THE FAMILY OF MAN: Die Menschheit – eine Familie?

Nach aufwendiger, fast dreijähriger Renovierung erstrahlt die Dauerausstellung „The Family of Man“ im Schloss in Clervaux restauriert in neuem Glanz. Als Manifest der Gleichheit galt sie seinerzeit. Hat Edward Steichens Konzeption noch heute Bestand?

Dirigent der Family of Man : CNA-Direktor Jean Back

Aus alt mach neu: Die Steichenszenographie aus dem MoMa wurde beibehalten.

Alle Menschen sind gleich. Unabhängig von ihrer Hautfarbe, Sprache und Religion. Menschen aller Kulturen teilen dieselben Emotionen: Freude, Trauer, Liebe und Hass. „There is only one man in the world and his name is All Men“ heißt es in der Einleitung Carl Sandburgs zum Ausstellungskatalog von „The Family of Man“. Besser könnte die Vision, die der Kurator Edward Steichen seinerzeit bei der Konzeption der großen Fotoausstellung fürs Museum of Modern Art (MoMa) in New York 1951 hatte, kaum auf den Punkt gebracht werden. Die Menschheit ist eine große Familie, lautet seine Message.

Nach den beiden Weltkriegen sollte die in 37 Themen gegliederte Ausstellung zur Völkerverständigung beitragen. Die Auswahl – Steichen und Wayne Miller hatten unter zwei Millionen Fotografien zunächst zehntausend ausgewählt und am Ende gelangten 503 Aufnahmen aus 68 Ländern in die Ausstellung – war ein Versuch, eine universelle, eine humanistische Bildsprache zu begründen. Gewissermaßen in Analogie zur Erklärung der wenige Jahre zuvor verkündeten Allgemeinen Menschenrechte durch die UN (1948).

Versuch einer universellen und humanistischen Bildsprache

Die legendäre Ausstellung, die Fotografien großer Meister der Bildkunst vereint, wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Dorothea Lange, Robert Doisneau oder August Sander, aber auch einige kaum bekannter Fotografen, ist so ein Manifest des Friedens und der Gleichheit während des Kalten Krieges. Die Forderung „Nie wieder Krieg!“ erscheint als Leitmotiv und zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, die „ein humanistisches Erbe höchsten Grades für Luxemburg“ sei, wie es die Kulturministerin Octavie Modert anlässlich der Wiedereröffnung in Clervaux ausdrückte.

Der Sinn der Ausstellung war die Identifikation, das „Siehe, es ist ein Mensch wie du!“. Wie stark eine solche Bildsprache wirken konnte, zeigt die Verbannung einer Fotografie, die einen weißen Mann dabei zeigt, wie er einen dunkelhäutigen lyncht. Seinerzeit führte sie zu derart heftigen Reaktionen, dass sie aus der Sammlung entfernt werden musste. Nach Ansicht der Steichen-Expertin Françoise Poos ein deutliches Zeichen dafür, dass das Bild den Identifikationsprozess gehemmt habe.

„Steichen und Wayne Miller haben diese Ausstellung sehr sorgfältig begleitet. Sie haben sich sehr genau angesehen, wie die Leute damals durch die Ausstellung gegangen sind. Es war für Steichen einfach wichtig, dass der Fluss dieser Bilder unproblematisch sein sollte, weil man sich ja mit diesen Bildern identifizieren sollte“, so Poos. Das Bild von dem Mord habe störend gewirkt, weil es die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu stark auf sich gezogen hätte. Denn in „The Family of Man“ gab es keine Antagonisten – alle sollten gleich sein und das Böse, der Rassist hatte keinen Platz. Verfängliche oder schockierende Bilder hätten das Prinzip der Ausstellung unterminiert, erklärt Poos.

Ein humanistisches Menschenbild mit Pathos, das heute wahlweise als klassisch, dem Zeitgeist verhaftet oder als etwas naiv erscheint, spricht aus nahezu allen Bildern. Einzelne Motive, wie das einer in Armut lebenden Mutter mit ihren beiden Kindern von Dorothea Lange, wurden regelrecht zu fotografischen Ikonen. Die Ausstellung selbst zählt zum Unesco-Welterbe.

In den frisch renovierten Räumen des Schlosses in Clervaux wurde aufwendig versucht, sich an der Chronologie der Hängung im MoMa zu orientieren, diese weitgehend beizubehalten. Doch funktioniert die Konzeption heute, über 50 Jahre später noch?

In „The Family of Man“ gab es keine Antagonisten

Der Rundgang beginnt wie der Kreislauf des Lebens mit der Geburt und endet mit dem Tod. Am Anfang stehen Fotografien der gebärenden Wayne Miller, ist die Geburt eines Kindes einschließlich der noch nicht abgetrennten Nabelschnur zu sehen. Schon damals hat das Bild für viele Kommentare gesorgt, die dem Fotografen, der eine Aufnahme seiner Tochter gemacht hat, gar nicht in den Sinn gekommen sind. Heute werde es mit „Kindesmisshandlung und einer ganz anderen Problematik in Verbindung gebracht“, meint Françoise Poos, für die die Fotografie ein typisches Bild der Evolution der Ausstellung und ihrer Rezeption darstellt. Damals sei das Bild ein eher idyllisches gewesen – heute sei es problematisch. Im Grunde resümiere es damit die Laufbahn der Ausstellung. Daher müsse man die Bilder immer wieder in ihren historischen Kontext zurücksetzen und versuchen, die Fotographien aus dieser Perspektive zu verstehen.

