Das Kulturzentrum Neimënster gab letzte Woche gleich zwei Neuheiten bekannt: Ab sofort gibt es dort erstmals einen Kollektivvertrag und eine Charta zum Kinder- und Jugendschutz. Die Personalvertreter*innen Nathalie Dumonceaux und Rui Henriques sowie die Direktorin Ainhoa Achutegui verraten, wie es dazu kam – und was auf der Strecke blieb.
Das Kulturzentrum Neimënster feiert dieses Jahr sein 20. Jubiläum. Grund genug neue Wege zu gehen, denn letzte Woche kommunizierte die Pressestelle des Hauses gleich zwei Mal über Änderungen im Betrieb: Zum ersten Mal seit Bestehen des Kulturzentrums gilt dort nun ein Kollektivvertrag für alle Beschäftigten; darüber hinaus führt das Neimënster als eine der ersten Kulturinstitutionen Luxemburgs eine Charta zum Kinder- und Jugendschutz ein. Über letztere berichtet die woxx bereits vergangene Woche (woxx 1777), die Mitteilung über den Kollektivvertrag erreichte uns erst nach Redaktionsschluss.
Das Zusammenfallen beider Präsentationen nennt Ainhoa Achutegui, Direktorin des Neimënster, im Gespräch mit der woxx einen Zufall. Der Kollektivvertrag und die Charta seien unabhängig voneinander ausgearbeitet worden. Auch die Initiative für beide Projekte sei von unterschiedlichen Parteien ausgegangen: War es die Personalvertretung, bestehend aus der Präsidentin Nathalie Dumonceaux und dem Vizepräsidenten Rui Henriques (An.d.R.: Beide wurden bei den Sozialwahlen am 12. März in ihrem Amt bestätigt), die mit der Bitte um einen Kollektivvertrag auf die Führungsebene zuging, kam die Idee für eine Charta zum Kinder- und Jugendschutz von der Leitung.
Die Kollektivvertragsverhandlungen zwischen der Gewerkschaft OGBL und dem Neimënster begannen 2019, verzögerten sich aber unter anderem aufgrund der Pandemie. Die drei Parteien einigten sich am 9. Februar, nun hießen das Kulturministerium und der Ministerrat den Vertrag gut. Er gilt rückwirkend vom 1. Januar bis vorerst Ende 2026. Doch warum brauchte es überhaupt einen Kollektivvertrag für die Beschäftigten im Neimënster? Eine Frage, die Dumonceaux und Henriques unterschiedlich beantworten. Henriques hebt gegenüber der woxx die allgemeinen Vorteile eines Kollektivvertrags hervor, etwa die Festlegung konkreter Vereinbarungen zum Wohle der Mitarbeitenden oder die Einführung von Reglungen, die über die arbeitsrechtlichen Standards hinausgehen.
In dem Sinne wurden auch bestehende interne Richtlinien im Kollektivvertrag verankert, wie etwa Familienzuschüsse, ein 13. Monatsgehalt oder zusätzliche Urlaubstage für ältere Beschäftigte. Neu sind hingegen die Prämien für eine lange Betriebszugehörigkeit (1.000 für 10 Jahre; 2.000 Euro für 20 Jahre und 3.000 Euro für 30 Jahre) und zwei Urlaubstage mehr für Angestellte ab 60. Außerdem wurde die Lohntabelle zugunsten der Mitarbeitenden angepasst und die Essensgutscheine, die den Beschäftigten zustehen, wurden von rund 11 Euro auf 15 Euro erhöht. Mag Letzteres auf Außenstehende im Vergleich belanglos wirken, war dies für die Personalvertretung ein ausschlaggebender Punkt für den Erfolg der Gespräche.
Was nicht im Kollektivvertrag steht
Das hängt mit dem Hauptanlass der Verhandlungen zusammen, wie Dumonceaux erklärt: Der Wunsch, ein Arbeitszeitkonto einzuführen. Dabei handelt es sich um eine Bestimmung, nach der Arbeitnehmer*innen ihre Überstunden und Urlaubstage ansparen können, um sie zu einem späteren Zeitpunkt auszugleichen. Von den zwanzig Forderungen, zu denen auch die Erhöhung der Gehälter und die Einführung von Alterszulagen zählten, war dieses Anliegen der Personalvertretung am wichtigsten – aber ausgerechnet jenes wurde aus Kostengründen von der Geschäftsführung abgelehnt. Die höher dotierten Essensgutscheine waren also gewissermaßen ein Kompromiss.
