EUROPAWAHLKAMPF: Kraftlose Brühe

Auch europäische Spitzenkandidaten machen aus einer Europawahl keinen Publikumsrenner. Dem Duell Juncker-Schulz fehlte es an Spannung und den anderen Front-Wahlkämpfern an Biss. Ein konsequent europäisches Programm präsentiert keine der Parteien.

Act European,
think national.
Das funktioniert auch umgekehrt.
Je nach Publikum.

Nun ist er also fast vorbei: der erste Wahlkampf mit europaweiten Spitzenkandidaten. In die EU-Geschichte wird er trotz dieser Premiere nicht als besonders aufregend eingehen. Dabei hatte sich noch vor Beginn der heißen Phase einer der Hauptakteure darüber gefreut, dass es nun „erst einmal um Köpfe“ ginge. Personalisierung sei das Salz in der Suppe der Demokratie, kündigte Martin Schulz an. Die Nummer eins der europäischen Sozialdemokraten trat mit großen Ambitionen an. Vom „Aufbruch in eine transnationale Demokratie“ schrieb der 58-Jährige im Feuilleton der „Frankfurter Rundschau“ und verglich das Unternehmen mit dem des Christoph Kolumbus, der sich aufmachte, Amerika zu entdecken.

Es kommt auf die Zutaten an

Die Wähler allerdings ließen sich nicht so leicht mit auf die Entdeckungsreise nehmen. Denn der Wunsch, ein Wahlkampf möge sich besser durch Personen aufpeppen lassen als mit drögen Parteienprogrammen, ging nicht in Erfüllung. Auf Duelle mit Pepp und Power wartete das eher spärliche Fernsehpublikum der TV-Debatten umsonst. Das lag auch daran, dass ihm statt europäischer Vielfalt zumeist Einheitsbrei vorgesetzt wurde. Personalisierung der Politik bedeutet eben auch Konzentration auf die vermeintlich wichtigsten Köpfe. Somit reduzierte sich die Berichterstattung über den Europa-Wahlkampf in großen Zügen auf „Juncker gegen Schulz“.

Dabei stellte sich heraus, dass der Christsoziale und der Sozialdemokrat so verschieden nicht an die Sache herangehen. Die Vorstellungen der beiden glichen eher einer Veranstaltung zum Aufbau der europäischen großen Koalition denn einem Streitgespräch zweier Politiker mit differenten politischen Visionen. Manche ihrer Statements sind nahezu eins zu eins austauschbar. Bei einigen Themen scheint es fast, als käme es lediglich darauf an, wer zuerst am Zug ist. Etwa wenn es darum geht, dem europamüden Wähler zu erklären, dass sich die EU fortan um das Große kümmern und kleinere Probleme eher den Nationalstaaten überlassen soll. Als ob beide denselben Fortbildungskurs besucht hätten, fielen ihnen sogar dieselben Beispiele ein. Brüssel müsse nicht bestimmen, welche Duschköpfe in deutschen Bädern eingebaut werden, führt Martin Schulz in der ZDF/ORF-Debatte ins Feld. Ihm sei es gleichgültig, wie das Wasser aus der Dusche auf seinen Kopf rieselt, Hauptsache er werde sauber, formulierte es Jean-Claude Juncker, der Frontmann der „Europäischen Volkspartei“ (EVP) und machte sich wie Schulz dafür stark, dass die EU ihren Bürgern weniger als bisher im Alltag herumpfuscht. Dass Juncker als Premierminister der entsprechenden Regel im Rat, Schulz als EU-Abgeordneter derselben im Europaparlament zugestimmt hat, erwähnen beide nicht.

Solche Widersprüche werfen sich beide wohlweislich nicht gegenseitig vor. Nach einigen Debatten sind die zwei Kontrahenten viel mehr gut aufeinander eingespielt. Ein Bösewicht von außen kommt da ganz gelegen. „Die USA dürfen sich nicht als Herrscher der Welt aufführen“, sagt Martin Schulz. „Amerikaner müssen auch manchmal hinhören“, mahnt Jean-Claude Juncker. Nuancen gibt es in ihren Aussagen schon, doch sie drohen schier in den sekundengenau durchgetakteten Veranstaltungen unterzugehen. „Europa braucht endlich eine gemeinsame Einwanderungspolitik“, lautet eine der Hauptforderungen des Martin Schulz. Der deutsche SPDler handelt sich dafür von der bayrischen CSU glatt den Titel des „Geschäftsführers von Schlepperbanden“ ein. Bei Juncker, der seine politische Familie kennt, heißt es im deutschen Fernsehen zu demselben Thema: „Wir müssen uns stärker mit legaler Immigration beschäftigen.“ In einer paneuropäischen Debatte in Brüssel lehnt er sich weiter aus dem Fenster: „Europa muss seine Haltung zu diesem Problem ändern. Ich werde diejenigen in meiner Partei überzeugen, die diese Sicht nicht teilen.“ Dazu gehört zum Beispiel die französische UMP, auch Mitglied der EVP. Sie setzt sich für eine Reform des Schengener Abkommens ein und dafür, dass Länder, deren Grenzen zu durchlässig sind, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.

