Aufregend war sie nicht, die Rede des Premiers. Doch die neuen Schwerpunkte und die aufschlussreichen Weglassungen kündigen eine politisch-taktische Wende an.
Wird Xavier Bettel uns jedes Jahr mit einem Luxemburg-ist-Tweet versorgen? „Luxemburg ist ein kleines Land mit einer großen Zukunft“, hatte es in der Rede zur Lage der Nation 2014 geheißen. Diesmal lautet der Leitsatz: „Luxemburg ist ein Land, wie kein anderes auf der Welt.“ Können solche, durchaus auf psychologische Wirkung abzielenden Aussagen im Zeitalter von Twitter und Facebook wirklich die rhetorische Kunst eines Jean-Claude Juncker vergessen machen? Nein, denn die neuen Technologien haben uns auch den Live-Stream beschert. Und auf dem sah man, dass Bettel seine gut redigierte Rede zwar sauber vortrug ?, von Emphase und Esprit jedoch nicht allzu viel zu spüren war.
In seinem Schlusswort betonte Bettel, die Debatte zur Lage der Nation sei nicht mehr der Anlass für große Ankündigungen – unter Juncker seien gewissermaßen spruchreife Projekte für diesen Tag gehortet worden. „Es gibt kein Monopol der Rede – wir sind ein Team.“ Handelt es sich also beim Mangel an rhetorischer Wirkungskraft, an großen Gesten und Visionen, um einen bewussten Verzicht im Sinne des Teamgeistes? Wahrscheinlicher ist, dass dem neuen Premier ein zurückhaltenderer, weniger theatralischer Kommunikationsstil einfach besser liegt.
Alles für die Mittelschicht
Auffallend war zum Beispiel der Platz, den die Erinnerungskultur, insbesondere in Verbindung mit dem zweiten Weltkrieg, in der Rede einnahm. „Eine Zeit, in der es sich gezeigt hat, dass Luxemburg ein starkes Land, eine starke Nation mit vielen starken Frauen und Männern ist“ – solche Formulierungen sollen einen eigentlich gar nicht zur linksliberalen Regierungskoalition passenden Patriotismus beschwören. Einen Patriotismus allerdings, der sich nicht scheut, seine „dunklen Ecken“ selbstkritisch zu beleuchten und der sich klar gegen Unmenschlichkeit, ob damals oder heute, stellt. Das Räsonnement mag etwas bodenständig klingen, doch in Verbindung mit Bettels unzweideutigem Plaidoyer für die Aufnahme von Flüchtlingen ergibt sich der Eindruck eines nicht unsympathischen humanistischen Wertekanons.
Vor einem Jahr hatten wir bereits die Qualität der Rede zur Lage der Nation bemängelt, dafür aber den in ihr ausgedrückten Versuch, neue Wege zu gehen, gelobt (woxx 1261). Das Wörtchen Weg kommt diesmal in der Rede 18-mal vor – allerdings zur Hälfte in der Form „der richtige Weg“. Eine spöttische Anspielung auf den CSV-Slogan des „sicheren Weges“ und zugleich eine Beteuerung, dass die Regierung weiß, was sie tut. Nur in einem einzigen Zusammenhang – bei der Wohnungspolitik – ist von einem „anderen Weg“ die Rede. Vermutlich, weil die Regierung erst einmal genug hat von der in ihrem Programm versprochenen „Erneuerung“ – mit ihren nach den Umfrageergebnissen zu urteilen unpopulären Maßnahmen.
