UNIVERSITÄT: Elite-Uni oder Ladenhüter?

Statt Chancengleichheit und universitärem Austausch in Europa droht jetzt die akademische Auslese: Studiengebühren in Deutschland, Losverfahren in Belgien – jedes Land fährt seine eigene Strategie.

Welche Uni kann ich mir noch leisten? Und wo habe ich trotz Zulassungsbeschränkungen wie Numerus Clausus oder gar Losverfahren noch die Chance, immatrikuliert zu werden? Mit diesen Fragen werden sich in Zukunft auch die Luxemburger StudentInnen zunehmend beschäftigen müssen, gerade zu einer Zeit, da in vielen deutschen Bundesländern das letzte Semester ohne Studiengebühren angebrochen ist.

Bisherige Proteste gegen Gebühren scheinen erst der Anfang zu sein: Unter dem Motto „Die Bildung geht baden“ sind in Berlin Studenten in die kalte Spree gesprungen. Und nachdem Nordrhein-Westfalen am 12. Juli die Einführung von Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester beschlossen hatte, brannten in Bielefeld auf dem Uni-Campus die Mülleimer, Unbekannte zündeten das Auto des Universitätsrektors an.

Wirklich umfangreiche Streiks blieben jedoch bislang aus. Und dies, obwohl letztlich eine große soziale Errungenschaft geschliffen wird, für die in den 60er Jahren noch hart gekämpft wurde. Fast vier Jahrzehnte lang hatte sich im Nachbarland Luxemburgs ein bildungspolitischer Konsens gegen Gebühren gehalten, doch nun bröckelt er: Neben Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und anderen deutschen Bundesländern führt demnächst auch das Saarland Studiengebühren ein. Die Länder, die diesem Trend nicht folgen, bekommen die Auswirkungen bereits unmittelbar zu spüren: So vermeldete Trier jüngst einen neuen Rekord bei Studienbewerbungen. Selbst das Bollwerk des Numerus Clausus hatte nicht abgeschreckt.

Um Luxemburg wird es eng

„In Trier haben wir bisher keine Studiengebühren. Die Studenten müssen pro Semester nur einen Sozialbeitrag entrichten“, so Susanne Mensah, Studienberaterin in Trier. „Wir haben allerdings Studienkonten. Die Studenten verfügen über ein Guthaben an Studienzeit, das für das 1,75-fache der Regelstudienzeit reicht. Das heißt, wenn die Regelstudienzeit bei neun Semestern liegt, kann man bis zu 16 Semester gebührenfrei studieren.“

Jedoch soll sich demnächst einiges ändern, weiß Rainer Theis, Leiter des Trierer Studentensekretariates: „Für alle, die nicht im Bundesland ihren Hauptwohnsitz haben, sollen Studiengebühren fällig werden.“ Betroffen wären dann auch alle Pendler aus Luxemburg, die in Trier eine der größten Ausländergruppen mit etwa 450 Studierenden stellen.

Doch nicht nur in Deutschland wird die Luft dünner. Auch in Belgien wurden – aufgrund des massiven Andrangs von französischen StudentInnen – Zulassungsbeschränkungen für die medizinischen Fächer eingeführt: Nur 30 Prozent der Studienplätze können im ersten Jahr von StudentInnen belegt werden, die nicht in Belgien wohnhaft sind – wobei sich die Einschreibungen nach dem Prinzip „premier arrivé, premier servi“ richten.

Laut Laurent Derkum, Präsident des Comité de l’Association des cercles d’étudiants luxembourgeois (Acel), sind etwa vierzig Luxemburger von diesem neuen Losverfahren in Belgien betroffen. „Falls die Leute nicht genommen werden, muss das Centre de documentation et d’information sur les études supérieures helfen, die Leute woanders unterzubringen, denn die Zeit drängt langsam.“ Neben Belgien sieht auch Österreich ein Quoten-Verfahren vor. Aufgrund eines bilateralen Vertrages sind die Luxemburger StudentInnen davon jedoch nicht betroffen, allerdings drohen auch hier demnächst Studiengebühren.

Welchen Einfluss diese Entwicklungen auf Luxemburg haben könnten, das vermag Jean-Paul Lehners, Vizerektor der Uni Luxemburg, noch nicht vorherzusagen. Bisher stelle man in Luxemburg noch keinen Studentenandrang fest. „Achtzig Prozent der Studenten wohnen in Luxemburg, meistens bei den Eltern. Nur 20 Prozent kommen aus dem nahen Grenzgebiet. Insgesamt studieren an der Uni etwa 60 Prozent Luxemburger und über 40 Prozent Ausländer.“ Was die Studiengebühren anbelangt, seien die in Luxemburg eher symbolischer Natur, meint Lehners: „Pro Semester müssen die Studenten 100 Euro Verwaltungsgebühren bezahlen. Nur in einzelnen Fächern ist dieser Betrag höher. So kostet eine Ausbildung in Banking and Finance, etwa 17.500 Euro.“ Doch auch wenn das Studieren in Luxemburg recht erschwinglich erscheint, sind die Luxemburger Studenten auf die Unis im Ausland angewiesen. Und das nicht nur, um über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Abhängig von ausländischen Unis

