World Musik: Tanzende Seidenstraße

Das Samarkand-Musikfestival zeigt die Seidenstraßenmetropole mit Kultur statt Kommerz. Bericht über einen Besuch beim „Sharq Taronalari“-Festival.

Hauptschauplatz des Sharq Taronalari-Festivals: der historische Registan-Platz. (Foto: Willi Klopottek)

Vom 26. bis zum 30. August ging zum zwölften Mal das im zweijährigen Rhythmus stattfindende internationale Musikfestival „Sharq Taronalari“ in der berühmten Stadt Samarkand in Usbekistan über die Bühne. Der Name bedeutet „Melodien des Ostens“ und es handelt sich dabei um eine der bedeutendsten und größten Musikveranstaltungen in Zentralasien. Samarkand ist einer der legendären Orte der Seidenstraße, über die seit der Antike Europa und Asien Kontakte pflegen. Wenn heute von der neuen Seidenstraße gesprochen wird, geht es um billige Massenware. Früher gelangten auf diesem Weg exotische Waren wie Seide, Porzellan und Gewürze in den Westen, um die ausgefallenen Bedürfnisse der Mächtigen und Reichen zunächst vor allem im Mittelmeerraum zu befriedigen. Es waren also vor allem kommerzielle Interessen, die Menschen dazu brachten, diese beschwerliche Reise anzutreten, um Waren über Tausende von Kilometern zu transportieren – verbunden mit der Hoffnung auf einen satten Gewinn. Auf diesem Wege verbreiteten sich aber gleichzeitig wissenschaftliche Erkenntnisse, Religionen und Kultur.

So hat der usbekische Herrscher und Wissenschaftler Ulug Beg bereits im 15. Jahrhundert mit Hilfe seines gewaltigen Observatoriums in Samarkand die Dauer eines Jahres mit einer winzigen Abweichung von nur 58 Sekunden berechnen können. Nicht zuletzt hatten die Reisenden Kontakt mit der Musik der unterschiedlichen Regionen, die an der Seidenstraße liegen. Der antike Barbat ist durch Terrakotta-Figuren in Zentralasien überliefert und gilt als Vorform der arabischen Laute Oud, aus der sich die europäische Variante entwickelt hat. Damit ist dieses altertümliche Saiteninstrument mit Korpus und Hals auch ein Vorfahr der modernen Gitarre. Zudem nehmen Musikhistoriker*innen an, dass die ersten gestrichenen Saiteninstrumente in Zentralasien entwickelt wurden, über die Seidenstraße in den Westen gelangten und dort schließlich die Erfindung der Violine ermöglichten.

Ursprung der Saiteninstrumente

Die Seidenstraße war also in vielerlei Hinsicht weitaus mehr als nur eine kommerzielle Handelsverbindung zwischen dem Osten und dem Westen des eurasischen Doppelkontinents. Auch standen die Völker Zentralasiens – die zumeist turksprachig sind – seit jeher in regem Austausch. Nach der Eroberung der ganzen Region durch den russischen Zaren und die anschließende Eingliederung in die Sowjetunion war die eminente kulturelle Bedeutung Zentralasiens und Usbekistans in Vergessenheit geraten. Die Tourismusindustrie ist dabei, über die beeindruckend farbigen, großartigen Baudenkmäler – nicht nur in Samarkand – zunehmend mehr Menschen für Usbekistan und seine Nachbarländer zu interessieren.

Die vor mehr als 2.700 Jahren gegründete Oasenstadt Afrosiab war einer der wichtigsten Orte der Seidenstraße. Sie wurde von Dschingis Khan vollständig zerstört, aber in unmittelbarer Nähe unter dem Namen Samarkand neu aufgebaut. Im 15. Jahrhundert legten der damalige Herrscher Timur und später seine Söhne und Enkel den Grundstein für die Form, die Samarkand heute als Reiseziel so beliebt macht. Es entstanden Medresen, islamische Lehranstalten, in denen Religion und Wissenschaft unterrichtet wurden, und Grabmäler von imposanter Größe, geprägt von einer faszinierend harmonischen Ästhetik, teils von riesigen Kuppeln gekrönt und bedeckt von unzähligen Fliesen in einzigartigen Blautönen. Das Zentrum des historischen Samarkand bildet der Registan-Platz, einer der schönsten Plätze der Welt. An drei Seiten wird er begrenzt durch monumentale Medresen, die zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert errichtet wurden. Dies war der Ort, an dem während fünf Tagen das Sharq Taronalari-Festival stattfand.