Kann man die Bilder heute im Geiste des moralischen Nachkriegsoptimismus betrachten? Als historische Zeugnisse bleiben sie gute Fotografien, ihre suggestiv humanistische Wirkung stellt sich nicht ein. Betrachtet man die Bilder von Kriegen, hinter die in Clervaux das Bild der UN-Vollversammlung gehängt ist, gewissermaßen als „Antwort“ und Versuch, eine Welt ohne Konflikte zu schaffen, so weiß man den gut gemeinten Ansatz heute von der Realität eines schlechteren belehrt.

Gratwanderung zwischen historischer und zeitgenössischer Interpretation

Historische versus moderne Interpretation – das war auch die Frage, die bei der Restaurierung im Vordergrund stand: „Es war immer eine Gratwanderung zwischen der historischen und der zeitgenössischen Interpretation. Sowohl was die Sammlung angeht, wie auch was das Gebäude angeht“, meint Kuratorin Anke Reitz. Nach und nach habe man die einzelnen Schichten des Schlosses rund um die Sammlung aufgebaut und das Gebäude der Sammlung angepasst.

Doch funktioniert das ursprünglich auf die Räumlichkeiten des Moma gemünzte Konzept nicht immer, zu verwinkelt sind die Räume im Schloss, was wohl auch die Auswirkung haben wird, dass der Besuch der Schau sich für Rollstuhlfahrer abenteuerlich gestaltet. Auch wird ausgerechnet die Sicht auf eine gigantische Naturaufnahme (Mt. Williamson, U.S.A. Ansel Adams) durch dicke Holzbalken behindert, der Abzug im Katalog wirkt hier fast stärker. Viele Abzüge scheinen etwas zerkratzt – was ihnen in einigen Fällen zum Glück erst Recht Patina verleiht. Wie bei dem kleinsten Exponat der Ausstellung, der Aufnahme der Mutter Steichens. Die Fotografie wurde aus der Ausstellung gestohlen und musste gänzlich nachgebildet werden.

Die Negative sind bei den Fotografen selbst verblieben. „Was wir haben, ist die letzte komplette Wanderversion der Familiy of Man“, erklärt Kuratorin Reitz. Oft bekäme sie die Frage gestellt, wieso sich das CNA die Mühe der Restaurierung mache, wieso man nicht einfach neue Abzüge mache? „Die „Family of Man“ ist für uns ein Erbe, das wir bekommen haben und was wir auch als solches ausstellen“, sagt Anke Reitz. Es bestünde keinerlei Interesse daran, es durch neue Abzüge zu verändern. „Denn jeder Kratzer, der auf den Bildern drauf ist, erzählt seine eigene Geschichte.“ Genau deshalb müsse man es auch so erhalten.

Ein Ansatz, der bei vielen der historischen Bilder der Sammlung überzeugt. Unter den zahlreichen beeindruckenden Fotografien fällt es schwer, ein besonders Herausragendes zu bestimmen. Wenngleich einige Bilder von Cartier-Bresson, wie jenes verschleierter Menschen auf einem Berg in „Kashmir“ oder die frontale Aufnahme eines mit Menschenmassen angefüllten riesigen Opernsaals von Walter Sanders, fotografisch hervorstechen, wirkt die Sammlung auf jeden anders. „Die Family of Man ist eine Ausstellung, zu der man emotionale Verbindungen aufbaut. Diese Feststellung macht auch jeder Besucher, der hier hinkommt „, meint Anke Reitz.

Die Ausstellung funktioniere auf eine Weise noch immer, meint Poos. Obschon sie nicht mehr zu unserer Zeit gehöre. „Damals hatte diese Ausstellung einen sehr westlich geprägten Blickpunkt. Wir identifizieren uns ja als Mitglieder einer westlichen Welt mit diesen Bildern. Heute wissen wir, dass es verschiedene Blickwinkel auf diese Welt gibt und dass man das nicht so einfach zusammenfassen kann.“ Damit funktioniere „The Family of Man“ etwa so „wie ein Hollywoodfilm von damals heute noch funktioniert“.

„The Family of Man“ funktioniert etwa so wie ein Hollywoodfilm von damals heute noch funktioniert

Die Sicht auf die Welt aber ist eine andere. Eben weil die Menschheit keine große Familie ist, ist „The Family of Man“ eine fotografische Utopie, deren Konzeption 1955 wohl noch revolutionär war. Die beeindruckende Bildsammlung muss als historisches Zeitzeugnis betrachtet werden – und ein wenig trauern um den verloren gegangenen Optimismus darf man auch. Ob sie im Norden des Landes in Clervaux als Publikumsmagnet fungieren kann und als „Trumpfkarte der Ardennengemeinschaft“ und „wahre Perle der Kultur“ (Luxemburger Wort) Besuchergruppen anzieht, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen.

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Siehe auch: Was lange währt …


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