tourismus zu positionieren.“ Als relativ umwelt- und sozialverträgliche Tourismusform (woxx 1301), die vor allem in sogenannten Least-Developed-Countries (LDC) oder in Schwellenländern praktiziert wird, verbinde der Ökotourismus Reisen in intakte Naturgebiete mit der Erhaltung der Biodiversität und der natürlichen Ressourcen. „Zudem soll er Einkommensmöglichkeiten für die Lokalbevölkerung schaffen und diese für den Naturschutz sensibilisieren“, erläutert die Expertin.

Für Martina Backes, Redakteurin beim Informationszentrum 3. Welt in Freiburg, sind jedoch diverse Entwicklungen, die der Ökotourismus auch anstößt, je nach Kontext durchaus problematisch. „Die Tourismusbranche, die Staaten und die lokalen Akteure haben divergierende Interessen“, erklärt sie. Gerade die Staaten im Globalen Süden haben oft keine Kontrolle über Investitionen oder locken mit Steuervergünstigungen, sodass wenig Geld im Land bleibt. Oftmals investieren sie in Flughäfen, Zufahrtsstraßen und in die Wasser- und Stromversorgung, entweder finanziert mit Steuergeldern der Einheimischen oder teuren Krediten. Vom basisdemokratischen Ideal, in dem die lokale Bevölkerung gleichberechtigt über die Details ökotouristischer Projekte mitentscheiden kann, sei man weit entfernt.

Auch verstärkten die Begegnungen zwischen Einheimischen und Touristen postkoloniale Strukturen. „Einige junge, lokale Führer erhalten durch diese Initiativen zwar einen recht angenehmen Job, zugleich befinden sie sich aber in einer Situation ökonomischer Machtungleichheit“, erklärt Backes. Die Frage einer nachhaltigen Entwicklung aber entscheide sich nicht daran, ob ein paar Einheimische ein wenig Geld als Touristenführer verdienen können. Dringlicher sei für viele Communities der gerechte Zugang zu Land und Bildung und die Kontrolle über die eigenen Ressourcen. Außerdem gehe mit dem Ökotourismus oftmals eine Erschließung sensibler Naturlandschaften einher, zu beobachten etwa in Tansania, Thailand oder Costa Rica.

Ist Ökotourismus ein Deckmantel für die Suche nach Exotik-Kitsch? Vielleicht, doch auch in europäischen Ländern sind oft romantisierende Wunsch- und Werbebilder am Werk: Verkauft die heimische Tourismusbranche etwa nicht das Ösling als beschauliche Hügellandschaft, in der Kleinbauern knuffige Highländerkühe und lustige Soay-Schafe halten – und spart dabei die neuen Melkkaruselle der 400-Kühe-Ställe aus?

Die Spuerkeess und etika unterstützten die Stiftung „Hëllef fir d’Natur“ beim Ankauf der Naturschutzgebiete in der Nähe der Emeschbach- und Leeresmillen durch die Gewährung eines zinsvergünstigten Kredits. Auch Monique Goldschmit erhielt von der Spuerkeess und etika einen solchen Investitionskredit für ihr Unternehmen Velosophie.

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