PROSTITUTION: Statt Arbeitsrechte – Moral?

Bisher ist es noch keinem Staat wirklich gelungen, das älteste Gewerbe der Welt zu „regeln“. Die Bemühungen dazu sind in Europa sehr verschiedenartig.

„Im Koalitionsabkommen steht, dass wir das Phänomen der Prostitution in einer ganzheitlichen Herangehensweise analysieren und die verschiedenen EU-Modelle vergleichen wollen“, konstatiert Ralph Kass vom Chancengleichheitsministerium. In diesem Sinne fand im Februar eine Unterredung mit der deutschen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) statt. Deutschland besitzt seit 2002 ein Gesetz, in dem die Prostitution als Erwerbstätigkeit anerkannt ist. Prostituierte können sich als Selbständige bei den Behörden anmelden, sie können sich kranken- und rentenversichern lassen. Ähnlich liberale Regelungen gibt es in Australien, der Schweiz und den Niederlanden. In Deutschland soll sich allerdings demnächst einiges ändern. Um Menschenhandel und Zwangsprostitution „nachhaltig zu bekämpfen“, will die deutsche Familienministerin dafür sorgen, dass Prostitutionsstätten – Wohnungen und angemietete Zimmer – künftig eine Konzession benötigen. Betroffene Prostituierte befürchten nun, dass es bei diesen Maßnahmen weniger um die Bekämpfung von Zwangsprostitution als vielmehr um eine umfassende polizeiliche Reglementierung der Prostitution insgesamt geht: Ordnungshüter könnten jederzeit unangekündigt Prostitutionsstätten kontrollieren und somit in die Privatsphäre der SexarbeiterInnen eindringen.

„Die Prostitution muss nicht über einen Gesetzesrahmen geregelt werden. Es können auch Hilfestellungen oder Ausstiegsprogramme sein“, so Kass über die luxemburgische Sicht auf das Problem. Bisher hat sich die Regierung jedoch noch auf keine Herangehensweise festgelegt, auch wenn das Chancengleichheitsministerium unter Kass‘ vormaligen Vorgesetzten, der Ministerin Marie-Josée Jacobs, das sogenannte „Schwedische Modell“ favorisierte. Schweden war das erste Land in Europa, in dem ein Gesetz zum Verbot des „käuflichen Erwerbs sexueller Dienstleistungen“ in Kraft trat (1999), nach dem sich nur die Kunden – nicht die Anbieter – strafbar machen; Norwegen und Island folgten bald darauf mit einer ähnlichen Gesetzgebung nach. Gefördert wurde dieser prohibitive Ansatz durch die zunehmende Ausbreitung und Thematisierung des Frauenhandels in den westlichen Industrienationen. Freilich schafft diese Regelung auch Probleme: sexuelle Dienstleistungen werden in die Illegalität abgedrängt. Illegalisierte Bereiche sind jedoch stets ein Nährboden für Ausbeutung und Gewalt. Zudem kann diese Regelung nicht verhindern, dass Freier als Sextouristen vermehrt in benachbarte Länder ausweichen.

Kunden bestrafen

2007 hatte die Luxemburger Regierung eine Studie, die „Kartografie der Prostitution“ hierzulande verfasst – demnächst soll eine neue repräsentative Studie im Milieu erstellt werden. „2012 will das Chancengleichheitsministerium Bilanz ziehen“, so Kass. Zunächst wolle sich die Regierung noch mit dem Justizminister der Niederlande treffen und sich über Vor- und Nachteile der belgischen und französischen Regelungen informieren. „Wichtig ist, über die Konsequenzen für Luxemburg nachzudenken, falls Nachbarländer ihre Gesetze im Bereich der Prostitution ändern“, so Kass.

In Frankreich könnte schon ab 2012 eine neue Ära im Sex-Gewerbe beginnen. Die Änderung wäre so einschneidend wie die Zäsur von 1946, als das Gesetz „Marthe Richard“ zur Schließung aller „Freudenhäuser“ führte. Eine Parlamentskommission hatte im Frühjahr dieses Jahres der französischen Nationalversammlung einen rund 300-seitigen Bericht zur Beratung vorgelegt, der künftig die Kunden von Prostituierten – nach schwedischem Modell – bestrafen will. In diesem Bericht wird erneut darauf verwiesen, wie dramatisch sich die Prostitution in den letzten 20 Jahren verändert hat: sie basiere heute größtenteils auf Menschenhandel. Jeder Kunde einer Prostituierten sollte sich deshalb darüber im Klaren sein, dass er möglicherweise Menschenhandel und Zwangsprostitution fördert. Der Bericht, der von den Abgeordneten Guy Geoffroy (UMP: „Union für eine Volksbewegung“, der auch Nicolas Sarkozy angehört) und Danielle Bousquet (PS: sozialistische Partei) eingebracht wurde, sieht rund dreißig Maßnahmen vor – von der umstrittenen Freier-Bestrafung bis zu pädagogischen und sozialen Initiativen. Der Bericht steht jedoch auch im Kontext einer zunehmenden Gesetzesverschärfung, die seit einigen Jahren in Frankreich zu beobachten ist: So können seit März 2003 durch die „Loi Sarkozy“ Prostituierte auch für „passives Anwerben“ wie Anlächeln oder Blickkontakt mit zwei Monaten Gefängnis oder einer hohen Geldbuße bestraft werden.