Wenig verwunderlich also, dass Dumonceaux etwas verhalten darauf antwortet, wie zufrieden die Personalvertretung mit dem Ausgang der Verhandlungen ist. „Für einen ersten Kollektivvertrag können wir uns eigentlich nur zufrieden zeigen, obwohl die Verhandlungen über das Arbeitszeitkonto erfolglos waren“, schreibt sie. „Die Gespräche waren jedoch bereichernd und sowohl die Geschäftsführung als auch die Mitglieder des Verwaltungsrats zeigten sich kompromissbereit.“ Die Suche nach besseren finanziellen und sozialen Arbeitsbedingungen sei von Beginn an ein Leitmotiv gewesen.
In künftigen Neuverhandlungen könnte laut Personalvertretung die Verteidigung der Heimarbeit ein zentrales Thema werden. Aktuell dürfen die Arbeitnehmer*innen im Neimënster nach Einwilligung der Geschäftsführung gelegentlich von zuhause aus arbeiten. „Unsere Aufgabe wird es sein, gemeinsam mit der Geschäftsführung objektive Kriterien zu definieren, die die Möglichkeit der gelegentlichen und – warum nicht – regelmäßigen Telearbeit für die Stellen, die es zulassen, ermöglichen“, so Dumonceaux. Vize Henriques erwähnt darüber hinaus, die Personalvertretung beobachte auch andere soziale Entwicklungen und wolle auf die Umwelt achten, um die Situation der Mitarbeitenden weiter zu verbessern.
Ainhoa Achutegui unterstreicht der woxx gegenüber derweil mehrfach ihre Begeisterung über den beschlossenen Kollektivvertrag. Sie selbst freut sich besonders über die Bestimmungen zu Kollektivurlauben. „Früher mussten wir jedes Jahr neu verhandeln, wann wir jeweils eine Woche Sommer- und Winterpause einlegen“, sagt sie. „Jetzt ist das im Kollektivvertrag verankert.“
Weniger konkret verhält es sich mit dem Recht auf Nichterreichbarkeit. Es steht im Kollektivvertrag des Neimënsters und wird von der Personalvertretung als wichtig bezeichnet – genaue Richtlinien sind im Kollektivvertrag aber nicht vermerkt. Das entsprechende Gesetz trat im Juli 2023 in Kraft: Unternehmen, die auf digitale Kommunikationsmittel zurückgreifen, sind seither dazu verpflichtet Richtlinien zu erarbeiten, nach denen die Angestellten nach ihrer Arbeitszeit ein Recht auf Nichterreichbarkeit genießen. Sprich: Wer außerhalb der Dienstzeiten nicht auf E-Mails und dergleichen reagiert, dem darf dies in der Folge nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Gleichzeitig sollen Unternehmen klar definieren, wann die direkte Kontaktaufnahme unvermeidlich ist, aber auch wie die Angestellten dafür entschädigt werden können. Die Unternehmen haben noch bis 2026 Zeit, solche Reglungen beispielsweise durch einen Kollektivvertrag oder interne Abmachungen einzuführen. Wem das nicht gelingt, dem drohen Bußgelder von bis zu 25.000 Euro.
Dies stellt Unternehmen wie das Neimënster, das im Event-Bereich tätig ist, vor große Herausforderungen: Bei der Planung von Veranstaltungen kann es immer kurzfristig zu Veränderungen kommen, die eine schnelle und unkomplizierte Kommunikation erfordern, auch außerhalb festgelegter Arbeitszeiten. „Wir müssen gemeinsam einen Kompromiss finden“, sagt Achutegui hierzu. „Die Personalvertretung wurde beauftragt, Meinungen einzuholen und ein Modell auszuarbeiten: Wann wurde das Recht auf Nichterreichbarkeit bisher möglicherweise missachtet? Wann handelte es sich bei der Kontaktaufnahme außerhalb der Arbeitszeit um einen Notfall?“ Im Neimënster sei all dies schwer zu ermitteln, denn die Teammitglieder könnten ihre Arbeitszeiten flexibel einteilen. Manche seien früher, andere später am Tag tätig, erklärt Achutegui. Sie selbst würde oft auch am Wochenende auf Mails reagieren. „Mein Team soll sich in dem Fall nicht verpflichtet fühlen, mir sofort zu antworten“, betont sie. Im Austausch mit ihren Kolleg*innen stelle sie unterschiedliche Bedürfnisse fest: Es gebe sowohl Angestellte, die von ihrem Recht auf Nichterreichbarkeit Gebrauch machten, als auch das Gegenteil.