In Luxemburg wird man als Politiker „Volkes Liebling“, wenn man „sozial“ ist. „Sozial“ heißt, etwas „für die Leute“ zu tun – gemeint ist die Mittelschicht. Das scheint Bettel beherzigt zu haben, erwähnte er doch das S-Wort zum krönenden Abschluss seiner Rede gleich dreimal. Zuvor hatte Bettel betont, die Reform des Congé parental mache diesen „attraktiver für Personen mit mittlerem Einkommen“. Bei der Darstellung der Wohnungspolitik präsentierte der Premier im Detail die sozialen Vorzeigeprojekte des Fonds du Kirchberg, doch den Spekulanten zu Leibe zu rücken oder das Marktprinzip in Frage zu stellen, ist nicht geplant. Den Mietzuschuss beschrieb Bettel als „deutliche Erhöhung des Mindestlohns“, ohne dass dies auf Kosten der Unternehmen gehe – in den Augen der Kritiker ist die neue Maßnahme eher ein Vermieter-Zuschuss. Das alles lässt für die – in der Rede kaum angesprochene – Steuerreform wenig mehr erwarten als die Beseitigung des „Mittelstandsbuckels“ – ein höchst umstrittenes Vorhaben, wie der vor kurzem veröffentlichte Caritas-Sozialalmanach belegt (woxx 1317).
Dreimal Ja!
Anders als 2014 verkniff es sich Bettel, das Krankheitsbild der wirtschaftlichen Krise zu zeichnen und das „Mehr mit weniger“-Rezept zum Sozialabbau zu verlängern. Weil die Rede nur etwa halb so lang ausfiel, ging der Premier auf vieles gar nicht ein – rhetorisch sicherlich ein Gewinn. Klare Worte gab es in Sachen Tram; die Ausführungen zu Umwelt und Klima wurden, stark kondensiert, in den hinteren Teil der Rede verfrachtet. Eine Bestätigung dafür, dass sich die Grünen als Juniorpartner in ihren Ressorts austoben dürfen, auf die globale Ausrichtung der Regierungspolitik jedoch wenig Einfluss haben.
Einen Höhepunkt der Rede bildeten die Ausführungen zum Referendum. Im Namen der Regierung redete Bettel Klartext: Für jede der drei Fragen versicherte er, die Regierungsparteien unterstützten das „Ja“. Die Formulierung ist insofern logisch, als die Regierung bisher unter Verweis auf die Zuständigkeit der Legislative eine Stellungnahme verweigert hatte. Sie ist aber auch paradox, weil die Erklärung zur Lage der Nation eigentlich von der Exekutive erarbeitet wird – und nicht von den Regierungsparteien. Vor allem verdient die Bekenntnis zum „Einwohnerwahlrecht“ Respekt – zu einem Zeitpunkt, da es nach einer empfindlichen Niederlage aussieht und manche Mehrheits-Politiker wohl schon darüber nachdenken, das sinkende Referendums-Schiff zu verlassen. Es wäre jedoch sicherlich klüger und nützlicher für die Sache gewesen, wenn der Premier diese Aussagen einen Monat früher gemacht hätte.
Über dieses – von Bettel mit persönlichem Engagement vorgetragene – Plaidoyer für eine „moderne Demokratie“ hinaus gab es kaum Aussagen zu gesellschaftspolitischen Fragen. Das ist umso bemerkenswerter, als Themen wie Werteunterricht, Geheimdienst und Abtreibung zu den Highlights der letztjährigen Rede zählten. Ja, in den anderthalb Jahren seit Antritt der neuen Regierungskoalition hat es immer so ausgesehen, als müssten die gesellschaftspolitischen Themen die Probleme bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik ausgleichen. Schließlich herrscht über die ersteren unter den Partnern weitgehend Einigkeit, wohingegen die letzteren häufig zu Popularitätsverlusten und Konflikten innerhalb der Koalition führen.
In diesem Sinne kündigt die – von einigen als nichtssagend kritisierte – Rede eine politische Wende an. Gewiss, Bettels Ausführungen lieferten wenig, woran man sich reiben könnte. Doch das heißt auch, dass er seinen Gegnern wenig direkte Angriffsflächen bietet. Vor allem aber verkauft der Premier die Regierungspolitik als moderne Version dessen, was bei der Mainstream-Wählerschaft vermutlich ankommt: patriotisch, sozial, konsensfähig. Und verengt dadurch, wie Jean-Claude Juncker es zwei Jahrzehnte lang vorgemacht hat, den ideologischen Raum, in dem die heutige Opposition – vor allem die CSV – manövrieren kann.
www.gouvernement.lu/4801909/05-etat-nation
woxx-Artikel zu Bettels‘ Rede zur Lage der Nation 2016