Sex Education
: Queerness hoch vier


Vor allem in der vierten und finalen Staffel deckt die britische Serie „Sex Education“ ein breites Spektrum an Lebensrealitäten ab. Von dieser Diversität können die meisten anderen Produktionen sich eine Scheibe abschneiden.

Dank einiger neuer Figuren ist die finale Staffel von „Sex Education“ queerer als die vorherigen. (Quelle: Netflix)

Fast fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass die erste Staffel von „Sex Education“ auf Netflix erschien. Besonders queer war die Serie damals noch nicht: Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren alle Figuren heterosexuell und cis. Allein was diesen Aspekt angeht, hat man das Gefühl, es bei der vierten und finalen Staffel mit einer anderen Serie zu tun zu haben.

Nachdem die Moordale Secondary School in der dritten Staffel schließen musste, besuchen einige der jugendlichen Figuren nun das Cavendish College. Der Schulwechsel stellt sich nicht nur als Umstellung, sondern als regelrechter Kulturschock heraus. Cavendish ist nämlich nicht nur äußerst progressiv, lästern und Konkurrenzdenken sind an der Schule tabu. Anders als in Moordale werden die Regeln nicht von den Erwachsenen vorgegeben, sondern von den Schüler*innen selbst. Als Trendsetter gilt vor allem eine kleine Gruppe rund um das trans Paar Ramon (Felix Mufti) und Abbi (Anthony Lexa). In Moordale wären sie Außenseiter*innen gewesen, hier aber sind sie die Coolen. Heterosexuelle Figuren wie Otis (Asa Butterfield) und Ruby (Mimi Keene) erleben das erste Mal, wie es ist, die sexuelle Orientierung betreffend nicht der Norm zu entsprechen.

„Sex Education“ war schon immer eine ungewöhnliche Teenie-Serie: Sie unterwandert gängige Stereotype und stellt Handlungsstränge in den Vordergrund, die in anderen Produktionen meist wenig Raum erhalten. Was vor allem heraussticht ist die sexpositive Einstellung, wie sie – zumindest anfangs – vor allem Otis und seine Mutter Jean (Gillian Anderson) verkörpern. Es wird offen über Sex und sexuelle Identitäten gesprochen, Unwissen wird bereitwillig thematisiert. 2018 war „Sex Education“ darüber hinaus eine der ersten Serien mit einem sogenannten „intimacy coordinator“, einer Person, die an Filmsets für die Choreografie von Sexszenen verantwortlich ist. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die gezeigten Sexpraktiken den Figuren gerecht werden und alle Beteiligten sich beim Drehen dieser Szenen wohlfühlen.

Dass die Besetzung von „Sex Education“ von Staffel zu Staffel diverser wurde, zeigt, wie sehr den Macher*innen daran gelegen war, mit ihrer Serie gesellschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen. Während queere, trans, nicht-binäre und asexuelle Figuren und solche mit Behinderung immer mehr ins Zentrum rückten, schienen die Autor*innen Mühe damit zu haben, sich für die hetero cis Figuren gleichermaßen interessante Handlungsstränge auszudenken. Vor allem bei Otis und Aimee (Aimee Lou Wood) war die Handlung in dieser Staffel nicht nur berechenbar, sondern auch allzu repetitiv. Das liegt aber wohl auch daran, dass sich ihre Lebensrealität im Vergleich zur dritten Staffel nicht maßgeblich verändert hat.

Anders verhält es sich bei Maeve (Emma Mackey), die dank eines Stipendiums an einer Universität in den USA studiert. An diesen Klassenaufstieg gewöhnt sie sich nur langsam, zumal sie immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Von den heterosexuellen Figuren macht Jean wohl die größte Entwicklung durch: Nicht nur weil sie erneut Mutter wird, sondern auch durch die Auswirkungen, die dies auf ihr Arbeitsleben, ihre psychische Gesundheit und ihr Verhältnis zu ihrer Schwester (Lisa McGrills) und zu Otis hat.

Großes Spektrum

Die Queerness darf in dieser Staffel auf Hochtouren laufen. Das liegt vor allem daran, dass anders als etwa in der vergleichbar queeren Serie „Heartstopper“ (woxx 1749) eine viel größere Bandbreite an Genderausdrücken abgebildet wird. In „Heartstopper“ steht vor allem die Lebensrealität des homosexuellen Paares Nick und Charlie im Fokus. Bei den meisten anderen Figuren fungieren die jeweiligen LGBTIQA+-Labels jedoch lediglich als schicke Accessoires. Wie sich ihre Queerness auf ihren Alltag, ihr Erleben auswirkt, wird dagegen kaum thematisiert.

„Sex Education“ bewegt sich natürlich im eingeschränkten Rahmen einer auf Unterhaltung ausgerichteten Mainstream-Produktion. Den Macher*innen aber gelingt es, die gelebte Realität queerer Menschen zu vermitteln. Im Laufe der Serie kommen zwei sich als asexuell definierende Figuren vor. Beide Male wird dies auf unterschiedliche Weise thematisiert. Vor allem bei der zweiten Figur, einer der Protagonist*innen der aktuellen Staffel, wird Asexualität nicht als bloße Leerstelle definiert. Stattdessen wird gezeigt, wie sich ihre sexuelle Orientierung konkret auf ihr Leben und ihre Beziehungen zu anderen ausgewirkt hat. Ähnliches gilt auch für die trans Figuren. Während Cal (Dua Saleh) sich noch ganz am Anfang der Transition befindet, sind Ramon und Abbi in dem Prozess bereits viel weiter. Mehr als eine Figur mit einer bestimmten sexuellen Orientierung oder Genderidentität zu zeigen, hat den Vorteil, dass ein Spektrum an Erfahrungen aufgezeigt werden kann.

Die Macher*innen sind dabei eindeutig auf diese beiden Aspekte fokussiert. Behinderung wird zwar von Staffel zu Staffel zunehmend nuanciert aufgegriffen, Schwarzsein hingegen nicht thematisiert. Das ist umso enttäuschender, weil viel Mühe darauf verwendet wird, um aufzuzeigen, inwiefern sich die Teenagerjahre für hetero Otis und den schwulen Eric (Ncuti Gatwa) voneinander unterscheiden und wie sich dies auf ihre Freundschaft auswirkt.

Alles in allem ist „Sex Education“ ein Triumph. Der Serie gelingt es, diverse Figuren organisch in eine so unterhaltsame wie berührende Erzählung zu verweben. Auch wenn in den vergangenen Jahren immer mehr Serien über Queerness entstanden sind: Das Level von „Sex Education“ erreichen nur die wenigsten.

Auf Netflix

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