Ist der Euro ein Teuro oder verschärft er die grenzüberschreitende Konkurrenz? Führt der Bargeldverkehr dazu, dass „Henri“-Münzen immer seltener werden? Wird es irgendwann in allen Portemonnaies der EU gleich aussehen?
Nicht schlecht für ein Geburtstagskind. Der Euro ist gerade mal ein Jahr alt geworden, da wird sein Spitzname, Teuro, in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt. Viel Aufwand wurde seinerzeit betrieben, um den EU-BürgerInnen die Einführung der neuen Währung schmackhaft zu machen und einem Preisschub vorzubeugen. Dennoch: „Nun haben wir genug gelacht. Nehmt jetzt das bunte Spielgeld zurück!“, liest man unter www.teuro.de, und die Web-Site Euroabschaffung.de beschäftigt sich „mit einer möglichen Wiedereinführung der D-Mark in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Volksabstimmung“.
In Luxemburg sorgt man sich eher um die seit der Einführung des freien Kapitalverkehrs anhängige Harmonisierung der Zinsbesteuerung – und, allgemeiner gesehen, um das immer geringere Gewicht Luxemburgs in einer immer größeren und mächtigeren Europäischen Union. Anders als die Deutschen der Mark, trauert kaum einE LuxemburgerIn dem belgisch-luxemburgischen Franken nach, umso weniger als derzeit (noch) der „Heng“ im Partemonnaie besser vertreten ist als seinerzeit der „Jang“ gegenüber dem „Baudouin“. Allenfalls lässt man sich von dem Lamentieren über den Teuro im Nachbarland anstecken.
Wurde die Einführung des Euro benutzt, um versteckte Preiserhöhungen vorzunehmen, wurde dadurch die Inflation angeheizt? Sollte ein 1-Euro-Schein eingeführt werden, wie es der italienische Finanzminister vorgeschlagen hat, damit die Menschen das neue Geld nicht mehr so leicht ausgeben? Die Idee mit dem Schein hat die Europäische Zentralbank sogleich abgelehnt: Papiergeld nutze viel schneller ab als Münzen und jeder 1-Euro-Schein müsste durchschnittlich alle sechs Monate ersetzt werden – viel zu teuer.
Gefeiert und gehasst
„Auswirkung auf Inflation auf 0,2 Prozent begrenzt“, teilte ein Kommuniqué der EU-Kommission vor einer Woche mit – bei einer Jahresinflation von 2,3 Prozent im Oktober (für Deutschland: 1,3 Prozent). Die offiziellen Zahlen erteilen den Teuro-Klagen also eine Absage. Das Magazin Focus, das eigene Preiserhebungen auf der Basis eines „verbesserten“ Warenkorbs vorgenommen hat, kommt auf wesentlich höhere Teuerungsraten. Doch das ist eher ein Beweis für die Schwierigkeit, die Inflation exakt zu messen, als für die Schuld des Euro. Denn wenn die Preissteigerungen 2001-2002 aufgrund der Messmethode unterschätzt wurden, dann wird das wohl auch vor der Einführung des Euro der Fall gewesen sein. Aufschlussreicher ist da der Begriff der „gefühlten Inflation“, die sich von der gemessenen unterscheidet. Das Teuro-Gefühl kommt zum einen daher, dass VerbraucherInnen Preissteigerungen stärker wahrnehmen als Preissenkungen. Zum anderen sind gerade Produkte des täglichen Konsums überdurchschnittlich teurer geworden, wohingegen Kosten, die weniger häufig anfallen, langsamer gestiegen sind.
Der Ärger der Menschen ist, wenn schon nicht ganz sachgerecht, so doch verständlich. Dies umso mehr, als man ihnen eigentlich versprochen hatte, der Euro werde, aufgrund der grenzüberschreitenden Konkurrenz, zu einer Angleichung der Preise auf unterem Niveau führen. Im Bulletin 2002/4 der Luxemburger Zentralbank (BCL) erörtert ein Beitrag mit dem Titel „Der Euro und regionale Preiskonvergenz“ diese Frage. So soll im Verlauf der 90er Jahre die Preisstreuung innerhalb der EU von 22 auf 15 Prozent zurückgegangen sein, was auf die Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes zurückzuführen sei.
Eine vergleichbare Konvergenz verspricht man sich von der bereits vor Einführung des Euro-Bargeldes bestehenden festen Wechselkursanbindung innerhalb der EU-Länder. Längerfristig dürfte die vor einem Jahr in Kraft getretene Währungsunion die Preisstreuung noch stärker reduzieren. Als Beipiel hierfür wird die belgisch-luxemburgische Währungsunion angeführt: 1985 lagen ungefähr 40 Prozent der Preise Luxemburgs innerhalb einer 10-Prozent-Bandbreite der jeweiligen Preise in Belgien. Gegenüber der gleichen Preis-Bandbreite in anderen Ländern war dies nur für 20 Prozent der Preise der Fall. Das in dem Beitrag angeführte Zahlenmaterial belegt allerdings weniger die dem Euro als die dem Franken zu verdankende Konvergenz – wie schnell und in welchem Maße sich Erstere zeigen wird, bleibt offen.
