TANZ: Tanz der Demokraten

Bernard Baumgarten ist Leiter des Trois C-L und brachte schon mit dem Dance Palace frischen Wind in die Luxemburger Tanzszene. Die woxx unterhielt sich mit ihm über das Festival „Le Transfrontalier“.

Bernard Baumgarten

woxx: Zum Stichwort grenzüberschreitendes Festival: Tanzt der blaue Hirsch unter ihrer Regie weiter?

Bernard Baumgarten: Also, eigentlich nicht. Das Festival gibt es schon seit 2005. Damals war es als dreijähriges Projekt geplant, das sich von 2005 bis 2007 erstrecken sollte. Wir wollten eine Plattform für zeitgenössischen Tanz in Luxemburg und der Großregion schaffen. Durch das Projekt „Dance Palace“ sind wir mit vielen Partnern in Kontakt gekommen und so kam die Idee, die Plattform und auch das Festival zu erweitern. Neu war, nicht nur verschiedene Künstler nach Luxemburg einzuladen, sondern auch das Festival reisen zu lassen. Dieses Festival ist das Erste, das unter dem Namen „Le Transfrontalier“ fungiert und von Luxemburg nach Nancy und Zagreb reist. Kroatien ist Gastland in der Ausgabe 2008 des Festivals. Jedes Jahr wollen wir ein anderes Land in unsere Programmierung mit einbeziehen. Dabei wählen wir exotischere und weniger bekannte Länder und Städte aus, also weder Paris, noch Brüssel oder Berlin, sondern nur solche, von denen die wenigsten erwarten, dass es dort überhaupt eine Tanzszene gibt.

Was hat Sie denn spezifisch an Zagreb interessiert?

Der Humor. Ich war letzten Oktober selbst in Zagreb und war erstaunt, wie humorvoll die meisten Stücke waren. Das hat uns sehr gefallen und deshalb haben wir auch drei sehr humorlastige Stücke nach Luxemburg geholt.

Wie würden Sie einem Laien erklären, was zeitgenössischer Tanz ist?

Zeitgenössischer Tanz ist wie zeitgenössische Kunst: Er kann alles Mögliche sein. Es gibt keine Schubladen in dieser Disziplin. Eigentlich ist es schwer zu erklären, denn es ist alles was heute geschieht. Das Wort ‚zeitgenössisch‘ sagt das ja aus. Der Unterschied zum klassischen Tanz ist jedenfalls glasklar. Letzterer ist seit 200 Jahren historisch festgelegt und sehr kodiert. Ob sie einen Schwanensee in New York oder Moskau sehen, macht eigentlich keinen Unterschied. Es bleibt dieselbe Vorstellung. Im zeitgenössischen Tanz aber funktioniert alles auf demokratischer Basis. Das heißt, er definiert sich hauptsächlich durch seine offene Haltung jeglicher neuer Tendenz gegenüber. Er bereichert sich ständig und sucht diese Bereicherung auch.

In welche Richtung entwickelt sich der zeitgenössische Tanz gegenwärtig?

Momentan erleben wir die Rückkehr des Physischen im Tanz. Vor ein paar Jahren, hatten wir eine Tendenz zum ‚No Dance‘, in der fast überhaupt nicht mehr getanzt wurde. Da hatten das Theater und die Installationskunst einen großen Einfluss auf die meisten Künstler. Die neue Generation bewegt sich wieder mehr. Daneben werden auch die akademischen Tanztechniken neu entdeckt und aufgewertet.

Spiegelt sich diese neue Tendenz auch in den Inhalten wieder?

Die Inhalte sind immer sehr aktuell. Zum Beispiel sind unsere Choreografen dieses Jahr nur Frauen. Das heißt aber nicht, dass nur Männer tanzen werden. Wir haben versucht einen interessanten Mix anzubieten. Einerseits gibt es sehr provokante Stücke zu sehen, wie das mit dem Tintenfisch und dem Mädchen „Symphonie pour une dissolution“ von Camille Mutel aus Frankreich, um das schon die wildesten Spekulationen laufen, was die Tänzerin mit dem Kraken denn nun alles anstellen wird und wofür das Tier überhaupt steht. Auf der anderen Seite haben wir Anu Sistonen, die für Luxemburg ein ziemlich akademisches Stück auf die Beine gestellt hat. Beide Choreografien werden am gleichen Abend aufgeführt und ich denke es wird sehr interessant zu sehen, wie das Publikum auf diesen Kontrast reagieren wird.

Gibt es einen roten Faden in diesem Festival?

Die Vielfalt ist das, was alle KünstlerInnen verbindet. Es geht darum so offen wie möglich die verschiedensten Tendenzen zu zeigen: Die, die in der Großregion momentan aufblühen und die neue Generation aus Zagreb. All das war für uns viel wichtiger, als das Festival in irgendein Thema zu zwängen. Und das wird auch in den nächsten Ausgaben so bleiben. Nächstes Jahr werden wir übrigens mit dem Stadttheater Trier zusammenarbeiten.

Welchen Stellenwert hat die Luxemburger Tanzszene im internationalen Vergleich?

Luxemburg steht sehr gut da. Seit das Grand Théâtre so viele Tanzspektakel programmiert, haben wir alle Hände voll zu tun. Seit 25 Jahren gibt es ein Tanzfestival in Luxemburg. Anfangs noch in der Cour des Capucins, inzwischen haben immer mehr Kulturinstitutionen den zeitgenössischen Tanz für sich entdeckt, so dass diese Disziplin quasi unumgänglich wurde. Und heute ist der zeitgenössische Tanz der Theaterkunst ebenbürtig.

Wie steht es mit interdisziplinärer Zusammenarbeit?

Darauf setzen wir nach wie vor. Zum Beispiel bei „Mischa der Fall“. Es handelt sich hierbei um eine Mischung aus Tanz, Theater, Installation und zeitgenössischer Musik. So ein großes Projekt erfordert viel Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen. Die Geschichte basiert auf dem realen Fall eines psychisch gestörten, jungen Menschen, der zum Mörder wird. Das gesamte Spektakel gewährt einen zweieinhalbstündigen Einblick in das Innenleben dieser Person. Der zeitgenössische Tanz ist sicher die Kunstform, die sich bis jetzt als die offenste von allen bewährt hat. Tanz verbindet immer. Das war schon im klassischen Tanz der Fall, der untrennbar von Komponisten existiert – aber auch zu Architektur, Malerei und Literatur gibt es Parallelen.

Hat die Tanzdisziplin heute eine festere Form erreicht?

Das würde ich nicht sagen. Es wird immer junge Leute und neue Generationen geben, die alles wieder in Frage stellen werden. Wir warten immer wieder auf neue Formen. Es wäre eigentlich wieder an der Zeit.


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