Muss das luxemburgische Strafrecht nachgebessert werden, um Stealthing, also das nicht-einvernehmliche Abstreifen des Kondoms zu erfassen? Mitnichten, so das Justizministerium.
104 Klagen wegen Vergewaltigung wurden 2020 bei der Polizei eingereicht. Das waren zwar zwölf weniger als in dem Jahr davor, insgesamt bleibt die Zahl aber deutlich höher als noch 2017 und 2018. Zu einer Verurteilung kam es 2020 in insgesamt 21 Fällen, halb so oft wie in dem Jahr davor. Diese Zahlen gehen aus der Antwort von Justizministerin Sam Tanson (déi Gréng) auf eine parlamentarische Anfrage hervor.
Die Abgeordnete Carole Hartman (DP) hatte sich aber nicht nur nach Vergewaltigungsfällen erkundigt. Anlass zu ihrer Nachfrage gab vielmehr das sogenannte Stealthing, also dem heimlichen Abstreifen des Kondoms bei penetrativem Sex. Hartman wollte diesbezüglich zwei Dinge wissen: Ob Luxemburg diese Missbrauchsform statistisch erfasse und ob Änderungen im Strafgesetz nötig seien. Mit der zweiten Frage meinte sie konkret: Müsste die juristische Definition von Vergewaltigung so erweitert werden, dass sie auch Stealthing umfasst? Oder müsste die Missbrauchsform vielmehr als eine gänzlich neue Straftat eingeführt werden?
Tanson zufolge wird Stealthing hierzulande nicht statistisch erfasst. Es handele sich zudem nicht um eine juristische Kategorie und komme demnach nicht im Code pénal vor. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Praktik sich jeglicher strafrechtlicher Konsequenzen entziehe, verdeutlicht die Ministerin. Sie verweist auf einen Satz im Strafgesetz, der im Kontext von Stealthing herangezogen werden könne. Konkret geht es um den Aspekt der Einvernehmlichkeit, der laut Artikel 375 nicht gegeben sei, wenn das Opfer mit penetrativem Sex überrumpelt worden sei „c’est-à-dire sans qu’elle soit préparée, ou avertie et donc sans qu’elle n’ait donné son consentement“. Tanson beschreibt einen Umstand, in welchem eine Person zu Sex eingewilligt habe, unter Voraussetzung, dass ein Kondom benutzt werde. In dem Moment, wo das Kondom abgestreift werde, sei die vorherige Einwilligung nicht mehr gültig „et l‚infraction de viol peut être retenu, sous réserve de la preuve de l’intention criminelle de l’auteur“. Bei der nachweisbar kriminellen Intention handelt es sich um eine vun drei Bedingungen, um im strafrechtlichen Kontext vun Vergewaltigung sprechen zu können. Weitere Bestandteile sind die sexuelle Penetration und die Abwesenheit einer Einwilligung.
Kommt es in Folge von Stealthing zur Infektion mit einer sexuell übertragbaren Krankheit, könne von absichtlicher Körperverletzung gesprochen werden, falls der Täter von seiner Geschlechtskrankheit wusste, von unabsichtlicher Körperverletzung, wenn er es nicht wusste, so eine abschließende Erklärung der Ministerin.