Die Gesprächsrunde „Le Luxembourg: un état colonial?“ des Nationalen Museums für Geschichte und Kunst (MNHA) hat trotz engagierten Teilnehmer*innen die Gelegenheit verpasst, einen produktiven und vielschichtigen Austausch über Luxemburgs Kolonialgeschichte zu ermöglichen. Stattdessen bot sie Fernand Kartheisers (ADR) diskriminierenden Ansichten eine Bühne. Ein Kommentar der Sozialwissenschaftlerin Claire Schadeck.
Das Nationale Museum für Geschichte und Kunst (MNHA) zeigt seit dem 8. April die Ausstellung „Le passé colonial du Luxembourg“ über Luxemburgs koloniale Vergangenheit in Belgisch-Kongo. Im Rahmen dieser Ausstellung organisierte das MNHA am 2. Juni die Diskussionsrunde „Le Luxembourg: un état colonial?“ über Luxemburgs Beteiligung an der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Ausbeutung der Kolonie Belgisch-Kongo. Zu den Teilnehmenden zählten Alpha Muyizere (Richtung 22), Antonia Ganeto (Finkapé), Fernand Kartheiser (Abgeordneter ADR), Franz Fayot (Minister für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Angelegenheiten), Kevin Goergen (Doktorand C2DH) und Sandrine Gashonga (Lëtz Rise Up). Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Monique Faber.
Ist Luxemburg also verantwortlich für die Ausbeutung der Menschen und der Ressourcen in der Kolonie Belgisch-Kongo unter der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. (1885-1908)? Weder die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion noch die Menschen aus dem Publikum schienen sich einig zu sein. Ähnlich sah es bei der Frage nach Schuldbekenntnissen der luxemburgischen Regierung aus. Sandrine Gashonga (Lëtz Rise Up) betonte die symbolische Relevanz einer Entschuldigung für betroffene Menschen: Eine öffentliche Entschuldigung bedeute auch die Anerkennung des Unrechts, das Betroffenen angetan wurde. Antonia Ganeto (Finkapé) erläuterte wie wichtig es sei, dass Institutionen wie das MNHA und die Universität Luxemburg durch die Kuration einer öffentlichen Ausstellung und die Förderung einer thematischen Studie, die Kolonialvergangenheit Luxemburgs anerkennen und aufarbeiten würden. Der Minister Franz Fayot verwies hingegen wiederholt darauf, dass die Implikationen Luxemburgs nicht mit der belgischen Herrschaft in der Kolonie Belgisch-Kongo zu vergleichen seien – erst die wissenschaftliche Aufarbeitung der Kolonialgeschichte werde die luxemburgische Verantwortung in Belgisch-Kongo offenbaren und erst dann würde sich die Frage nach der Notwendigkeit von Schuldbekenntnissen durch die Regierung stellen. Der Abgeordnete Fernand Kartheiser vertrat eine völlig andere Position: Er hinterfragte die Möglichkeit einer kolonialen Vergangenheit Luxemburgs allgemein und argumentierte, dass Luxemburg auf juristischer Ebene kein Kolonialstaat gewesen sei. Kartheiser negierte mehrfach die Rolle Luxemburgs im Zuge der Ausbeutung der Menschen in der Kolonie Belgisch-Kongo.
Während Fernand Kartheiser diese und andere rassistischen und diskriminierenden Ansichten über einen längeren Zeitraum ununterbrochen teilen durfte, wurde Antonia Ganeto in der Diskussionsrunde wiederholt übersprungen und kam erst durch Eigeninitiative sowie nachdrückliche Aufforderungen des Publikums zu Wort. Die Diskussionsrunde reproduzierte demnach einen strukturellen und institutionellen Rassismus, der doch eigentlich im Rahmen des Podiumsgesprächs aufgebrochen werden sollte.
Hier stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob rassistischen Ansichten eine Bühne geboten werden sollte und wenn ja, in welchem Rahmen und in welchem Ausmaß. In diesem konkreten Fall hat die Aussprache rassistischer Parolen dazu geführt, dass ein produktiver Austausch über die Aufarbeitung von Luxemburgs Kolonialgeschichte unterbrochen und schließlich zugunsten diskriminierender Aussagen beendet wurde. Michel Polfer, Direktor des MNHA, begründete die Wahl der Teilnehmenden mit dem Anspruch, die Diversität aller Stimmen der Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Die Gegenüberstellung divergenter Positionen kann sicherlich eine Diskussion anregen. Allerdings sollte hinterfragt werden, wie relevant diskriminierende und marginalisierende Ansichten für einen konstruktiven und fortschrittlichen Austausch sind.
Darüber hinaus fand keine genderspezifische Analyse der Kolonialgeschichte statt, trotz der Anwesenheit feministisch engagierter Organisationen, wie Finkapé, Lëtz Rise Up und Richtung 22. Eine gendersensible Erläuterung des Kolonialisierungsprozesses sowie diskriminierender Ausbeutungsmechanismen hätten es erlaubt, Luxemburgs Beteiligung in Belgisch-Kongo im Hinblick auf Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu untersuchen. Im Rahmen dieser Diskussionsrunde wurde allerdings kein Raum für diese notwendige Analyse intersektionaler Diskriminierungsmechanismen geöffnet. Diese Leerstelle lässt sich, genauso wie die allgemeine Dynamik der Diskussionsrunde, auf das Format zurückführen: Anstatt den Austausch zwischen den Teilnehmenden zu fördern, wurde jeder Person nacheinander die gleiche Frage gestellt, ohne den Raum für Inter- und Reaktion zu öffnen. Eine Abweichung vom Fragenkatalog der Moderatorin war unmöglich.
Claire Schadeck (Sozialwissenschaftlerin)
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