Das diesjährige Festival stand unter der Schirmherrschaft der Unesco und wurde vom usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev und der Unesco-Generalsekretärin Audrey Azoulay eröffnet. Anschließend feierte man mit einem stundenlangen Non-Stop-Musikprogramm, inklusive aufwändiger Choreografien, die erstaunlich zahlreichen, unterschiedlichen regionalen Stile Usbekistans von Tradition über Klassik bis zu usbekischem Pop. Das Ziel des Festivals ist jedoch erfreulicherweise nicht die Glorifizierung der eigenen Kultur, sondern es will explizit die unterschiedlichen Traditionen vom ganzen Globus im Geist von Frieden und Freundschaft fördern. So waren insgesamt 33 Gruppen aus Amerika (unter anderem gab es Bluegrass von den Henhouse Prowlers), Europa und Asien eingeladen; eine Gruppe kam sogar von den Fidschi-Inseln (Duo VOU). Die europäischen Gruppen kamen unter anderem aus Spanien (Vigüela), Portugal (Miguel Bandeirinha), Ungarn (Romengo), Estland (Rüüt) und es traten auch zwei gemischte Gruppen auf, die in Europa ansässig sind (The Mundus Trio, Ugarit). Solche Musik ist in Samarkand bestimmt nicht oft zu hören, begeisterte aber das einheimische Publikum.

Usbekische Preisträgerin Mekhrinigor Abdurashidova (Foto: Husniddin Ato)

Nicht jede Musikrichtung ist globalisiert

Der Schwerpunkt lag auf Gruppen aus Asien, von Armenien bis Südkorea, inklusive Gruppen aus allen Nachbarländern Usbekistans und vier heimischen Formationen. Es ist schon erstaunlich, dass selbst in Zeiten des Internets, in denen vieles unmittelbar greifbar zu sein scheint, asiatische Musik in Europa kaum eine Rolle spielt, wenn man von Ravi Shankar, seiner Tochter Anoushka und Oberton- und Kehlkopfgesang aus Tuwa und der Mongolei einmal absieht. Das liegt daran, dass die Musik von dort nach anderen Prinzipien und Regeln aufgebaut ist, von westlichen Einflüssen weitgehend verschont geblieben ist und sich nur wenige Plattenfirmen trauen, dies hier zu publizieren. Wer sich aber auf solche Klänge einlässt, wird überwältigt von dieser akustischen Vielfalt und Tiefe. Die vertretenen Gruppen glänzten durchweg mit hoher Professionalität.

Hier eine kleine Auswahl der östlichen Musikgruppen, die besonders hervorstachen. Der Armenier Arsen Petrosyan ist ein Meister der Duduk-Oboe und präsentierte mit seinem Ensemble die klassische Musik seiner Heimat. Aus Aserbaidschan kommt Parviz Qasimov, er sang im Stil des Mugham. Dieser Gesangsstil verlangt höchste Stimmbeherrschung und Qasimov setzte mit seinem kraftvollem Organ noch eins drauf. Ein optischer Genuss war es, dem iranischen Frauenquintett Haray zuzusehen, dessen Mitglieder in bunten Kleidern und Kopftüchern auftraten. Die Gruppe kommt aus der Khorasanregion im Norden Irans an der Grenze zu Turkmenistan und beeindruckte mit Musik der dortigen kurdischen und türkischen Minderheit. Starke Solostimme, melodischer Chorgesang und akzentuierte Perkussion. Aus der russischen Republik Sakha (Jakutien) im Nordosten Russlands kommt das Frauentrio Ayarkhaan, das bereits viele renommierte Festivals in Westeuropa besucht hat. Die drei schlanken, hochgewachsenen Frauen in engen, bunten, traditionellen Kleidern bewiesen, dass man mit lediglich drei Maultrommeln, gleichzeitigem Gesang und Perkussion einen höchst druckvollen, rhythmischen und außergewöhnlichen Klang erzeugen kann.

