RYAN COOGLER: Fratze der Polizeigewalt

Fünf Jahre nach dem brutalen Mord eines US-amerikanischen Polizisten an dem Afro-Amerikaner Oscar Grant setzt Ryan Coogler diesem mit „Fruitvale Station“ filmisch ein Denkmal, das zugleich ein Fanal gegen Rassismus ist.

Auf dem Boden:
Seine Herkunft und seine Hautfarbe bringen Oscar Grant den Tod.

In den Morgenstunden des Neujahrstags 2009 wurde der 22-jährige Oscar Grant bei einem Tumult an einer U-Bahn-Station von Polizisten brutal zusammengeschlagen und schließlich erschossen. Zahlreiche Passanten filmten schockiert das Geschehen mit ihren Mobiltelefonen. Die Videos des Vorfalls kursieren noch immer auf Youtube und halfen dem Produzenten dabei, die Szene rund um den Mord genauestens zu rekonstruieren und nachzufilmen.

„Fruitvale Station“, der bei den Filmfestspielen in Cannes 2013 den „prix de l’avenir“ und auf dem „Sundance Festival“ zwei Preise gewann, erzählt die 24 Stunden im Leben Oscar Grants (Michael B. Jordan) vor dem Mord. Herausgekommen ist dabei eine Aneinanderreihung von ergreifenden Szenen, die das spätere Opfer vor allem als liebevollen, sensiblen Familienmenschen zeigen. Produzent Coogler hat gar nicht erst versucht, ein komplexes Drehbuch zu schreiben, sondern die Handlung aufs Minimale reduziert. Man sieht Oscar beim Fangenspielen mit seiner vierjährigen Tochter und wie er sie vom Kindergarten abholt, erlebt, wie er seiner Freundin Sophina (Melanie Diaz) einen Heiratsantrag macht und verzweifelt versucht, das schwierige Verhältnis zu seiner Mutter zu kitten, und man wird Zeuge, wie er sich bemüht, einen angefahrenen Hund zu retten. In Rückblenden erfährt man von seiner Vergangenheit im Knast und nimmt ihm und seiner geradlinigen Art ohne weiteres ab, dass er, nachdem er erneut arbeitslos geworden ist, alles tun will, um nicht wieder in die Kriminalität abzurutschen.

In gewissem Sinne ist Oscar Grant eine tragische Figur. Am letzten Tag im Jahr 2008 hat er alle guten Vorsätze gefasst, um sein Leben umzukrempeln, und scheitert an den gesellschaftlichen Umständen. Allein seine Hautfarbe und das Milieu, in dem er sich bewegt, stigmatisieren ihn als Kriminellen. Er kommuniziert viel per SMS – groß und grell flimmern die Kurznachrichten über die Leinwand -, fährt mit dem Auto scheinbar planlos durch die Gegend, trifft halbstarke Dealer und scheint trotz aller guten Vorsätze wie gefangen in einer Abwärtsspirale.

„Fruitvale Station“ erinnert stark an Mathieu Kassovitz‘ Klassiker „La haine“ (1995), der 24 Stunden im Leben von drei Jugendlichen zeigt, deren Alltag von Gewalt, Drogen und Polizei-Schikanen geprägt ist. Allerdings ist er filmisch weniger anspruchsvoll und in seiner Handlung wesentlich einfacher gestrickt.

Doch dem Regisseur ging es weniger um Filmästhetik als vielmehr darum, den Menschen Oscar Grant zu zeigen. Vom Anfang bis zum Ende des 85-Minuten kurzen Streifens wird man dazu verleitet, sich mit ihm zu identifizieren, rührt einen der liebevolle Umgang mit seiner Tochter und seiner Mutter, verfällt man seinem Charme. Bei aller Vorhersehbarkeit des Filmendes will man dann aber doch nicht wahrhaben, was Coogler am Schluss minutiös nachbildet: Die brutale, willkürliche Polizeigewalt an einem Menschen, dem einzig seine Hautfarbe zum Verhängnis wird.

So ist „Fruitvale Station“ bestimmt kein Erfolgsfilm, wie man ihn aus Hollywood kennt, aber er setzt ein wichtiges Statement gegen polizeiliche Willkür in ihren brutalsten Facetten und einen Staat, der seine lateinamerikanischen und afro-amerikanischen MitbürgerInnen ausgrenzt, seine – mitunter kriminellen – weißen Beamten jedoch durch die Justiz schützen lässt: Oscar Grants Mörder Johannes Mehserle, der zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, wurde nach nur elf Monaten wegen „guter Führung“ aus der Haft entlassen.

Im Utopia


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