„Die Studenten sind auf ausländische Unis angewiesen, da in Luxemburg nicht alle Fachrichtungen angeboten werden. In bestimmten Studienrichtungen wie Medizin, Wirtschaft oder Jura kann man nur einige Semester studieren, dann muss man ins Ausland“, sagt Lehners. Diese Studentenmobilität ist einerseits gewollt und soll durch Verträge mit Austausch-Unis erleichtert werden. Andererseits bietet die Uni Luxemburg nur begrenzt Bachelor-Studiengänge an: „Wir wollen in Richtung Elite-Uni und ein Programm mit Qualität anbieten. Wir haben vor, uns auf Masterprogramme und Doktorate hin zu spezialisieren. Die Tradition der Bachelor-Studiengänge soll nicht weiter ausgebaut werden, obwohl es Fächer gibt wie die LehrerInnen-Ausbildung, die wir anbieten müssen.“

Hieran stößt sich Michel Erpelding von der Union des Etudiant(e)s du Luxembourg (Unel): Dass an der „Elite-Uni“ keine kompletten Studiengänge angeboten werden, wichtige Fächer wie die Sciences humaines aufgrund anderer Prioritäten zu kurz kämen und dass die Uni nur einer Minorität zur Verfügung stünde. „Eine Elite-Uni für wen? In Luxemburg sind nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung an den Unis – wir brauchen Studenten und eine Uni, wo der normale Luxemburger hin gehen kann“, so Erpelding. „Auch sind Bachelor-Studiengänge wichtig. Ich kenne Leute, die weniger bemittelt sind, die arbeiten müssen und nicht ins ferne Ausland können.“ Erpelding findet die Uni in diesem Punkt unsozial.

Studium als Ware

Laurent Derkum von der Acel begrüßt zwar einerseits, dass man für mindestens ein Semester ins Ausland muss. „Andererseits macht es sich die Uni Luxemburg einfach, wenn sie nur wenige Bachelor-Studiengänge anbietet, denn diese sind teuer und ziehen mehr Studierende an. Es ist ungerecht gegenüber anderen Unis, sich nur auf höhere Semester zu konzentrieren – allerdings bringt es dem Land mehr.“

Was Studiengebühren anbelangt, so sind die Argumente der Befürworter und Gegner bekannt. Befürworter sehen sie als Mittel um die Geldnot der Hochschulen zu lindern, eine bessere Studienqualität durch mehr Ausstattung und Personal zu garantieren. Gebührengegner befürchten, dass die soziale Chancengleichheit im Bildungsbereich in Zukunft unterlaufen wird und nur noch Kinder aus wohlhabendem Milieu studieren können – auch weil es durchaus noch ungewiss ist, wer die dann benötigten Darlehen vergeben soll. Gewiss ist auf jeden Fall, dass sich die Studentenschaft durch Studiengebühren und Zulassungsbeschränkungen verändern wird.

In Luxemburg gibt sich Lehners in dieser Hinsicht trotz Elite-Uni-Konzept idealistisch: „Im Moment denken wir nicht an weitere Studiengebühren. Wenn es Studiengebühren gibt, so müssen sie mit sozialer Gerechtigkeit gekoppelt sein: Es darf nicht sein, dass man aus Geldmangel nicht studieren gehen kann – das geht gegen meine Weltanschauung. Ich kann mir ein Modell vorstellen, wo alle Bürger für Studenten bezahlen.“

Michel Erpelding von der Unel ist in Punkto Studiengebühren kompromissloser und fordert ein Gesetz, das begrenzte oder keine Studiengebühren festschreibt: „Das luxemburgische Recht schützt die Studenten nicht, alles wird intern geregelt. Wir sind klar für ein Gesetz und dafür, dass die neoliberalen Maßnahmen, die auf universitärem Niveau grassieren, gestoppt werden“, so Erpelding. Dadurch, dass die Unis Gebühren erheben und somit die Konkurrenz anstacheln, hätte sich eine Büchse der Pandora geöffnet: Die Skala der Gebühren nach oben ist offen, Bildung droht zur Ware zu werden. „Die Erziehung ist ein Recht. Nicht die Studenten sollten es finanzieren, sondern die Allgemeinheit“, fordert Erpelding. Auch sei es nicht gut, dass wie im Fall der School of Banking and Finance in Luxemburg Banken und Unternehmen in die Unis kommen. Wenn Firmen Unis sponsern, dann erwarten sie auch eine Gegenleistung. „In Frankreich etwa sind Abschluss-Diplome nach Firmen benannt“, so Erpelding. Hier sei es auch wichtig, dass der Staat sich engagiere.

Uni-Rankings

Jedoch scheint es mittlerweile eher eine Tendenz dahin zu geben, dass der Staat sich aus der Bildung und aus sozialen Aspekten zurückzieht – man denke nur an die Föderalismusreform in Deutschland oder an die vielen Privatisierungen. „Auch in Luxemburg ist ein Disengagement des Staates festzustellen, was die Uni betrifft“, meint Erpelding. „Es wird zu wenig Geld für die Uni zur Verfügung gestellt. Tatsache ist, dass es bis jetzt noch keine ordentliche Unibibliothek gibt.“

Die viel gepriesene europäische Hochschullandschaft, gekennzeichnet durch Mobilität und Austausch, ist in der Realität eher eine Konkurrenzlandschaft, in der nach wie vor das Eigeninteresse dominiert. Auch Lehners muss feststellen, dass Bildungspolitik nach wie vor nationale Politik ist: „darauf pochen die einzelnen Staaten stark.“

Die akademische Auslese zwischen den einzelnen Ländern wird sich aufgrund von Zulassungsbeschränkungen noch verschärfen: Im universitären Ranking will niemand an letzter Stelle stehen. In Zeiten prekärer Berufsanstellungen bleiben diejenigen auf der Strecke, die sich kein teures Studium leisten können.


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