Kleingeld in der Großregion
Über eine andere zu erwartende „Konvergenz“ als Folge der Einführung des Euro-Bargeldes sind sich die Experten auch einig: die der Zusammensetzung unseres Kleingeldvorrats nach nationaler Herkunft. In der Tat sind, anders als die Euro-Scheine, die Münzen deutlich zu unterscheiden: zum Beispiel eine Eule für Griechenland, zwei Schwäne für Finnland, die Radikalpazifistin Bertha von Suttner für Österreich und Großherzog Henri für Luxemburg. Am 1. Januar 2002 wurden in jedem Land die nationalen Münzen in Umlauf gebracht. Dieser Zustand war in etwa vergleichbar mit einem Pousse-Café-Cocktail, bei dem die einzelnen Zutaten übereinander geschichtet werden. Der grenzüberschreitende Bargeldverkehr wirkt sich aus wie ein Löffel, der die Mischung umrührt – am Ende sind alle Bestandteile gleichmäßig verteilt. Im Falle der Euro-Münzen bedeutet das für das Partemonnaie der Durchschnitts-EU-BürgerInnen: ein Drittel deutsches Kleingeld, aber weniger als ein Prozent „Henri“-Münzen. Denn anders als bei der Zahl der EU-Abgeordneten und Kommissare ist Luxemburg im Konzert der Euro-Münzen nicht überproportional vertreten.
Sammelobjekt „Henri“
Wenn diese Vermischung der Euro-Münzen das Interesse von Forschungsteams geweckt hat, dann weniger wegen des Endzustandes als um den Prozess zu verfolgen, der seiner Natur nach dem Vordringen einer neuen Pflanzenart oder der Ausbreitung einer Seuche ähnelt. Neben dem niederländischen Projekt „Eurodiffusie“ erstellt Dr. Dietrich Stoyan von der TU Freiberg Statistiken und Modelle rund um die Euro-Münzen. Über Luxemburg und seine Grenzregion schreibt er auf seiner Web-Site: „Die Pendler und der kleine Grenzverkehr sorgen dafür, dass zunächst relativ viele Luxemburger Münzen über die Grenze kommen. Sie werden, wenn sie nicht in Sammlerhände fallen, weiter nach Deutschland hinein diffundieren und dann sozusagen auf Nimmerwiedersehen verschwinden.“
In der Tat wird der Vermischungsprozess von den – außerordentlich zahlreichen – SammlerInnen durcheinander gebracht. Für die „Henri“- Münzen wirkt sich das dramatisch aus: Tendenziell werden ebenso viele Sätze von Luxemburger als von deutschen Münzen gehortet, was den Anteil des Luxemburger Kleingelds am Zahlungsverkehr noch weiter absenkt. Bei der BCL sieht man keinen Grund zur Panik: „Nach einem Jahr sind noch immer viele Luxemburger Cent- und Euro-Stücke in unseren Portemonnaies“, sagt René Link, Chef der Bargeld-Abteilung. Im Gegensatz zu den Zeiten der belgisch-luxemburgischen Währungsunion, als das Luxemburger Geld teilweise aus Belgien zurückgeführt wurde, ist ein solches Rückführungssystem für die Euro-Münzen nicht vorgesehen. „Im Moment wird nicht daran gedacht; in jedem Fall müsste das auf EU-Ebene entschieden werden“, so René Link.
Wie schnell die „Henri“-Münzen sich in den Kleingeld-Massen auflösen, das sollen mathematische Modelle vorhersagen. Etwas hat Dietrich Stoyan schon herausgefunden: Die Euro-Münzen wechseln viel schneller die BesitzerInnen als die Cent-Stücke. Er schreibt: „Die kleinen Cent-Münzen werden der Region Luxemburg noch lange treu sein“ – ein kleiner Trost also. Man könnte in der Angleichung der Zusammensetzung des Kleingeldes in den EU-Ländern eine Art Sinnbild für Konvergenz sehen: am Ende steht ein geeinter Raum, ähnlich den Vereinigten Staaten von Amerika. Der Weg dorthin allerdings ist lang. Dietrich Stoyan schreibt: „Die totale Durchmischung wird meiner Meinung erst in den Zwanziger Jahren vorliegen.“ Und fügt vorsichtshalber hinzu: „Wenn es dann den Euro noch gibt.“
Raymond Klein
www.mathe.tu-freiberg.de/math/inst/stoch/Stoyan/euro/euro.html