Das Gute dabei ist, dass diese Divergenzen innerhalb der eigenen Partei auch nach der Wahl nicht zwangsläufig aufgelöst werden müssen. Umsetzen muss ein Kommissionspräsident die vorher definierte Politik nicht. Er könnte es zuweilen nicht einmal, selbst wenn er es wollte. Denn am Rednerpult wurde zuweilen die eigene Macht etwas übertrieben dargestellt. Zum Beispiel beim Thema Erweiterung. In den nächsten fünf Jahren werde kein Land der EU beitreten können, „weil wir uns erst einmal festigen müssen, zu uns finden müssen“ sagte Jean-Claude Juncker zu diesem Thema. „Die EU ist nicht bereit für eine weitere Erweiterungsrunde“, betonte auch Martin Schulz. Das klingt, als ob der Kommissionspräsident hier ein Wort wird mitreden können. Dies ist aber nicht der Fall. Tatsache ist vielmehr, dass die Kommission keinerlei Kompetenz besitzt, sich hier einzumischen. Welcher Kandidat wann in die EU aufgenommen werden wird, bestimmen einzig und alleine die Mitgliedstaaten.

Dort sitzen im Übrigen die potenziellen Wähler ? das gilt zumindest für Martin Schulz, dessen Name anders als der von Juncker tatsächlich auf einer Wahlliste aufgeführt ist. „Aus Deutschland. Für Europa“, steht auf den SPD-Plakaten in Deutschland zu lesen. Der Spruch klappt wohl weniger in den anderen 27 EU-Ländern, in denen er ebenfalls als Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten auftritt. Doch einer, der seit Jahren in Brüssel ist, muss auch seine nationale Seite betonen.

Europa ist der kleinste gemeinsame Nenner

Inhaltliche Widersprüche gibt es indessen nicht nur innerhalb der sehr heterogenen EVP. Auf der europäischen Bühne redet es sich anders als vor dem heimischen Publikum. Guy Verhofstadt, der Spitzenkandidat der Europäischen Liberalen brachte in den wenigen Debatten mit mehr als zwei Kontrahenten etwas Leben in die Diskussion. Zum Beispiel als er Schulz und Juncker auf „Eurobonds“ ansprach. Verhofstadt konnte sich dabei rühmen, im Gegensatz zu den Vertretern der beiden großen Parteien weiterhin ein vehementer Befürworter dieser gemeinsamen Staatsanleihen zu sein. Der deutsche Spitzenkandidat der FDP ist da anderer Meinung. Die Vergemeinschaftung von Staatsschulden würde die Ursache der aktuellen Krise wieder aufleben lassen, schreibt Alexander Graf Lambsdorff auf seiner Homepage. Ein Beispiel dafür, dass auch Grüne nicht immer der in Europa vorgegebenen Linie folgen, kommt aus Luxemburg. Finanztransaktionssteuer und mehr Transparenz für Bankenplätze, dafür machen sich die Grünen auf europäischer Ebene stark. Hierzulande warnt die Regierung mit grüner Beteiligung weiterhin vor den Folgen der genannten Steuer und weigert sich sogar als einziges EU-Land, der Kommission Informationen über seine Steuerpolitik gegenüber großen Unternehmen herauszugeben.

Etwas Neues brachten zumindest jene Debatten, die nicht vor einem rein nationalen Publikum stattfanden: Die Spitzenkandidaten mussten sich hier erstmals in europäischer Wahlkampfrede versuchen. Doch das hatte seine Grenzen und führte zuweilen dazu, dass sie Versprechen, die von Parteigenossen auf nationaler Ebene gemacht worden waren, auf den Boden europäischer Tatsachen zurückholen mussten. In Portugal etwa hatte der nationale Frontmann der Sozialisten gefordert, die EU solle ein Teil der Kosten für das Arbeitslosengeld übernehmen. „Dazu gibt es keine gesetzliche Grundlage“, ruderte Schulz vorsichtshalber in seiner Antwort auf die Frage eines portugiesischen Journalisten zurück. Wohlwissend, dass auch deutsches zahlungsunwilliges Publikum dieser europäischen Debatte zusah. Somit stellte sich heraus: Europäisch argumentieren, heißt auch, die Inhalte auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen. Das hat dieser erste Wahlkampf mit europaweiten Spitzenkandidaten deutlicher als andere gezeigt. Und auch dies trug dazu bei, dass am Ende nur wenig Salz in der kraftlosen Brühe war.


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