LOBBYISMUS: Kampf um Informationen

Weit über 10.000 Lobbyisten sind in Brüssel aktiv und versuchen, die EU-Politik zu beeinflussen. Nun soll ein Register für mehr Transparenz im Lobby-Dschungel sorgen.

Auf rund 15.000 wird die Zahl derer geschätzt, die in Brüssel Jobs nachgehen, die unter Begriffen wie „Consulting“, „Think Tanks“ oder schlicht Lobbying zusammengefasst werden. Immerhin 2.600 Interessensverbände aus der privaten Wirtschaft und der so genannten Zivilgesellschaft haben derzeit eine Niederlassung Brüssel, zwischen 60 und 90 Millionen Euro sollen sie jährlich in ihre Arbeit investieren. Allein 5.000 solcher Lobbyisten sind im Europäischen Parlament akkreditiert. Als „lästig“ bezeichnet sie der Luxemburger LSAP-Abgeordnete Robert Goebbels: „Manche haben es sich angewöhnt, die Abgeordneten vor wichtigen Gesetzes-Abstimmungen regelrecht mit Änderungsvorschlägen zu überschütten.“

Die Anmaßung, das Votum auf diese Weise zu beeinflussen, sei eine „Beleidigung“ für die Parlamentarier, so Goebbels, die Dauerpräsenz von 50 bis 100 Lobbyisten pro Kommissionssitzung sei zudem kontraproduktiv. Denn ihre Anwesenheit verhindere „seriöse Diskussionen“ unter den Abgeordneten, die dann eher in den Gängen stattfinden würden. Weniger Transparenz also und Sitzungen, zu denen die Öffentlichkeit und damit auch die Lobbyisten ausgeschlossen werden, als Schutz gegen zuviel Einflussnahme auf die EU-Politik?

Genau das Gegenteil propagiert der für Betrugsbekämpfung zuständige EU-Kommissar Sim Kallas. „Brüssel wird als eine nicht zugängliche politische black box angesehen, in der alle möglichen obskuren Maßnahmen getroffen werden“, sagte der EU-Kommissar Anfang März in einer Ansprache bei der Europäischen Stiftung für Management und lancierte dort die „Europäische Transparenz-Initiative“. Vergangene Woche annoncierte Kallas, er werde ein zentralisiertes elektronisches Register einrichten, in dem Informationen über Lobbyisten gespeichert werden.

Damit greift der EU-Kommissar eine langjährige Forderung verschiedener NGO auf. „Momentan ist es sehr schwer, sich ein Bild darüber zu machen, wer in Brüssel aktiv ist“, sagt Erik Wesselius vom holländischen Corporate Europe Observatory (CEO). Mit „Lobby planet“ veröffentlichte CEO (www.corporateeurope.org) einen Guide, der mit detaillierten Stadtplanangaben durch die Welt der Wirtschafts-Lobby in der EU-Hauptstadt führt. Am 19. Juli präsentierte sich mit Alter-EU eine neue Koalition aus mehr als 140 NGO der Öffentlichkeit. Ziel dieser „Allianz für Lobby-Transparenz und ethische Regulierung“ ist es, den Privilegien von Unternehmen und den heimlichen Machenschaften des Lobbying in der Europäischen Union ein Ende zu bereiten.

Überzeugen kann, wer dominiert

„Ein solches Register muss natürlich für alle gelten, auch für die NGO“, stellt Urlich Mueller von der Kölner Initiative LobbyControl klar. Auch die Vertreter der Zivilgesellschaft mischen in Brüssel mit beim Kampf um die überzeugendsten Argumente. Der Erfolg der Lobby-Arbeit hänge davon ab, „ob man seine Informationen als dominant rüberbringen kann“, so Mueller. Dazu verfügten NGO allerdings meist nicht über dieselben Mittel wie die Industrie.

