UNIVERSITÄT: Ohne Dach keine Daseinsberechtigung

Wer aus einem Nicht-EU-Mitgliedstaat kommt und in Luxemburg studieren will, muss Geld und starke Nerven haben. Die hiesige Wohnungsnot wird schnell zur existenziellen Bedrohung.

Wirklich zum Feiern dürfte François Carbon nicht zumute sein, dabei hat „Wunnraum fir Studenten“ diesen Herbst Geburtstag. Seit zehn Jahren schon vermittelt der Präsident des gemeinnützigen Vereins Zimmer an StudentInnen, in Wohnheime mit so illustren Namen wie „Number One“, „Socrates“ oder „Lucilinburhuc“ oder bei Privatfamilien. Wenn … welche da sind. Waren es in den Anfangsjahren der Asbl 62 Anfragen, die zu bewältigen waren, so ist diese Zahl mittlerweile auf über 2.000 angestiegen. Die BewerberInnen kommen von überall her: 42 Nationalitäten leben in den verschiedenen Studentenhäusern. Die Zimmer der Wohnraum-Initiative sind begehrt. Mit Preisen zwischen 200 und 375 Euro sind sie oft billiger als Angebote auf dem freien Markt und zudem wesentlich besser ausgestattet.

„Es werden von Jahr zu Jahr mehr Studienbewerber. Wir können etwa 600 Anfragen positiv beantworten“, sagt François Carbon. Diese StudentInnen und PraktikantInnen verteilen sich auf die 102 Wohnheimzimmer sowie 150 Privatadressen, mit denen der Verein zusammenarbeitet. Alle anderen erhalten eine Absage.

Quasi-Aufnahmestopp

„Die Ablehnung kann für ausländische StudentInnen, die nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat kommen und keine anerkannten politischen Flüchtlinge sind, existenzbedrohende Konsequenzen haben. Denn das Ausländergesetz von 1972 sieht vor, dass jeder Ausländer eine feste Wohnadresse haben muss, um eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. „Man bekommt keine ‚autorisation de séjour‘ ohne Wohnadresse. Und ich kann meinerseits keine Adresse geben ohne Aufenthaltsgenehmigung“, beschreibt Carbon den Teufelskreis, in dem sich viele AusländerInnen befinden. Im vergangenen Jahr lagen dem Verein allein 120 Anfragen von afrikanischen StudentInnen vor. Da die Heime aber nach dem Prinzip einer Art „Nationenquote“ funktionieren, und bereits 16 BewerberInnen aus Kamerun, Kongo, Marokko, Tunesien und anderswo angenommen wurden, gilt für Studis aus Afrika quasi ein Aufnahmestopp.

„Wenn wir uns auf dem freien Markt bewerben, wird uns oft die Tür vor der Nase zugemacht“, erklärt ein Betroffener gegenüber der woxx, der seinen Namen nicht genannt haben will. Argwohn gegenüber Fremden und Vorurteile besonders gegenüber Dunkelhäutigen erschwerten die Wohnungssuche auf dem ohnehin desolaten Wohnungsmarkt zusätzlich. Für jemanden, der oder die aber binnen einer Frist eine feste Wohnadresse vorweisen muss und andernfalls die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung nicht bekommt, ein großer Druck. Werden doch Privatzimmer gefunden, sind diese meist dreckig und mit über 300 Euro auch viel zu teuer. Hinzu kommen weitere Kriterien, die AnwärterInnen aus dem Ausland das Studieren in Luxemburg erschweren. Neben einer Kopie des Rückflugtickets zählen hierzu eine Voraus-Immatrikulationsbescheinigung, ein Sozialversicherungszertifikat, ein Nachweis, den Lebensunterhalt während des gesamten Studiums selbst bestreiten zu können sowie eine Bankgarantie in Höhe von 2.200 Euro (vorher 2.479). Geld, das für die obligatorische „Rückführung“ bei abgeschlossenem oder abgebrochenen Studium blockiert wird, das aber sogar eher wohlhabende ausländische BewerberInnen häufig benötigen, um die hohen Lebenshaltungskosten während der vier- bis fünfjährigen Studienzeit tragen zu können.

