True Detective – Night Country: Auf Spurensuche in Alaska

Die frauendominierte neue Staffel von True Detective stieß in den vergangenen Wochen auf viel, nur zum Teil berechtigte Kritik.

Liz und Evangeline arbeiten nur ungern zusammen. (Quelle: HBO)

Kilometerlange Autofahrten über Permafrostboden, kleine Hütten zum Eisfischen, Schlittschuhfahrer*innen auf einem gefrorenen See – schon allein die Unverbrauchtheit der visuellen Ästhetik macht „True Detective – Night Country“ zu etwas Besonderem. Die Serienstaffel handelt von der fiktionalen Kleinstadt Ennis, Alaska, einem Ort, so wird suggeriert, der von nichts außer Eis und Schnee umgeben ist. Das Gefühl, nicht von dieser Welt zu sein, wird zusätzlich durch das abwesende Sonnenlicht verstärkt: Die erste Folge markiert den letzten Tag vor einer dreimonatigen Polarnacht.

Im Zentrum von „True Detective – Night Country“ steht die von Jodie Foster gespielte Polizeichefin Liz Danvers. Sie gilt als schwierig – einer der Gründe, weshalb ihr Boss sie vor ein paar Jahren von Anchorage nach Ennis versetzt hat. Einst ausschließlich von indigenen Menschen bewohnt, hat die von Kate McKittrick betriebene Mine im Laufe der Jahre viele Weiße angezogen. Was für die einen ein willkommener Arbeitsplatz ist, sehen andere als massive Bedrohung für Mensch und Umwelt. Immer wieder ist das Leitungswasser schwarz verfärbt, Krankheiten grassieren, die Rate an Totgeburten ist überdurchschnittlich hoch. Vor allem die indigene Bevölkerung ist betroffen und immer weniger bereit, sich damit abzufinden. Wie viel die Protestler*innen aufs Spiel setzen, wird anhand der Aktivistin Annie verdeutlicht, die vor Jahren erstochen und ohne Zunge aufgefunden wurde. Die damalige Polizistin, die indigene Evangeline Navarro (Kali Reis), ließ nichts unversucht, um den Mord aufzuklären – vergebens. Der Fall ging ihr so nah, dass er ihr entzogen und sie zur Staatspolizistin zurückgestuft wurde.

Details zu Liz und Evangelines Leben müssen sich die Zuschauer*innen anhand von über die Staffel hinweg verstreuten Andeutungen selber zusammenreimen. Was aber von Anfang an deutlich ist: Ihre Weltsichten und Arbeitsweisen unterscheiden sich grundlegend voneinander. Besonders groß ist die Motivation daher nicht, als ein weiterer mysteriöser Mordfall ihre Zusammenarbeit unausweichlich werden lässt.

Zu Beginn der Polarnacht werden in der Tundra rund um Ennis die entkleideten Leichen eines Forschungsteams entdeckt. Ihre Münder sind weit aufgerissen, ihre nackten, ineinander verschlungenen Körper weisen selbst zugefügte Bisswunden auf, einer der Männer scheint sich die Augen ausgekratzt zu haben. Die Referenz auf das sogenannte Unglück am russischen Djatlow-Pass ist mehr als deutlich. Damals, im Februar 1959, waren auf dem Berg Cholat Sjachl die gefrorenen Leichen von neun Wanderern gefunden worden, ihr 1,5 Kilometer von der Unfallstelle entferntes Zelt war von innen aufgeschlitzt, manche der Opfer wiesen scheinbar unerklärliche Verletzungen wie Schädel- und Rippenbrüche auf. Obwohl man zur Schlussfolgerung kam, dass wohl eine Lawine die Todesursache gewesen sein musste, bleibt die Frage nach dem genauen Verlauf bis heute ungeklärt.

In „True Detective – Night Country“ bilden der Tod der Forscher und die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit Annies Ermordung lediglich den narrativen Überbau. Wovon die Staffel eigentlich handelt, sind die Beziehungen zwischen den Bewohner*innen von Ennis und den mal mehr mal weniger expliziten Spannungen zwischen indigener und weißer Bevölkerung. Nicht nur die wochenlange Finsternis ist dabei Ursprung eines gewissen Grusels, sondern auch die surrealistischen Elemente.

