Maes Jean-Paul: Interview zur THEATERBIENNALE

Act In“ heißt es vom 7. bis zum 17. November. Woxx sprach mit Jean-Paul Maes, dem künstlerischen Leiter der 1. Theaterbiennale Luxemburgs.

Jean-Paul Maes: „Wer nicht offen für die Probleme unserer Zeit ist, gehört auch nicht zum gängigen Theaterpublikum“.
Foto: Christian Mosar

1. THEATERBIENNALE

Europa auf der Bühne

„Act In“ zeigt zehn verschiedene Stücke zeitgenössischer AutorInnen. Nach welchen Kriterien wurden die Stücke ausgewählt?

Ich habe dem APTC (*) eine ganze Reihe Stücke eher junger AutorInnen vorgeschlagen, die dann von einem Lektorat begutachtet wurden. Der Hauptakzent wurde auf die „kleinen Sprachen“ gelegt. Die AutorInnen der minoritären Sprachen haben ein konkretes Problem: Sie werden kaum in einem anderen Sprachraum als dem ihrigen aufgeführt. Dem wollen wir entgegenwirken.

Wie soll das geschehen?

Neben zwei luxemburgischen Aufführungen haben wir uns für Stücke in slowenischer, estnischer, dänischer, ukrainischer, katalanischer, finnischer und flämischer Sprache entschieden. Allesamt sind es Uraufführungen. Die ausländischen Stücke wurden teilweise speziell für die Biennale ins Französische oder Deutsche übersetzt. Ich erhoffe mir einen gewissen „Kick“, dass die ausgewählten Stücke in ihrer Übersetzung nachinszeniert werden.

Was genau verbindet die einzelnen Stücke?

Die Thematik: Wie sieht die Welt heute, 12 Jahre nach dem Mauerfall aus. Das Goldene Kalb, um das getanzt wird, ist nicht fetter geworden, aber immer mehr Leute wollen ein Stück davon abbekommen. In den Ostblockländern war das schon bald nach der „Wende“ spürbar, aber inzwischen haben auch wir festgestellt: Der Kampf um die „Butter“ ist härter geworden.

Der Mauerfall wirkt als Thema für ein Theaterfestival in Luxemburg etwas aufgesetzt. Was hat die „Wende“ mit Luxemburg zu tun?

Diese Frage wurde mir in letzter Zeit öfters gestellt. Das mag jetzt sehr subjektiv klingen, aber meiner Meinung nach hat mit 1989 eine Zäsur in ganz Europa und natürlich auch in Luxemburg stattgefunden. Das alte Feindbild „Ostblock“ ist mit dem Fall der Mauer verschwunden und mit der Zeit durch ein Neues ersetzt worden. Im Oktober ’89 waren die Menschen aus diesen Ländern auf einen Schlag unsere Brüder. Aber schon einige Monate später wurden sie als Faulenzer und später durch die Emigration als Konkurrenten bezeichnet.

Diese Thematik spiegelt sich sicherlich nicht in allen gezeigten Theaterstücken wider. Es geht auch darum, die Unterschiede in der Entwicklung der alten Ostblockländer und denen des Westens zu zeigen.

Wo werden diese sichtbar?

Nehmen wir einerseits „Kitsch“ von Nico Helminger. Er wirft einen kritischen und bösen Blick auf die luxemburgische Gesellschaft, die mit ihren 60 Jahren Wohlstand und Frieden mehr schlecht als recht umgegangen ist. Sie macht sich was vor. Sie lebt nicht wirklich. Es ist als würde ein Film ablaufen, in dem nichts Reales mehr ist, an dem man sich festhalten könnte.

Dann gibt es andererseits die osteuropäischen Autoren wie den Ukrainer Olexandre Irwanetz. In seinem Stück gewinnt man den Eindruck, dass die ukrainische Gesellschaft dahin strebt, wo Helminger uns weghaben will.

„Act In“ wird als ein Theaterfest angekündigt. Das Publikum soll sich also amüsieren. Wie läßt sich das mit dem politischen Anspruch der Stücke verbinden?

Emir Kusturicas Filme sind auch politisch und trotzdem amüsant. Ähnlich wie das slowenische Stück „Vladimir“ von Matthias Zupancic, das eine Komödie, eine absolute Farce ist. Hier wird ein slawisches Land persifliert, das zwar zum Ostblock gehörte, sich dieser Realität aber stets zu entziehen versuchte. Ganz nach Bertolt Brecht: „Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral“.

Mit „Act In“ sprechen wir, wie der Name schon suggeriert, ein Publikum an, das sich für die Probleme unserer Zeit interessiert und sich mit anderen austauschen möchte. Wer nicht offen für solche Themen ist, gehört auch nicht zu dem gängigen Theaterpublikum.

Soll mit der Theaterbiennale denn nicht auch ein neues Publikum angesprochen werden?

Das ist ein schwieriges Thema. Neben dem Stammpublikum der einzelnen Theater wird es wohl ein spezifisches Festivalpublikum geben. Aber zu Großes darf man nicht erwarten. Diese Veranstaltung ist neu, sie muss erst ihren Platz finden, und das braucht Zeit. So wie das Stengeforter Theaterfestival, bei dem es auch einige Jahre dauerte, bis es bekannt wurde.

Am Festival nehmen neben dem Theater Trier und der Maison de la Culture in Arlon als ausländische Theater quasi alle Theater aus Luxemburg teil …

Für uns war von Anfang an klar: In Luxemburg sollen die ausgewählten Stücke von den luxemburgischen Formationen in ihren jeweiligen Theatern gespielt werden. Und genau das ist es, was „Act In“ gegenüber anderen Festivals im Ausland interessant macht. Es gibt wohl kaum eine Stadt oder eine Region, in der die Theaterhäuser so solidarisch sind, dass sie ihre Produktionen in einem bestimmten Zeitraum anlaufen lassen. Und sich dazu noch von einem übergeordneten Kommitee vorschlagen lassen, welche Stücke sie spielen.

Ich hoffe, dass bei der nächsten Ausgabe auch das Kasemattentheater, das „Stater Theater“ und vielleicht noch einige Häuser aus der Grenzregion, wie das Saarländische Staatstheater, das Théâtre populaire in Thionville oder das Théâtre de la Manufacture in Nancy mit dabei sind.

Das Gespräch führte Bibine Schulze

(*) APTC, Association pour la promotion du Théâtre contemporain.


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