SPIELSUCHT: Falscher Froschkönig

Rund 4.500 Spielsüchtige soll es in Luxemburg geben. Die Vereinigung „Anonym Glécksspiller“ fordert besseren Schutz für die Betroffenen und setzt auf Hilfe vom Staat.

Der Eintritt zum Glück kostet 50 Cent. Um in die Spielautomatenhalle des Bad Mondorfer Kasinos zu gelangen, zieht man am Eingang ein Ticket. Ein roter Teppich führt in den mit psychedelischen Farben und Mustern ausgestatteten Saal. Schon von weitem sind die Hauptdarsteller zu vernehmen: Über 200 Automaten, die in Leuchtschrift das große Glück versprechen und dazu beepen, blinken, klacken und rattern. Für bodenständige Traditionalisten gibt es die so genannten einarmigen Banditen mit ihren großen Hebeln an der rechten Seite. Sie heißen vielversprechend „Rich and famous“, „Blazing Double“ oder „24 Karat“. Weiter hinten wird es gemütlicher: Dort tragen die Automaten verführerische Namen wie „Swing Time Betty“, „Hot Hot Hot“, „Adonis“ oder „Diamond“.

Ratatata, die Jetons rasseln aus dem Wechselautomaten in einen der zahlreichen Pappbecher, aus denen die gefräßigen Maschinen gefüttert werden. Die Spieler drücken Tasten und Knöpfe, vor ihnen erscheinen Bilder, Symbole und Zahlen. Ratatata – eine ältere Dame mit Perlenkette hat einer Maschine namens „Fog Prince“ gerade einen Gewinn entlockt. Erleichtert zieht sie an ihrer Zigarrette. Geraucht wird, was das Zeug hält. In der Luft liegt eine Mischung aus Parfüm und Zigarettenqualm. Richtig schön ist niemand in diesem Mini-Las Vegas. Reich womöglich auch nicht – denn wer richtig viel Geld zu verlieren hat, spielt nebenan Roulette oder Black Jack. Während der Glamour dort echt zu sein scheint, ist der Schein im Automatensaal augenfällig. Nur die betont seriös wirkenden Angestellten tragen hier Anzug und Krawatte. Die meisten Gäste sind im fortgeschrittenen Alter. Was sie verbindet, ist das Warten auf den Kick. Apathisch starren sie auf die Automaten. Ratatata, gerade hat die Spielerin mit der Perlenkette einen Fünfziger aus ihrem Handtäschchen gekramt und ihn in den Geldschlitz des „Frog Prince“ gesteckt.

„Meistens beginnt es mit einem Erfolgserlebnis“, sagt ein ehemaliger Spielsüchtiger. Früher ging er oft ins Kasino und spielte Roulette, später war er Patient in einer therapeutischen Einrichtung. „Hätte ich am Anfang nicht gewonnen, wer weiß“, überlegt er, „vielleicht wäre ich nie abhängig geworden.“ Nach den ersten Gewinnen kommen die ersten Verluste, dann startet die Aufhlojagd – mit immer höheren Einsätzen. Meistens verläuft die Sucht anfangs nach außen hin unauffällig, bis die Folgen den Spielern über den Kopf wachsen: Nachdem sie alles verloren haben, was sie besitzen, verschulden sie sich – manche stehen mit mehr als 100.000 Euro in der Kreide. Ihre Partnerschaft und sozialen Beziehungen gehen allmählich in die Brüche. Das Glücksspiel ist zum zentralen Lebensinhalt der – übrigens meist männlichen – Spielsüchtigen geworden. Mit der Aufnahme von Krediten oder dem Verkauf persönlichen Eigentums geraten sie in einen Teufelskreis. Am Ende rutschen sie in die Beschaffungskriminalität. Wie ein Junkie, der seine Sucht ständig füttern muss. Laut einer Studie aus dem Jahr 1995 wird rund ein Drittel der Betroffenen straffällig.

Raus aus der Tabuzone

Wenn Spielen zur Sucht geworden ist, spricht man vom „pathologischen“ Spielen, einer psychischen Erkrankung. Je größer der Verlust ist, umso intensiver wird das Glücksspielen. Schlaflosigkeit, Gewissensbisse, Angstzustände, Depressionen, Verfolgungswahn, Kopfschmerzen, Händezittern und Herzrhythmusstörungen sind die häufigsten Begleiterscheinungen. Jeder fünfte Spielsüchtige ist selbstmordgefährdet. Und dennoch sind die wenigsten bereit zu akzeptieren, dass sie süchtig sind. Angst oder Schamgefühl halten die meisten davon ab, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Sie versuchen, ihre Sucht zu verheimlichen und jagen weiter dem großen Gewinn nach. Derweil sind auch die Angehörigen als so genannte Ko-Abhängige betroffen.

In Luxemburg gibt es laut Schätzungen etwa 4.500 Glücksspielsüchtige, das entspricht rund einem Prozent der Bevölkerung. Luxemburg liegt damit im internationalen Mittelfeld. In Spanien sind es 1,7 Prozent, in einigen Bundesstaaten der USA sogar mehr als zwei Prozent. Spielsucht komme hier zu Lande erst allmählich aus der Tabuzone, stellt Romain Juncker fest, einst selbst spielsüchtig und heute Vorsitzender von „Anonym Glécksspiller“. Die Selbsthilfegruppe wurde im Dezember 2003 gegründet. Die anonymen Glückspieler setzen nicht auf radikale Lösungen: Sie wollen nicht Kasinos schließen, sondern im Dialog mit deren Betreibern sowie mit Lottogesellschaften, Banken und Ministerien Wege finden, um Spielsüchtigen zu helfen. Eine neutrale Kommission müsse sich mit der Problematik der Abhängigkeit auseinandersetzen, fordert Juncker. Seine Organisation verlangt darüber hinaus, dass Geldautomaten aus Lokalen verschwinden, in denen Jugendliche verkehren.

