FRAUENFILMFESTIVAL: Mit Kopftuch und Kamera unterwegs am Hindukusch

Die Zukunft des afghanischen Films war Thema bei der neunten „femme totale“ in Dortmund.

Wo kommst du her? Wo willst du hin? Wo darfst du bleiben? Das sind Fragen, die nicht nur in Kriegszeiten, aber besonders dann eine besondere Aktualität erlangen. Auf dem neunten internationalen Filmfestival in Dortmund, das der Verein „femme totale“ unter dem Titel „No Place like Home“ veranstaltet, haben solche Fragen auch den Länderschwerpunkt Afghanistan bestimmt. Rund hundert Filme von Frauen aus der ganzen Welt wurden gezeigt. Fragen, wie sich Frauen filmisch mit Themen wie Mobilität, Migration und Heimat auseinandersetzen, standen bei der Auswahl im Mittelpunkt.

„Eine Reise durchs Nichts, aber dieses Nichts wird mich mein Leben lang erfüllen“, soll Ella Maillart (1903-1997) nach ihrer Afghanistanreise gesagt haben. Mit „Nomades Afghans“ ist der Schweizer Reiseschriftstellerin und ethnografischen Abenteuerin einer der nachdrücklichsten Dokumentarfilme über das Afghanistan der 30er Jahre zu verdanken. Ella Maillart selbst ist das Urbild der selbständigen Frau und die Reise, die sie im Sommer 1939 gemeinsam mit der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach unternahm, liefert heute Urbilder eines von Krieg und Antiterrorkrieg verwüsteten Landes.

Afghanistan mangelt es an Wasser, Nahrung, Bildung und Frauenrechten. Dass afghanische Frauen ein Gesicht haben, wird erst offenbar, seit Frauen die Burka ablegen und mit der Kamera ihr Land erkunden. Wie schwierig sich indes die Arbeit von Frauen in dem von fast 25 Jahren Krieg zerstörten Land gestaltet, machte unter anderem die afghanische Frauenrechtlerin Jamila Mujahed deutlich, die in Dortmund die Zukunft der afghanischen Medien diskutierte. „Es gibt immer noch viele bewaffnete Banden, die wie eine Barrikade gegen die Entwicklung freier Medien wirken“, sagte die erfahrene Journalistin, die nach dem Sturz der Taliban mit der Herausgabe einer regierungsunabhängigen Zeitschrift für Frauen begann. Seit dem 8. März 2003 betreut sie im Radio außerdem eine Sendung mit dem Titel „Stimme der afghanischen Frau“, was einer kleinen Revolution gleichkommt, bedenkt man, dass im afghanischen Fernsehen seit 1992 und auch noch heute unter der Regierung von Hamid Karsai der Gesang von Frauen verboten ist und diese lediglich als Nachrichtensprecherinnen zugelassen sind. Die fünf Redakteurinnen laufen bei ihren Recherchen auf der Straße noch immer Gefahr, von empörten Männern beschimpft und geschlagen zu werden. „Vor allem fehlt es uns an Autos“, sagt Jamila Mujahed, „um in entlegenen Gebieten zu recherchieren.“

Der erste lange Dokumentarfilm afghanischer Frauen, „Afghanistan Unveiled“, stellten die afghanischen Kamerafrauen Shekiba Adil und Merhia Aziz vor. Der Film zeigt das Leben der Menschen in verschiedenen entlegenen Provinzen. Da erschüttert die unvorstellbare Armut mancher Leute ebenso wie die Berichte von Frauen, die während des Krieges ihre Männer und Brüder sterben sahen. Zugleich reflektiert der Film die immensen Schwierigkeiten weiblicher Filmemacherinnen. Da werden beispielsweise Burka-Hersteller befragt, die währen des Talibanregiems gute Geschäfte machten und vor der Kamera offenherzig ihren Unmut über den möglichen Niedergang der Burka äußern. Viele Afghanen auf der Straße blicken mit Skepsis in die Kameras der Frauen, aber „Afghanistan Unveiled“ zeigt auch optimistisch stimmende Ansätze: beispielsweise den Vater einer der Kamerafrauen, einen Mullah, der sich aufgeschlossen gegenüber modernen Entwicklungen im Land äußert oder Bilder von einem Dorf, dessen Männer für das Filmteam einen Freudentanz aufführen. Brigitte Brault hat im Auftrag der französische Hilfsorganisation „Aina“ die afghanischen Frauen an der Kamera ausgebildet. „Würden die Frauen ihr Kopftuch ablegen, liefen sie Gefahr, ihr Filmprojekt im eigenen Land zu gefährden“, sagt die Filmemacherin, die wie Jamila Mujahed eine „aufgeklärte afghanische Politik“ als Voraussetzung für eine „aufgeklärte Medienarbeit“ betrachtet. Die im Kanadischen Exil lebende Filmemacherin Nelofer Pazira, deren Geschichte als Exil-Afghanin der iranische Regisseur Mohsem Makhmalbaf in seinem in Cannes ausgezeichneten Film „Die Reise nach Kandahar“ (2001) erzählt, hat sich in ihrem Film „Deadly Remnants“ mit den Nachwirkungen der amerikanischen Streubomben in ihrem Land beschäftigt. Filme wie dieser zeigen nachdrücklich, unter welchen verheerenden Voraussetzungen sich das Leben hier neu organisiert.

Blumenkinder Afghanistans

Dass Afghanistan bessere Zeiten erlebt hat und was das Land in den Siebzigern den nomadierenden Blumenkindern bedeutete, daran erinnern Wilma Kiener und Dieter Matzka in ihrem 1996 entstandenen Dokumentarfilm „Ein Traum von Kabul“. Die internationale Hippie-Szene, von Donovan bis Timothy Leary, kommt ausführlich zu Wort. Und es erscheint hinreißend schräg, wenn Ex-Terrorrist Bommi Baumann berichtet, wie ihn die unverbrauchte Schönheit des afghanischen Lebens in Kabul, das in Dokumentaraufnahmen aus den 70er Jahren seine Rede illustriert, jeglichen Interesses an terroristischen Zielen beraubte.

In Filmtiteln wie „Nomades Afghans“, „Ein Traum von Kabul“ oder „Die Reise nach Kandahar“ klingt etwas von dem mythischen Zauber an, der dem Land anhaftet und Ethno-Poeten wie Ella Maillart, Annemarie Schwarzenbach, Bruce Chatwin und Peter Levi („Im Garten des Lichts“) in Richtung Hindukusch geführt hat. Die Neuauflage ihrer Reiseberichte offenbart die neu erwachte Faszination für das Land, „so, als sei die fremde Kultur nur im Zeichen ihrer radikalen Bedrohung von öffentlichem Interesse“, schrieb kürzlich ein Kritiker. Sind die Träume der Ethno-Poeten, Grenzgänger und Individualisten an den kargen Lebensbedingungen zerschellt? Die afghanischen Frauen haben jedenfalls ihre Träume von Menschen, die friedlich leben und ihren inneren Frieden finden, bewahrt.

Cornelia Fleer


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