Mit „Blaupause 5: Terror Terrestris“ unternimmt Regisseur Martin Engler den Versuch eines Rundumschlags der ?Katastrophen‘ des 20. Jahrhunderts und schafft starke Bilder, die eine kaputte Welt zeigen, in der Hybris regiert.
Menschlicher Wahn hat viele Gesichter. Er ist leise und überlegt, oder auch schrill, laut und abgedreht. Wie in „Blaupause 5: Terror Terrestris“. Am Beispiel von Fritz Habers Erfindung der Ammoniaksynthese, die den Ausgangspunkt zum Mord an tausenden Menschen bilden sollte, spüren er und sieben Schauspieler über zwei Stunden auf der Bühne des Kapuzinertheaters den Verstrickungen von Wirtschaft, Militär und Forschung im ausgehenden 20. Jahrhundert nach und schlagen einen Bogen zur aktuellen Krise.
Kaum sitzt man im Sessel, wird man auch schon mitgerissen – wird mit allen Mitteln der Kunst eine apokalyptische Stimmung erzeugt. Schrille Töne begleiten eine schmerzhafte Geburt, die in warmen Blautönen an die Leinwände projiziert wird. Es sind hysterische Dialoge, sinnfreie Monologe und plakative Wortfetzen, die in den Raum geworfen werden: in „eine Welt, in der die einzig wahre Religion, das Kapital“, regiert. „Worum es hier geht, ist Wachstum“.
Und so ist es kein Wunder, dass sich auch der Chemiker Haber mit seiner Erfindung vor den Karren der herrschenden Kriegstreibern spannen lässt, und seine Erkenntnisse in deren Händen zu Zündstoff werden. Da nützt es auch nichts, dass seine weitsichtige Frau Clara Immerwahr, selbst Chemikerin, ihn warnt. Was willst Du schon Weib? „Der wesentliche Wert der Frau liegt in ihrer Gebärfähigkeit!“ Weibliche Klischees werden im Stakkato abgefrühstückt, alldieweil die Welt sich wie eine Waschmaschine weiter dreht. Denn das Labor steht nicht still. Weißen Teletubbies gleich brauen die Wissenschaftler etwas zusammen und schlürfen die radioaktive Suppe auch schon mal direkt aus dem Eimer. Eine Financial-Times lesende Blondine bekennt dämlich „Ich bin überzeugt, dass am Ende die Guten gewinnen. Und daran glaube ich.“
Englers Produktion hat keinen roten Faden, anscheinend auch gar nicht den Anspruch, eine einzelne Handlung stringent zu erzählen. Mit seinem „Blaupausenprinzip“ geht es ihm um die Darstellung der Gleichzeitigkeit von Terror und ewiger Wiederholung von Vernichtung, die Darstellung menschlichen Größenwahnsinns – exemplarisch skizziert an den ?Zivilisationsbrüchen‘ des Zwanzigsten Jahrhunderts. Hier regiert nicht Ethik oder Vernunft, sondern allein das Chaos!
Und das Konzept funktioniert. Zumindest bedingt. Die Zuschauer werden ins Geschehen hineingezogen und es liegt ein Hauch episches Theater in der Luft, wenn das Publikum aufgefordert wird, den Wahnsinn abzusegnen und in einen Chor einzustimmen: „Ave Miseria!“. Die Videoinstallationen (Julie Schroell) sind sorgsam zusammengestellt, muten bisweilen psychedelisch an und konkurrieren in ihrer Intensität und Nachhaltigkeit mit den Schauspielern. Insgesamt jedoch ist „Terror Terrestris“ heillos überfrachtet. Während historische Impressionen von Krieg, Flucht und Zerstörung im Sekundentakt an drei Leinwände projiziert werden und sich mit verfremdeten Aufnahmen des Bühnengeschehens abwechseln, verschwimmen historische Geschehnisse zu einem zähen Brei.
Dazu kommt die Verhörsituation eines einzelnen NS-Funktionärs, der monoton wiederholt, „Nein, er könne sich an nichts erinnern. Nein, er habe nicht an der Rampe gestanden“ und Landsmanns Protokolle flirren aus dem Beamer. Die Großherzogin tritt als selbstbewusste Mahnerin auf, die über BBC verlauten lässt, Lëtzebuerg werde sich nicht von den Deutschen vereinnahmen lassen, während Regisseur Engler selbst immer wieder einen gewitzten Auftritt als schalkhafter Gartenzwerg liefert.
Was wie ein megalomanes Projekt anmutet, ist ein eben solches. Engler skizziert Figuren und lässt ihre irren Monologe so schnell vorbeiziehen, dass kaum etwas nachwirkt. Völkermord an den Armeniern, Shoa und Finanzkrise verschwimmen so zu einem diffusen Konglomerat an Sinneseindrücken. Wir versinken im Chaos und im Dreck. Das Chaos aber ist selbst gemacht. Die Quintessenz: Der menschliche Wahnsinn ist unendlich.
Zum letzen Mal an diesem Freitag, dem 5. Oktober im Kapuzinertheater.