Kollektivverträge gibt es in Kulturhäusern eher selten. Das Kulturministerium teilte der woxx auf Nachfrage mit: Neben dem Neimënster hat nur die Philharmonie einen Kollektivvertrag vorzuweisen, der auch für die Mitglieder des Philharmonischen Orchesters gilt. In der luxemburgischen Gesamtwirtschaft liegt die Anzahl der Kollektivverträge, nach Angaben des OGBL, bei 59 Prozent. Damit hinkt Luxemburg einer europäischen Richtlinie von 2022 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union hinterher: Nach dieser sollen alle Mitgliedsstaaten in Bezug auf Kollektivverträge einen Deckungsgrad von 80 Prozent erreichen.
Achutegui hält es für erstrebenswert, einen Kollektivvertrag für den gesamten Kultursektor auszuarbeiten statt individuelle Verträge auszuhandeln. Momentan variierten die Arbeitsbedingungen je nach Institution stark. Der Status reiche immerhin von Staatsbeamt*innen bis hin zu freiwilligen Mitarbeitenden in kleinen Strukturen. Das belegt auch die Studie „L’emploi du champ culturel : état des lieux statistique“ (2023), in Auftrag des Kulturministeriums: 86 Prozent der Beschäftigten im Kultursektor arbeiten für private Arbeitgeber*innen. Von den 1.400 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, entfallen 60 Prozent auf Gemeinden und 40 Prozent auf den Staat.
Charta für Kinder- und Jugendschutz
Die Charta für Kinder- und Jugendschutz sei hingegen vermutlich eher Neuland für Kulturinstitutionen, meint Achutegui. Einer der Ausgangspunkte hierfür war der Gesetzesentwurf zum Kinder- und Jugendschutz, über den die zuständige Kommission der Abgeordnetenkammer derzeit noch berät. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass Strukturen, die regelmäßig oder gelegentlich Kinder und Jugendliche begrüßen, eine solche Charta ausarbeiten müssen. „Auch wenn das Gesetz noch nicht verabschiedet wurde, war für mich klar: Jetzt ist der Moment zu handeln“, begründet Achutegui ihre Entscheidung. Bei ihrem Team sei die Idee auf großes Interesse gestoßen, von den Techniker*innen und Handwerker*innen bis hin zu den Angestellten, die in Ateliers mit Minderjährigen zusammenarbeiten.
Die Charta wurde mit Unterstützung von Susanna Greijer, unabhängiger Beraterin zu Kinderrechtsfragen, erarbeitet. Die Mehrheit der Teammitglieder teilte hierfür Eindrücke aus dem eigenen Berufsalltag. So hinterfragten Techniker*innen laut Achutegui beispielsweise, inwiefern sie Kindern zu ihrem eigenen Schutz den Zugang zu manchen Bühnenbereichen verwehren dürften. Das Empfangspersonal habe hingegen gefragt, wie es auf erwachsene Begleitpersonen reagieren solle, die hart mit den anwesenden Kindern umgingen.
Greijer schlug im Austausch mit dem Team Prozeduren vor, die in Rücksprache mit den Angestellten verabschiedet wurden. Auch externe Dienstleister*innen sind zur Einhaltung der Charta verpflichtet. Sie enthält unter anderem einen Verhaltenskodex für die Angestellten, Begriffserklärungen in Bezug auf Gewalttaten sowie ein Formular für Minderjährige, mit dem sie der Teilnahme an Veranstaltungen eigenständig zustimmen können und darüber entscheiden dürfen, ob sie fotografiert werden möchten oder nicht. Darüber hinaus ernennt das Neimënster eine*einen Beauftragten für Kinder- und Jugendschutz, an den sich das Personal jederzeit wenden kann und soll, wenn es Fragen zum Thema hat oder Missbrauchsfälle vermutet, beziehungsweise beobachtet.
Achutegui betont im Austausch mit der woxx ausdrücklich, dass auch Jugendliche durch die Charta geschützt werden. „Minderjährige sind gegenüber von Erwachsenen ganz klar in einer verletzlichen Position“, sagt sie. Sie bringt ein weiteres Beispiel ein: Was, wenn Künstler*innen Minderjährige in ihr Zimmer bestellen, um sie sexuell oder anderweitig auszubeuten oder gar zu missbrauchen? Auf dem Gelände des Neimënster kam es noch nicht zu solchen Vorfällen, sagt Achutegui. „Es ist aber wichtig, dem vorzubeugen und das Personal zu sensibilisieren“, unterstreicht sie. „Wir können nämlich nur auf die Fälle reagieren, die uns gemeldet werden oder die wir erkennen.“