Erstes ausländisches Studi-Komitee

„Wir brauchen mehr Wohnraum und mehr finanzielle Unterstützung“, sagt ein afrikanischer Student. Die erste ausländische Studenteninitiative Luxemburgs, das „Comité des étudiants africains au Luxembourg“, hat sich jetzt in Briefen an die verschiedenen Ministerien gewandt. Darin stehen konkrete Vorschläge: Zuallererst die nach einem eigenen Status für ausländische Studierende, ohne die fatale Koppelung der Unterbringung an die Aufenthaltsgenehmigung. Dazu die Einführung eines Wohngelds für alle StudentInnen unabhängig von der Staatsangehörigkeit, wie es bereits in Frankreich existiert, eine Ausweitung der Stipendien auf finanziell bedürftige und eine Lockerung des geltenden absoluten Arbeitsverbots. Vorschläge, die in Nachbarländern längst Realität sind. In Deutschland beispielsweise wurde StudentInnen aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten das Jobben erneut erleichtert. Diese dürfen dort ab diesem Wintersemester 180 halbe Tage im Jahr arbeiten statt wie bisher 90. Die Flexibilisierung ist Folge des Fachkräftemangels: Mit ihr sollen deutsche Universitäten für wissenschaftlichen Nachwuchs aus Übersee interessanter werden. Anstrengungen werden auch bei der Unterbringung der Studierenden gemacht. „Servicepakete“ mit Wohnplatzgarantie sollen „die internationale Attraktivität des Studienlandes Deutschland“ steigern, heißt es in einer Pressemitteilung des des Deutschen Studentenwerkes.

Von solchen Zusagen kann François Carbon nur träumen. Zwar haben die Stadt Luxemburg, der Fonds du Logement und eine Privatperson insgesamt rund 50 neue Wohnungen zugesagt, doch viel muss noch geschehen, um die aktuellen StudienanwärterInnen unterzubringen. Von künftigen BewerberInnen an der geplanten neuen Uni Luxemburg ganz zu schweigen.

Auch eine bessere Informationsarbeit von Botschaften und Behörden verlangen die StudentInnen. Es passiert immer wieder, dass BewerberInnen aus Übersee erst bei ihrer Ankunft im Großherzogtum alle Bedingungen für einen Studienaufenthalt erfahren. Sogar die Webseiten des „Centre universitaire“ und des „Institut Superieur de téchnologie“ informieren nur spärlich. Von den hohen Unterhaltskosten und der Wohnungsnot kein Wort. Auf Initiative der StudentInnen hin sollen die Einrichtungen erstmalig dieses Jahr Briefe an BewerberInnen mit entsprechenden Informationen versandt haben.

Wie so oft, kommt mit Europa – und wohl auch mit den Uniplänen – in dieses stiefkindliches Dossier allmählich Bewegung: Eine interministerielle Arbeitsgruppe befasst sich neuerdings mit Fragen rund ums Thema Uni und AusländerInnen. Hinter verschlossenen Türen diskutieren Vertreter und Vertreterinnen aus Justiz-, Arbeits-, Außen- und Hochschulministerium über einen Entwurf der EU-Kommission zum Status ausländischer Studierender. Der Richtlinienentwurf sieht Aufenthalts- und Mobilitätserleichterungen für StudentInnen aus Nicht-EU-Mitgliedsstaaten vor. Vorgeschlagen wird etwa eine begrenzte Freizügigkeit „to facilitate the pathway for those pursuing studies in a number of Member States“. Damit wird dem Fakt Rechnung getragen, dass viele Studiengänge inzwischen auch Aufenthalte in anderen Ländern zum Beispiel für ein Praktikum vorsehen. Die Frage einer europaweit einheitlichen begrenzten Arbeitserlaubnis wird ebenfalls debattiert. Und, ob ein Teil der Bankgarantie nicht künftig an die Studierenden für deren Lebensunterhalt ausgezahlt werden sollte, jeden Monat sozusagen als Grundversorgung.

Bis zum Sommer nächsten Jahres werden sich die hiesigen StudentInnen aber mindestens noch gedulden müssen, dass sich etwas an ihrem jetzigen Status ändert. Bis dahin nämlich werden die Vorarbeiten auf europäischer und auf luxemburgischer Ebene dauern. Denn wie sagte ein Beamter aus dem Justizministerium: „Es macht keinen Sinn, das Rad neu zu erfinden.“

Ines Kurschat


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