NEUE ÖLKRISE: Falsche Antworten

Mit der Erkenntnis, dass das Erdöl zur Neige geht, ist es nicht getan. Neben einer Energiewende existieren andere Lösungen – auf Kosten der Sicherheit, der Nord-Süd-Gerechtigkeit oder des Weltfriedens.

Die Welt bewegt sich auf eine neue Erdölkrise zu. Das jedenfalls geht aus dem jüngsten „Medium-term Oil market report“ der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Ähnlich wie beim Stern-Bericht zu den Kosten des Klimawandels sind es auch diesmal keine engagierten UmweltschützerInnen, sondern industriefreundliche Wirtschaftsexperten, die Alarm schlagen. Der Verbrauch steige schneller als erwartet, weil sich die Akteure an die hohen Preise gewöhnt hätten. Dem stünden begrenzte Raffineriekapazitäten und vor allem schwindende Förderreserven gegenüber, so die IEA.

Grund zur Freude für diejenigen, die schon immer wussten, dass es so nicht weitergehen kann? Werden Regierungen und Industrie, unter dem Eindruck dieses Berichts, nun endlich die Energiewende vollziehen, weg von den fossilen und hin zu den erneuerbaren Ressourcen? Doch die Hoffnung, dass die drohende Krise diese Weichenstellung erzwingt, wird getrübt, wenn man sich die möglichen „alternativen“ Lösungen vor Augen führt.

Energie aus Atomkraft sei wieder vielversprechend, schrieb die gleiche IEA in ihrem Jahresbericht 2006. Angesichts des drohenden Klimawandels, der steigenden Ölpreise und der Unsicherheit der Gasversorgung empfiehlt die IEA den massiven Bau neuer Kernreaktoren. Doch eine solche Lösung birgt Gefahren. Das Unfallrisiko, die Möglichkeit der Verbreitung von Atomwaffen und die langfristige Belastung durch radioaktiven Abfälle sind bekannt. Die Atomkraft als Lösung zu erküren, bedeutet auch, Forschungs- und Investititonsmittel für andere Energiequellen zurückzufahren. Kommt es dann, aufgrund eines größeren Reaktorunfalls, zu einer allgemeinen öffentlichen Ablehnung, so werden sich die Länder, die auf Kernkraft gesetzt haben, in einer dramatischen Atom- und Energiekrise wiederfinden.

Eine andere „Lösung“ der Energiekrise ergibt sich ebenfalls aus den Analysen des „Oil market report“. In den Schwellenländern, vor allem in China, sind es der Ausbau der Industriekapazitäten, der steigende Wohlstand und der damit einhergehende Autoverkehr, welche die Nachfrage nach Erdöl steigen lassen. Diese Feststellung passt zu den Schlagzeilen anlässlich des UN-Klimaschutztreffens in Bangkok im Mai: China blockiere die Beratungen, obwohl es bald die USA als größter CO2-Erzeuger überholen wird. Die Lösung erscheint naheliegend: Wenn man den Schwellenländern strenge CO2-Quoten auferlegte, würde man sowohl dem Klimawandel als auch der Erdölkrise vorbeugen – und ganz nebenbei diesen aufstrebenden und bedrohlichen Wirtschaftsmächten einen Dämpfer aufsetzen.

Doch diese Überlegung lässt ausser Acht, dass in China und Indien ein weitaus größerer Teil der Weltbevölkerung lebt als in den USA und Europa. Ein Abkommen, das auf Dauer den einen einen niedrigen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß vorschreibt und den anderen einen hohen erlaubt, entspricht dem Versuch, das Klima- und Energieproblem auf Kosten der Nord-Süd-Gerechtigkeit zu lösen – keine sehr nachhaltige Vorgehensweise.

Schließlich steht noch ein dritter Lösungsansatz unausgesprochen im Raum: Statt die Verfügbarkeit des Erdöls über internationale Abkommen sicherzustellen, diese durch den Einsatz oder die Androhung von militärischer Gewalt zu erreichen. Seit ein paar Tagen sorgt zum Beispiel eine russische Nordpolexpedition für Aufmerksamkeit. Es wird spekuliert, Russland wolle sich die polaren Erdöl- und Erdgasreserven unter den Nagel reißen, was zu einem neuen „Kalten Krieg“ in der Arktis führen könnte.

Doch agressive Außenpolitik zum Zwecke der Ressourcensicherung ist kein russisches Privileg. Seit Ende des zweiten Weltkriegs dient die Politik der USA im Mittleren Osten dazu, sicheres und billiges Erdöl für sich und ihre Alliierten zu garantieren. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder die Machenschaften Chinas in Erdöl fördernden Ländern kritisiert. Und die EU-Leader reden viel über multilaterale Verhandlungslösungen, forcieren parallel dazu aber den Ausbau der militärischen Kapazitäten, um den freien Zugang zu Rohstoffen abzusichern. Damit gibt es auf internationaler Ebene derzeit keinen wichtigen Aktuer mehr, der glaubwürdig eine friedliche Alternative zum globalen Konflikt um die fossilen Brennstoffe vertritt. Dass die Verknappung dieser Rohstoffe jetzt allgemein anerkannt wird, ist also alles Andere als ein Grund zum Jubeln.


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