Fälle, in denen unklar ist, wer hinter einer Kampagne steht, tauchen indessen in Brüssel oder Straßburg immer wieder auf. Zuletzt in der hitzigen Debatte um die Software-Patent-Richtlinie. Die „Campaign for creativity“ gibt sich als Vertreterin betroffener Einzelpersonen, „kreativer Künstler“ aus, die sich für solche Patente aussprechen. Unter den Geldgebern der Kampagne seien auch Software-Unternehmen wie Microsoft oder SAP, so CEO. „Wir können das nicht beweisen, doch wir haben eindeutige Hinweise darauf“, ergänzt Erik Wesselius. Könnte in einem solchen Fall ein Lobby-Register wirklich helfen?

„Natürlich nur bedingt“, räumt Weselius ein, „Schlupflöcher wird es immer geben.“

Etwa bei den Finanzangaben. Alter-EU schlägt vor, dass sich Organisationen erst ab einem bestimmten Budget registrieren lassen müssen. Die Kriterien orientieren sich an bereits bestehenden Register-Systemen in den USA. Dass diese Lobby-Register dort nicht dazu geführt haben, dass sich die politische Praxis grundlegend änderte, weiß auch Wesselius. „Das Register würde jedoch die Lage in Brüssel eindeutig verbessern“, betont der Niederländer.

Derzeit gilt einzig und allein eine Selbstverpflichtung der Lobbyisten und die „Society of European Affairs professionals“ (SEAP), ein Dachverband der Industrie-Lobbyisten, will auch künftig nur auf sie setzen. Neben diesem Verhaltenskodex sollten, so SEAP im Mai in einer Pressemitteilung, die Mitarbeiter der Kommission darin geschult werden, wie sie mit Lobbyismus umzugehen haben. „Manchmal wäre es tatsächlich wichtig zu wissen, wie bestimmte Kommissionspapiere zustande kommen und wer hier dahinter steht“, betont die Luxemburger EU-Abgeordnete Erna Hennicot-Schoepges (CSV). Lobby-Arbeit sei allerdings nicht per se als negativ zu bezeichnen. „Man ist sogar auf die Vorarbeit der Lobbyisten angewiesen, um sich einen Überblick zu verschaffen“, so Hennicot-Schoepges. Dies bestätigen andere EU-Abgeordnete und verweisen auf die fehlenden wissenschaftlichen Beiräte. „Wir sind auf den Input der Lobbyisten angewiesen, weil wir – entgegen aller Mythen – eine Verwaltung mit vergleichsweise wenigen Mitarbeitern sind“, gab auch die für Verbraucherschutz und Gesundheitspolitik zuständige Kommissionssprecherin Beate Gminder vor kurzem im Interview mit der Zeitschrift „Politik und Kommunikation“ an.

Nicht zu vergessen sei, dass in der EU-Politik die Länder-Interessen sehr stark präsent seien, ergänzt Erna Hennicot-Schoepges und weist damit auf die Arbeit der nationalen Lobbyisten hin. Sie sind ebenfalls sowohl in den Ausschuss-Sitzungen des Parlaments wie in beratenden Gesprächen mit Kommissionsvertretern allgegenwärtig. Einer Studie des Brüsseler PR-Giganten Burson Marsteller nach ist der Einfluss der Lobbyisten der nationalen Regierungen auf die EU-Politik bei weitem am größten und kommt lange vor dem der Industrie-Vertreter. Doch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Studie eines Instituts, das im Auftrag großer Unternehmen handelt, ist ebenso kompliziert wie die nach der Legitimität von Lobbyismus insgesamt. Ob NGO oder Industrie: Die Verfolgung der eigenen Interessen liegt in der Natur der Sache. Dass Interessensverbände nicht „neutral“ agieren, ist auch Robert Goebbels bekannt. „Das weiß ich auch aus meiner Erfahrung als ehemaliges Regierungsmitglied“, so der Ex-Wirtschaftsminister. „Sie bekommen Expertisen so geliefert, wie Sie sie bestellen.“


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