ANTI-GLOBALISIERUNG: Wir können doch darüber reden

Nach der Peitsche in Genua ein Stück Zucker vom EU-Rat: Die belgische Präsidentschaft will künftig mit GlobalisierungsgegnerInnen einen „konstruktiven Dialog“ führen. Gleichzeitig wird der europäische Repressionsapparat für die nächsten Gipfel fit gemacht.

Einen offenen Brief an die Anti-Globalisierungsbewegung will der belgische Premierminister Guy Verhofstadt in den nächsten Tagen schreiben. Zudem möchte er innerhalb der kommenden vier Monate die VertrerInnen jener Gruppen, die auch künftig auf EU-Gipfeln demonstrieren wollen, zum persönlichen Gespräch empfangen. Was er ihnen wohl erzählen wird? Verhofstadt hat in jedem Fall guten Grund, den Umgang mit GipfelgegnerInnen zu üben: In der erweiterten Europäischen Union sollen alle EU-Gipfel in Brüssel abgehalten werden. Belgien setze sich für Prävention und nicht für Repression ein, versicherte Staatsministerin Annemie Neyts-Uyttebroek am Mittwoch vor dem Europaparlament.

Dafür, dass GlobalisierungskritikerInnen plötzlich zu ernstzunehmenden GesprächspartnerInnen avancieren, gibt es jedoch wenig konkrete Anzeichen. Es gibt auch keinerlei Garantie dafür, dass künftig Repression kleiner geschrieben oder sich der belgische Polizeiapparat nichts von der brutalen Gewalt der Kollegen in Genua abkucken wird. Im Gegenteil: Bislang fehlen in den Erklärungen der belgischen und anderer EU-MinisterInnen deutliche Distanzierungen vom Vorgehen der Polizei während des G8-Gipfels. Die Tatsache, dass neuerdings auf EU-Gipfeln scharf auf DemonstrantInnen geschossen und dabei sogar getötet wird, wird als „normale“ Maßnahme in einer Ausnahmesituation dargestellt.

Die Empörung der Regierungschefs gilt stattdessen der Gewalt der Protestierenden. Auch das „liberale“ Schweden macht vor, wie der politisch korrekte Umgang mit Protestierenden in der EU in der Realität aussieht. Nach Göteborg inhaftierte DemonstrantInnen bekamen das in den letzten Monaten am eigenen Leibe zu spüren. Isolationshaft, Besuchsverbot für Angehörige standen auf der Tagesordnung. „Eine solche Behandlung von Häftlingen kenne ich nur aus der Zeit der Terroristenprozesse in den siebziger Jahren in Deutschland“, sagte der Anwalt eines deutschen Inhaftierten gegenüber der Berliner Zeitung.

Der Dialog unter EU-MinisterInnen, der nach Genua entstanden ist, konzentriert sich auf den Ausbau des Repressionsapparates. Im Gespräch sind Reiseverbote für gewaltbereite Demonstranten oder etwa eine europäische Datei von „Randalierern“. Ziel ist es, „gute“ DemonstrantInnen von „bösen“ zu trennen. Die Guten hat man gerade als demokratische Legitimierung der eigenen Politik entdeckt, und die Bösen dienen dazu, diese Manövriermasse bei friedlicher Laune zu halten.

Das Spiel ist nicht neu. Ob Anti-Castor-Protest oder Globalisierungskritik: Protestbewegungen lassen sich immer wieder auf die Doppelstrategie ein. Doch in Genua wurden nicht nur die Bösen verprügelt. Die dort erlebte Staatsgewalt hat die Globalisierungs-GegnerInnen, die nach den Ausschreitungen europaweit zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, näher zusammengebracht. Ob ihre Bewegung daraus auch inhaltlich an Stärke gewinnt, wird sich erst zeigen müssen.

Eins steht fest: Die meisten von ihnen wollen die Gewaltfrage sicher nicht unbedingt mit dem politischen Gegner ausdiskutieren. Einen „konstruktiven Dialog“ mit Protestierenden zu führen, stellt den belgischen Premier demnach vor eine knifflige Aufgabe. Er wird in erster Linie versuchen, die Protestformen in geordnete Bahnen zu lenken.

Vielleicht wird Verhoftstadt dabei eine neue europäische Gipfel-Kultur vorschlagen. Die könnte etwa so aussehen: Künftig wird für GegnerInnen wie für offizielle TeilnehmerInnen eine rote Sicherheitszone eingerichtet – sozusagen ein staatlich legimiertes Gegen-Gipfel-Areal. Zugelassen sind nur staatlich anerkannte DemonstrantInnen, die zuvor eine Friedlichkeitserklärung unterschrieben haben und ein entsprechendes Visum im Reisepass vorweisen können. Und um der demokratischen Legimitation keinen Abbruch zu tun, wird regelmäßig der bilaterale Dialog zwischen den beiden Gipfel-Lagern gepflegt. Demokratie kann so einfach sein.


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