„Spielsüchtige haben ein Recht auf Hilfe“, sagte kürzlich auch Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo, als er dazu eine gemeinsame Aufklärungskampagne seines Ministeriums mit „Anonym Glécksspiller“ und dem „Centre de prévention des toxicomanies“ vorstellte. Die Kampagne ist vor allem auf Information ausgelegt, so zum Beispiel die Broschüre „Glücksspiele“. Was jedoch in Luxemburg nach wie vor fehlt, sind Therapieangebote. Zur Behandlung müssen die Betroffenen ins Ausland, so etwa ins saarländische Münchwies bei Neunkirchen. Eine Therapie dauert in der Regel acht bis zwölf Wochen, die Rückfallquote liegt nach Expertenangaben bei rund 50 Prozent.

Die anonymen Glücksspieler treten für ein Gesetz wie in der Schweiz ein, das ein Konzept zur Prävention vorschreibt. Vor allem aber fordern sie strengere Kontrollen, um bekennenden SpielerInnen den Zugang zu einem Kasino und anderen Glücksspielstätten zu erschweren. Das Bad Mondorfer Kasino zum Beispiel arbeitet bereits mit moderner Technik und setzt auf biometrische Kontrollmethoden. Vor zwei Jahren wurde in der Spielbank mit Hilfe einer niederländischen Beratergruppe ein Konzept zum Schutz von Spielsüchtigen in die Wege geleitet. „Die Kasinos haben ein Imageproblem“, sagt Guido Berghmans, Generaldirektor der Bad Mondorfer Spielbank. Zum schlechten Ruf der Spielbanken tragen nicht zuletzt spektakuläre Fälle bei wie vor einigen Jahren in Baden-Baden: Ein Sparkassenangestellter hatte sechs Millionen Euro seiner Kunden veruntreut und sie im Kasino der Kurstadt verspielt.

Zu dem Bad Mondorfer Schutzkonzept gehört ein vierköpfiges Team, das Gäste anspricht, „wenn diese aggressiv werden, sich häufig beschweren oder wenn sie auffallend oft ins Kasino kommen“, erklärt Berghmans. Wer in ein Beratungsgespräch einwilligt, kann sich selbst sperren lassen – entweder ganz oder teilweise, so dass der Gast nur ein oder zwei Mal pro Monat die Spielbank besuchen darf. Auf diese Weise sei bisher etwa 50 Personen der Zugang zum Kino verweigert worden, sagt Berghmans. Eine Sperre dauert bis zu sieben Jahre. Voraussetzung sei aber, so der Kasino-Chef, die freiwillige Kooperation der Betroffenen. Den anonymen Glücksspielern genügt das nicht: Die Spielbank müsste Sperren auch ohne Einverständnis der Spieler verhängen können, sagt Romain Juncker. Und von der Möglichkeit, jemanden nur ein oder zweimal pro Monat ins Kasino zu lassen, hält er schon gar nichts: „Ich kann mein Gehalt auch an einem Tag verspielen.“

Zudem betreffen die Kontrollmethoden nur den großen Spielsaal mit Roulette und Black Jack. Den Automatensaal darf hingegen jeder über 18 Jahre ungehindert betreten. Dort fordern die „Anonyme Glécksspiller“ ebenso Kontrollen. Juncker kennt die Gefahr, die von den Geldautomaten ausgeht: „Heute gibt es hochmoderne Maschinen, an denen man noch weniger Kontrolle über sich selbst hat als am Spieltisch, weil alles viel schneller geht.“ Kurze Auszahlungsintervalle, häufige Beinahegewinne und Sonderspielserien, aber auch optische und akustische Signale – das alles steigert das Verführungsrisiko.

Für die Spielsucht seiner Kunden fühlt sich der Generaldirektor der Bad Mondorfer Spielbank nicht verantwortlich. „Von unseren etwa 350.000 Gästen pro Jahr haben die meisten kein Problem mit der Spielsucht“, betont Berghmans. Zudem werde in der Diskussion über die Sucht das Problem verkannt. „Es wird oft nur von Kasinos gesprochen. Dabei stellen sie nur einen kleinen Teil des Glückspiels dar.“ In der Tat macht das klassische Kasino-Geschäft nur zehn Prozent der Umsätze im Glücksspiel aus, 25 Prozent entfallen auf die Automaten und 50 Prozent auf das Lotto. Der Staat kassiert dabei mit – 2003 waren es 13 Millionen Euro an Steuereinnahmen.

Romain Juncker weist auf eine neue Gefahr hin: Seit die Loterie Nationale das Lotteriespiel „Zubito“ eingeführt hat, starren in landesweit rund 150 Kneipen SpielerInnen abwechselnd auf einen Bildschirm und auf ihren Lotterieschein: Alle fünf Minuten wird neu ausgelost, acht von 21 Zahlen sind anzukreuzen, Mindesteinsatz ist ein Euro, der Höchstgewinn beträgt 50.000 Euro. „Der Markt ist aggressiver geworden“, meint der Vorsitzende der „Anonym Glécksspiller“. Er selbst hat die Sucht überwunden. Jetzt möchte er anderen helfen. „Ich habe ehemalige Spieler beobachtet“, sagt Juncker, „denen wurde übel, als sie das erste Mal wieder ein Kasino betraten.“


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