Der TTIP-Leak lässt vor allem Europas Sozialdemokraten alt aussehen. Ihre Versprechungen die Verhandlungen in bessere Bahnen zu führen, sind endgültig verpufft.
Während sich TTIP-KritikerInnen durch die jüngst von Greenpeace veröffentlichten rund 250 Seiten Verhandlungspapiere bestätigt sehen und ihrer Forderung nach sofortigem Abbruch der Verhandlungen Nachdruck verleihen, bemühen sich die BefürworterInnen, den geleakten Inhalt als „alte Kamellen“ abzutun, die bereits hinlänglich bekannt waren.
Tatsächlich bestätigt sich, was bislang als Vorurteile oder Hirngespinste diffamierte wurde. Die Positionen liegen nicht nur arg weit auseinander, vor allem haben sich die amerikanischen Verhandlungspartner bei einer Reihe von Punkten, die für die europäische Seite essentiell sind, kaum bewegt.
Während die europäischen Verhandlungsführer mit geschwellter Brust versprochen hatten, öffentlich-rechtliche Schiedsgerichte mit einer Berufungsinstanz durchsetzen zu wollen, beharren die USA unverrückbar auf ihrer Forderung privater Schiedsstellen ohne Berufungsmöglichkeit.
In den Verhandlungen gehe es zu wie auf einem Basar, kritisiert der grüne EU-Abgeordnete Claude Turmes. So wird die Zulassung von Genfood mit Zollerleichterungen für die europäische Automobilindustrie schmackhaft gemacht.
Die Versprechungen etwa des deutschen Wirtschaftsministers und SPD-Chefs Sigmar Gabriel, der in Davos seine Landsleute in ihrer Einstellung zu TTIP als „reich und hysterisch“ beschimpfte, erweisen sich noch hohler als bislang geglaubt: Von den wesentlichen Verbesserungen, die er in Aussicht gestellt hatte, ist in den Papieren nichts zu lesen. Noch im Dezember hatte er in seiner Partei eine Mehrheit für ein Weiterverhandeln gewonnen, damit „nicht China und Bangladesch in Zukunft die Standards für Arbeit und Umwelt vergeben“, wie der nicht gerade TTIP-kritische Spiegel berichtete.
Umso spannender ist nun zu beobachten, wie die europäische Sozialdemokratie nach der Veröffentlichung agiert. In Gabriels SPD ist es vorerst nur der linke Flügel, der sich für einen Abbruch der laufenden Verhandlungen ausspricht. In Frankreich sind es Regierungsmitglieder wie der sozialistische Staatsekretär für Außenhandel, die von einem Abbruch der Verhandlungen ausgehen.
Und in Luxemburg? „Ein Freihandelsabkommen, das die Interessen der europäischen Bürgerinnen und Bürger nicht berücksichtigt, wird es mit uns nicht geben“, heißt es in einem kurz nach dem Bekanntwerden der TTIP-Leaks veröffentlichten Kommuniqué der LSAP. „Die Veröffentlichung der besagten Verhandlungsdokumente bestärkt die LSAP in ihrer Position, dass es zu TTIP nur kommen darf, wenn Standards nicht nach unten angepasst werden und das Primat der Politik auch weiterhin gilt“, wird ihrem außenpolitischen Sprecher Marc Angel dabei in den Mund gelegt.
Riesige Straßenproteste riefen bei der Politik allenfalls ein Achsel- zucken hervor.
Es ist schon erstaunlich, welchen Stimmungswandel eine einzige Rundmail von Greenpeace hervorrufen kann, nachdem das ganze Jahr 2015 hindurch riesige Straßenproteste allenfalls ein Achselzucken hervorriefen. Und dann gab es noch das absurde Theater der handyfreien „TTIP-Leseräume“, in denen zumindest den Abgeordneten Einblick in alle wichtigen (?) Verhandlungsdokumente gewährt werden sollte.
Doch erst der Greenpeace-Enthüllung macht nun klar: Das Prinzip der Vorsorge, das alle so entschlossen verteidigen wollten, findet nirgends Erwähnung. Die zuständige EU-Kommissarin verteidigt sich mit einem Verweis auf eine angebliche Präambel, die Greenpeace tatsächlich (noch) nicht zugänglich gemacht wurde. Die Umweltorganisation betont demgegenüber die rechtliche Unverbindlichkeit solcher Vorworte und verlangt die Veröffentlichung sämtlicher Dokumente.
Zwar setzt sich die LSAP noch nicht für einen direkten Abbruch der Verhandlungen ein, doch verschärft sie den Ton. Konsequenter wäre es allerdings, die Verhandlungen auf Eis zu legen und die Verlässlichkeit der eigenen Verhandlungsführer zu überprüfen.