Raumfahrt
: Big Data 
der Tiere


Mitte Februar hob eine russische Sojus-Progress-Rakete vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan ab. An Bord befand sich die knapp 200 Kilogramm schwere Icarus-Antenne.

(Quelle: MPI für Ornithologie)

Icarus steht für International Cooperation for Animal Research Using Space, ein ehrgeiziges wissenschaftliches Projekt, an dem sich unter anderem deutsche, russische, dänische, US-amerikanische, israelische und panamaische Institute beteiligen. Es geht um die satellitengestützte Beobachtung kleiner Tiere vom Weltraum aus. Mittlerweile hat die Antenne ihr Ziel, die Internationale Raumstation ISS, erreicht. In diesem Monat wird sie von russischen Kosmonauten an der Außenseite der ISS angebracht. Damit beginnt die Tierbeobachtung aus dem All.

Die Antenne empfängt die Signale von Sendern, die unten auf der Erde an Tierkörpern befestigt sind. Dadurch lässt sich nachverfolgen, wohin sich die Tiere bewegen und wie sie überhaupt leben. Es müssen allerdings kleine Sender sein. Um das Verhalten eines Tieres nicht zu beeinflussen und seine Überlebensfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, dürfen sie höchstens fünf Prozent seines Körpergewichts ausmachen. „Unsere kleins-
ten Sender wiegen 3,5 Gramm“, sagt Projektleiter Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee. „Wir können also Vögel bis 70 Gramm besendern.“ Stare zum Beispiel, große Wiedehopfe oder Amseln. Wikelski will die Sender künftig auf ein Gramm Gewicht herunterbringen. Dafür braucht es eine sogenannte anwendungsspezifische integrierte Schaltung (ASIC) und bessere Batterien. Beides dürfte in zwei bis drei Jahren verfügbar sein, vermutet Wikelski – gemäß dem Moore’schen Gesetz, wonach sich die Anzahl an Transistoren in einem integrierten Schaltkreis etwa alle zwei Jahre verdoppelt. Sprich: Elektronische Geräte werden immer kleiner.

Die Datenübertragung wird mit Icarus überall möglich sein, denn die Sender schicken ihre Daten nicht mehr wie bisher über das Mobilfunknetz, sondern an die Empfangsstation im All. Die Forscher haben also keine Probleme mehr mit Funklöchern. Hauptsächlich geht es aber um ein besseres Verständnis der Tiere und da ist die Liste der Projektziele ziemlich lang. Da wären zum Beispiel Natur- und Artenschutz durch Grundlagenforschung zu Tierwanderungen. Manche Zugvogelarten, darunter Amseln, machen sich nicht geschlossen auf die lange Reise, ein Teil der Tiere bleibt am Geburtsort. Partielle Migration nennt sich das. Warum die einen ziehen und die anderen sesshaft sind, soll Icarus ans Licht bringen. Nicht nur die uns vertrauten Amseln, auch die Zwergbrachvögel im fernen Australien werden beobachtet. Die Zahl von Vögeln nehme insgesamt drastisch ab, stellt Wikelski fest: „Wir haben allein in Europa in den letzten 30 Jahren 270 Millionen Singvögel verloren. Nur wenn wir wissen, wo, wann, wie und warum Individuen sterben, können wir etwas dagegen unternehmen.“

Auch kanadische Braunbären, russische Saiga-Antilopen und Jaguare in Südamerika werden Daten an die Icarus-Antenne liefern. Hinzu kommen die Suppenschildkröten im Golf von Mexiko. Für einen effektiven Schutz dieser Meerestiere muss bekannt sein, wo in den Ozeanen ihre Kinderstuben liegen und wohin sie schwimmen. Zudem geht es bei Icarus darum, vorhersagen zu können, wie und wo sich Seuchen ausbreiten. Zu diesem Zweck bestückt man sibirische Spieß- und Stockenten mit Sendern und beobachtet hernach ihren Flug in die Winterquartiere im tropischen Afrika und in Indien. So lässt sich die Ausbreitung von Infektionskrankheiten nachvollziehen. Auch die Wege, die antibiotikaresistente Bakterien nehmen, sollen anhand des Entenflugs klar werden. Wildenten holen sich die Bakterien von ihrer Verwandtschaft in der Geflügelzucht.

„Europa hat in den letzten 30 Jahren 270 Millionen Singvögel verloren. Nur wenn wir wissen, warum Individuen sterben, können wir etwas dagegen unternehmen.“

Die Palmenflughunde in Westafrika sind ein weiteres Forschungsobjekt. Ob sie die Lungenerkrankung SARS und Tollwut auf den Menschen übertragen, ist nicht sicher. Die Fledertiere pendeln aber täglich Hunderte Kilometer zwischen Schlaf- und Fressplätzen hin und her. So könnten sich Viren schnell ausbreiten. Das Ebola-Virus übertrügen sie wahrscheinlich nicht, erklärt Wikelski, jedoch kämen sie mit Ebola in Berührung und hätten somit Antikörper. „Wenn wir nun ihre Flugrouten tracken, sehen wir, welche Flughunde mit Ebola in Berührung kamen, auch wenn die Seuche nirgends ausbricht. Daraus könnten wir schließen, wo sich Ebola versteckt hält.“

Tests zum sechsten Sinn von Tieren sind auch geplant. Können sie im Kollektiv einen Vulkanausbruch oder ein Erdbeben vorhersagen? Über Elefanten sagt man, sie spürten, wenn Unheil nahen würde. In der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra berichteten Menschen, dass Dickhäuter vor dem Tsunami im Jahr 2004 ins Landesinnere geflohen seien. Nur lässt sich solch ein tierisches Frühwarnsystem auch wissenschaftlich nachweisen? Die Datenlage dafür ist zu dünn, aber Wikelski hat die Feinsinnigkeit von Tieren schon erlebt. Er versah am Ätna auf Sizilien ein paar Ziegen mit Sendern und zeichnete mehrere Jahre lang ihre Bewegungen auf. Dass der Vulkan an einem Januarabend im Jahr 2012 ausbrechen würde, scheinen die Ziegen „gewusst“ zu haben. Einige Stunden vorher befiel sie laut Messungen eine gewisse Unruhe. Sieben Ausbrüche konnten im Nachhinein mit dem Verhalten der Ziegen in Verbindung gebracht werden.

Bei italienischen Erdkröten betrug die Vorwarnzeit bei einem Erdbeben im Jahr 2009 sogar fünf Tage. Wüsste man fünf Tage vorher, dass ein Erdbeben bevorsteht, könnten viele Menschenleben gerettet werden. Entsprechend sollen die Icarus-Daten die Voraussetzungen für ein tierisches Frühwarnsystem schaffen. Allgemein gehe es um das „Internet der Tiere“, fasst Wikelski zusammen. „Wir sammeln Big Data über ihr globales Kollektivverhalten. Dadurch werden neue Informationen über das Leben auf der Erde sichtbar.“ Das sei so ähnlich wie bei Verkehrsvorhersagen, wenn man die Mobiltelefone aller Verkehrsteilnehmer zusammenschalte.


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