Dass es in der Serie quasi ununterbrochen dunkel ist, tut ihrer Ästhetik keinen Abbruch. Nicht etwa in einem Filmstudio wurde gedreht, sondern in Island. Das Ergebnis lässt sich sehen: Wann immer möglich, wurde von dem atemberaubenden Schauplatz profitiert; nur wenn es unbedingt notwendig war, wurde in Innenräumen gedreht. Immer wieder hält die Handlung inne, um das Visuelle hervorzuheben.

Weibliche Perspektive

Eine von Schnee und Eis umgebene Stadt in Alaska während einer dreimonatigen Polarnacht: Schon allein vom Setting her könnte sich die neuste Staffel von „True Detective“ nicht stärker von den drei vorangegangenen unterscheiden. Seit Wochen wird im Netz denn auch heftig darüber debattiert, ob die Staffel der mexikanischen Showrunnerin Issa López ihren Namen verdient. Tatsächlich hatte López HBO ihre Serie zunächst mit dem Titel „Night Country“ präsentiert – den Bezug zu „True Detective“ schlug der Produktionssender selber vor. López ergänzte das Drehbuch anschließend zwar durch die ein oder andere Referenz auf die erste Staffel besagter Anthologieserie, alles in allem dominieren aber die Unterschiede gegenüber dem, was der vorherige Showrunner, Nic Pizzolatto, geschaffen hat.

Es sind aber nicht nur die thematischen Unterschiede, die Fans der ersten Staffeln auf die Palme treiben. Mit seinen weiblichen Protagonist*innen und zahlreichen indigenen Figuren ist „Night Country“ weit von der Zelebrierung endlos monologisierender weißer Männer der ersten Staffel entfernt. Hier sind die Frauen weit mehr als ästhetisch aufbereitete Leichen oder nörgelnde Ehefrauen: Sie weisen ein komplexes Innenleben auf und sind maßgebliche Impulsgeberinnen für die Handlung. Doch selbst darüber hinaus ist die weibliche Perspektive auf das Detektiv-Genre in jeder Folge vernehmbar, durch die Thematisierung von Mutterschaft, Sexualität, weiblichem Leadership, Gewalt gegen Frauen, Sexismus und reproduktiver Gesundheit.

Dass dem Titel „True Detective“ beigefügt wurde, mag aus rein kommerziellen Gründen erfolgt sein, der Status von „Night Country“ als Prestigeserie lässt sich dennoch nicht verleugnen. Das Mindeste, was man über die Staffel sagen kann, ist, dass es sich um eine sowohl atmosphärische als auch spannende Krimi-Serie handelt. Die fünf bisher erschienen Folgen zogen nicht nur Kritik auf sich, sondern veranlassten Fans sich im Netz über die wildesten Hypothesen und Interpretationsansätze auszutauschen.

Umso frustrierender, dass die Staffel insgesamt nicht besser ist. Sowohl vor als auch hinter der Kamera ist derart viel kreatives Talent in diese Produktion geflossen, an finanziellen Mitteln hat es dank HBO nicht gefehlt und doch lassen sowohl Drehbuch als auch Umsetzung teilweise stark zu wünschen übrig. Eine der größten Schwächen ist die Struktur, vor allem der Rhythmus, mit welchem die Investigation vorankommt – oder auch nicht. Durchgängige Frustrationsquelle sind zudem die Horrorelemente: Mit punktuellen Jump Scares, die wie aus einer anderen Serie zu stammen scheinen, wollte man die Zuschauer*innen wohl bei Laune halten, so als habe man nicht darauf vertraut, dies allein durch die Handlung und die Figuren erreichen zu können. Nicht zuletzt wirken einige der Protagonist*innen im Laufe der Staffel zunehmend inkohärent.

Inwiefern „Night Country“ anders gewesen wäre, wenn die Serie nicht mit vorangegangenen „True Detective“-Staffeln in Verbindung stände, lässt sich kaum beantworten. Fest steht, dass man versuchte zu viele unterschiedliche Elemente unter einen Hut zu bekommen und grundlegende narrative Prinzipien missachtet wurden. Die bisher ausgestrahlten fünf von ingesamt sechs Folgen sind nicht ganz befriedigend. Denn alle Elemente für eine sehr viel bessere Staffel sind eigentlich vorhanden.

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