RIO+10: Friedhofstimmung auf dem Gegengipfel

Kaum ein Gipfel ohne Gegengipfel. Zehn Jahre nach Rio haben Umwelt-NGO ihren festen Platz auf hochrangigen UN- oder EU-Treffen. Zumindest die großen versuchen mitzureden. Andere können oder wollen nicht.

Stell dir vor, es ist Umweltgipfel und alle verzichten darauf, CO2-spendende Bonusmeilen zu sammeln! Eine Utopie des 21. Jahrhunderts, denn die Grundsatzfrage, ob UmweltschützerInnen rund um die Welt fliegen dürfen, wird selbst unter deutschen Ökofundis kaum mehr debattiert.

In den letzten Tagen machten sich Zehntausende VertreterInnen der so genannten Zivilgesellschaft auf den Weg, um im südafrikanischen Johannesburg über eine gerechtere, sauberere Welt zu diskutieren. Auf dem ersten UN-Weltgipfel kamen 1992 erstmals 1.400 Nicht-Regierungsorganisationen sowie Delegationen aus 175 verschiedenen Ländern zusammen. Seitdem ging in der Umweltszene der „Geist von Rio“ um, es wurde gar vom Aufbruch in eine „Neue Weltordnung“ geredet. Doch die politische Bilanz ist ernüchternd, darin sind sich selbst chronisch positiv eingestellte Realo-Umweltverbände einig. „Wir haben es bei Weitem nicht geschafft, die negativen Trends in der Bekämpfung des Armuts oder in der Umweltschutzpolitik umzudrehen“, kommentiert Martin Rocholl, Vorsitzender des weltweiten Umweltverbandes „Friends of the Earth“ (FOE), die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren.

Die Anwesenheit auf Gipfeln sei inzwischen ziemlich „normal“, sagt Rocholl, der das Geschehen in Johannesburg von Europas Hauptstadt Brüssel aus beobachtet. „Wir sind jetzt erfahrener und können den Verhandlungsprozess direkt beeinflussen“. Vor zehn Jahren noch betrachtete der Umweltaktivist den Gegengipfeltourismus kritischer: „Damals war ich dafür, dass sich die NGO per Fax koordinieren und damit überflüssige CO2-Ausstöße durch Flugreisen gespart werden.“

Gipfel-Hopping der NGO-Promis

Doch im Lager der NGO geht es längst nicht mehr nur darum, den Protest zu organisieren – die Umwelt-Lobby sitzt mit am Verhandlungstisch oder steht zumindest einsatzbereit im Hinterzimmer. Nicht selten praktizieren NGO-Promis ein regelrechtes Gipfel-Hopping, kritische Organisationen sprechen gar von einem „participation overkill“. „Wir sind in Johannesburg in einigen offiziellen Delegationen präsent“, betont Rocholl und ist davon überzeugt, dass diese Arbeit sinnvoll ist. „Unsere Leute sind in erster Linie Informanten“, so der FOE-Vorsitzende.

Wichtig sei es, im Vorfeld die Positionen klar und deutlich zu formulieren und davon nicht abzurücken. Als „Fieberthermometer“, mit dem die Regierungen vor Ort den Grad der zu erwartenden Kritk messsen können, will sich weder FOE noch eine andere Umweltschutzgruppe gerne missbrauchen lassen. „NGO tun gut daran, nicht zu sehr auf taktische Überlegungen in Verhandlungen einzugehen“, sagt Martin Rocholl. Dennoch: „Nur wenn wir wirklich mitbekommen, was konkret verhandelt wird, können wir unmittelbar reagieren.“ Eine schnell und gezielt lancierte Pressemitteilung habe da schon so manches bewirken können.

Dass das eher die Ausnahme ist und man „schon so manche Kröte schlucken musste“, räumt auch Rocholl ein. Auch, dass in Johannesburg bislang konkrete Erfolge der Umwelt-Lobbyisten fehlen. Also lieber erst gar nicht hinfahren? Zum Boykott von Rio+10 rief in Deutschland unter anderem die „Bundeskoordination Internationalismus“ (BUKO) auf: „Fahrt nicht hin! Macht was Schönes“, so ihr Rat, „Lasst Euch nicht von den Regierungen und Unternehmen instrumentalisieren!“ Die Gefahr der Legimitation der offiziellen Pleite durch die NGO-Präsenz sei nicht von der Hand zu weisen, gibt Pascal Husting zu, der in Johannesburg mit am Verhandlungstisch sitzt. „Wir haben bisher in keinem Punkt das erreicht, was wir wollten“, so Husting. Als „damage control“ beschreibt der Vertreter von Greenpeace-Luxemburg den bisherigen Einsatz der NGO auf dem Rio+10-Gipfel.

Bleibt noch der eigentliche Gegengipfel, um die Bilanz der UmweltaktivistInnen aufzubessern. Rio habe, das betont Martin Rocholl trotz früherer Skepsis dem „Global Forum“ gegenüber, sehr stark zur Vernetzung der internationalen Umweltszene beigetragen. In Johannesburg wurde den GipfelgegnerInnen ein Gelände im Industrieviertel Nasrec, rund 35 Kilometer vom offiziellen Tagungsort entfernt, zugewiesen. „Wir bekommen hier rein gar nichts davon mit“, kommentiert PASCAL Husting den Kontakt zur Basis. Kollegen würden von einer Friedhofstimmung in Nasrec sprechen, es seien kaum Aktivisten dort, immer mehr wollten stattdessen Zugang zum offiziellen Kongresszentrum.

Bleibt es beim reinen damage control?

Der ist jedoch sehr begrenzt, lediglich die „major groups“, die großen Umweltorganisationen wie FOE, WWF, Greenpeace, Oxfam oder Climate Network haben dort ihren festen Platz. Die Uno hat einen NGO-Raum im Tagungsgebäude zur Verfügung gestellt.“Wir wollen den politischen Prozess so nah wie möglich verfolgen“, beschreibt Husting das tägliche NGO-Geschäft auf diesem Weltgipfel. Konkret heißt das: der jeweils aktuellsten Textversion hinterherlaufen, die einzelnen Kapitel Punkt für Punkt verfolgen und möglichst Einfluss auf die Delegationsmitglieder ausüben.

Damit die Arbeit möglichst effektiv ist, wurden die Themenbereiche untereinander aufgeteilt. „Die Zusammenarbeit klappt sehr gut“, freut sich Husting. Doch was ist mit denen, die nicht zu den „major groups“ gehören und dennoch mitreden wollen? „Ehrlich gesagt, bekommen wir von den so genannten Ehrenamtlichen nicht viel mit“, so Husting. Aus dem bunten Haufen der Öko-AktivistInnen ist eine spezialisierte Profitruppe geworden, auch äußerlich hat man sich den offiziellen Funktionären angepasst. Costume-Cravate ist heute unter Umweltlobbyisten angesagt, um, so Pascal Husting, „nicht aufzufallen und als gleichberechtigte Partner akzeptiert zu werden“.

Eine Analyse darüber, ob diese Strategie der reinen Verhandlung die richtige war, will Husting jedoch im Anschluss an den Gipfel in Greenpeace-Kreisen führen. Die Atmosphäre beim täglichen Briefing zwischen EU-Delegation und Umwelt-NGO sei zunehmend frostiger. Noch sei jedoch ein positiverer Verlauf der Verhandlungen nach Ankunft der Minister am Donnerstag möglich. „Wenn nicht, müssen wir uns tatsächlich fragen, ob wir diesen Prozess durch unsere Präsenz letztendlich nicht rechtfertigen.“

Danièle Weber


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