Auf diesen „Rapport d’information sur la prostitution en France“ verweist denn auch die Stellungnahme des luxemburgischen Staatsrates, die vor drei Wochen einging. Vor allem befasst sie sich jedoch mit dem Gesetzesvorschlag zur Prostitution (5857), der von den Abgeordneten Lydie Err, Marc Angel, John Castenaro und Claudia Dall’Agnol am 19. März 2008 in der Chamber eingebracht worden war. Dieser enthält Elemente zweier Modelle zur Regelung der Sexarbeit – nämlich des schwedischen und des holländischen: Demnach soll ein luxemburgisches Modell den Prostituierten auch weiterhin die Möglichkeit bieten, sich bei der „caisse des indépendants“ sozial abzusichern, ohne sich deshalb outen zu müssen. Daneben sollen – wie beim schwedischen Modell – die Kunden belangt werden. Allerdings nicht durch Bestrafung: „Wir sind davon überzeugt, dass man mit Geld- und Gefängnisstrafen nicht gegen die Prostitution vorgehen kann“, meinte damals die Abgeordnete Lydie Err, die stattdessen für Sensibilisierungsmaßnahmen plädierte. „Jene, die als Kunden erwischt werden, sollten eher zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichtet werden – etwa in der Anlaufstelle für Prostituierte, dem Drop-In“, so die LSAP-Abgeordnete. Auch sollte der Staat dazu verpflichtet werden, Seminare zu organisieren, in denen Kunden mit den Folgen der Prostitution konfrontiert werden. Statt einer grundsätzlichen Kritik verweist der Staatsrat in seiner Reaktion lediglich darauf, dass es nicht einfach ist, Kunden zu überführen – die Realitäten der Prostitution seien insgesamt viel kompexer. So mussten auch im Modellstaat Schweden nicht wenige Verfahren gegen Kunden wegen mangelnder Beweise eingestellt werden. In Luxemburg, wo Bordelle verboten sind und die Prostitution vorwiegend in Wohnungen stattfindet, ist die Beweislage schon heute nicht einfach. Zudem existiert bereits jetzt ein von Polizei und Justiz praktisch nicht zu kontrollierendes Angebot, das sich auf Kontaktmittel wie Handy und Internet stützt. In seiner weiteren Argumentation verweist der Staatsrat darauf, dass die von den Abgeordneten vorgeschlagenen gemeinnützigen Arbeiten und die verpflichtende Teilnahme an Seminaren sich nicht mit Rechtsgrundsätzen vertrügen, da das Maß der Sanktionen nicht spezifiziert worden sei.

Ist also die Prohibition der richtige Weg, um ein so komplexes Phänomen wie die Prostitution zu regeln? Geht es bei diesen Maßnahmen letztlich nicht eher darum, dass die Sexarbeit schlicht unsichtbar gemacht werden soll? Die Arbeitssituation für SexarbeiterInnen hat sich in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Wäre es nicht sinnvoller, ihnen gesellschaftlichen Rückhalt in Form von Integration und Gesetzen zu bieten, statt sie in die Illegalität abzudrängen? Dass die Sache schwierig ist und voller Widersprüche steckt, zeigt sich auch daran, dass es bisher noch keine einheitliche EU-Richtline gibt. Das Fehlen einer solchen Regelung bedeutet, dass Prostitution nach wie vor nicht als Dienstleistung mit Arbeitnehmerschutz angesehen wird. Gerade unzulängliche rechtliche Bedingungen schaffen jedoch die Voraussetzungen für Diskriminierung. Von der sind besonders illegale MigrantInnen betroffen. Statt über ein Prostitutionsgesetz müssten deshalb über das Fremdenrecht Wege gefunden werden, Illegalisierten legale Sexarbeit zu ermöglichen. Auch das Angebot von Beratungsstellen müsste ausgebaut werden, nicht zuletzt, um Prostituierten den beruflichen Umstieg zu erleichtern. Ein spezifisches Angebot wäre für diejenigen erforderlich, die sich aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit prostituieren. Und last but not least könnte eine Sensibilisierungsarbeit bei den Freiern und Information über straf- und ordnungsrechtliche Aspekte nicht schaden.


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