Das Hatan Ensemble aus der Mongolei ist ein Frauenquartett, das neben der traditionellen mongolischen Pferdekopfgeige und Perkussion auch eine modifizierte Form der japanischen Shamisen-Laute einsetzt. Höchste melodische und rhythmische Präzision und dazu – völlig überraschend – der ultratiefe Kehlkopfgesang, den man sonst nur von Männern kennt. Sie bekamen von der Jury den zweiten Preis zugesprochen. Interessanterweise lebt die Gruppe seit vielen Jahren in Süddeutschland. Die Gewinner des ersten Preises kommen aus Kirgistan. Die beiden ganz jungen Männer des Duo Komuzchilar spielen die birnenförmige, dreisaitige Komuz-Laute, die nicht bundiert ist. Mit großer Fingerfertigkeit bedienten beide ihre Instrumente. Das erinnerte fast an die ausgefallenen Spieltechniken eines Jimi Hendrix, ist aber typisch kirgisisch. Das Badakhshan Ensemble kommt aus Tadschikistan und besteht aus vier Instrumentalisten, die verschiedene Formen der Rubab-Laute spielen, sowie die Tanbur-Laute und die tadschikische Form der Ghijak-Geige. Bei manchen Stücken machen sie ordentlich Tempo und die Sängerin Soheba Davlatshoeva, die auch tanzt, ist so ausdrucksstark und flexibel, dass sie – wie ich bei einer späten Nachtsession erleben konnte – sogar zu Flamenco und Romamusik singen kann.

Das Badakhshan Ensemble ist die einzige der genannten Gruppen, von der eine CD international erhältlich ist. Auch sie wurden mit einem Preis ausgezeichnet. Usbekistan war mit vier starken Gruppen vertreten. Die größte Überraschung war die im offiziellen Programmheft gar nicht aufgeführte 20-jährige Musikstudentin Mekhrinigor Abdurashidova, die aus der usbekischen Choresm-Region an der Grenze zu Turkmenistan kommt. Sie erhielt den Grand Prix des Festivals. Begleitet von der Doira-Rahmentrommel und traditionellen Stein-Kastagnetten feuerte sie ein unglaublich rasantes Feuerwerk an traditionellen Melodien auf ihrer zweisaitigen Dutar-Laute ab. Die rhythmische Präzision des Trios war mehr als erstaunlich und man konnte den Gesichtern der drei den großen, völlig unverkrampften Spaß an der Musik ablesen. Zu dieser rein akustischen und dazu traditionellen Musik tanzte das usbekische Publikum ekstatisch. Ein ganz großes Erlebnis!

Samarkand und die anderen historischen Städte Usbekistans, wie Bukhara, Chiva und Termez sind in jedem Fall eine Reise wert. Die Zeugnisse einer bedeutenden Kultur und die Freundlichkeit der Menschen sind sehr beeindruckend. Es lohnt sich, Samarkand und andere Städte als einen zentrale Orte des Austausches zwischen Ost und West zu begreifen und sich auch der Musik zu öffnen. Für manche, die sich damit bisher nicht beschäftigt haben, wird es zunächst vielleicht keine Liebe auf den ersten Blick werden. Mit offenen Ohren lässt sich aber Schritt für Schritt eine hochstehende, jahrhundertealte Musikkultur entdecken, die eben nicht nach den vertrauten europäischen Schemata organisiert ist, sondern eine ganz eigene, originelle Ausdrucksform entwickelt hat. Eine der hervorragenden Möglichkeiten, das zu erleben, sind Live-Konzerte. Warum nicht mal beim nächsten Sharq Taronalari-Festival in Samarkand?


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