Medikamente zum Abnehmen sind effizienter denn je, doch der Hype um die Präparate ist mit Vorsicht zu genießen.
Ein Medikament, das die Pfunde purzeln lässt: Was einst als unvorstellbar galt, ist mittlerweile Realität. Und nicht nur das: In den letzten Monaten ist ein regelrechter Hype um entsprechende Wirkstoffe entstanden. Jeden Tag werden etliche TikTok-Videos, Podcasts, Presseartikel oder Instagram-Posts zu Ozempic, Wegovy oder Mounjaro veröffentlicht. Seit der Erfindung von Viagra, offenbaren Expert*innen immer wieder in Interviews, wurden keine Medikamente derart schnell so populär. Die US-amerikanische Investitionsbank Morgan Stanley schätzt, dass die entsprechende Branche bis 2030 einen Umsatz von über 50 Milliarden erzielen wird.
Der 2012 vom dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk entwickelte Wirkstoff Semaglutid war ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes vorgesehen. 2017 wurde er in Form des Medikaments Ozempic in den USA zugelassen, ein Jahr später auch in der Europäischen Union. In die Schlagzeilen geriet das Präparat aber aus einem anderen Grund: Es hemmt den Appetit und begünstigt dadurch die Gewichtsabnahme.
Es ist nicht der erste Wirkstoff dieser Art. Im Gegensatz zu den Vorgängern Exenatide und Liraglutide ist der Gewichtsverlust durch Semaglutid jedoch weitaus bedeutender – vorausgesetzt man nimmt den Wirkstoff in ausreichend hoher Dosis ein. Mittlerweile hat Novo Nordisk das Medikament Wegovy mit einer höheren Dosis an Semaglutid auf den Markt gebracht. Seit 2020 ist es, im Gegensatz zu Ozempic, das nach wie vor ein Diabetes-Medikament ist, in den USA offiziell zur Behandlung von Adipositas zugelassen.
„Off Label“-Nutzung
Ozempic ist in Luxemburg auf Rezept erhältlich, Wegovy jedoch nicht. Nachdem letzteres im November 2021 in Europa für Menschen ab einem BMI von mindestens 27 zugelassen wurde, plante Novo Nordisk es ab 2022 quer über den Kontinent verteilt anzubieten. Nach den Erfahrungen auf dem US-amerikanischen Markt, entschied man sich aber vorerst dagegen: Tatsächlich ist die dortige Nachfrage nach Wegovy so hoch, dass man ihr nur mit Mühe und Not nachzukommen vermag. In Europa ist das Medikament deshalb zurzeit einzig in Dänemark und Norwegen erhältlich.
Auch Ozempic war in den vergangenen Monaten immer wieder von Lieferengpässen betroffen, was jedoch nicht daran liegt, dass die Zahl der Diabetiker*innen plötzlich dramatisch in die Höhe geschossen wäre: Vielmehr werden sowohl Ozempic als auch Wegovy immer wieder „off label“ verschrieben, also an Patient*innen ohne Diabetes oder Adipositas.
Auch hierzulande richtete sich die Gesundheitsbehörde im Oktober mit einer Empfehlung an Ärzt*innen und Apotheker*innen, Ozempic nur noch bei Diabetes zu verschreiben beziehungsweise herauszugeben. Das bestätigten das Gesundheits- und das Sozialministerium kürzlich in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der DP-Abgeordneten André Bauler und Gilles Baum.
In der Wissenschaft stoßen Wirkstoffe wie Semaglutid auf gemischte Reaktionen. Einerseits gelten sie als Meilenstein bei der Behandlung von Adipositas. Im entsprechenden Forschungszweig ist man sich mittlerweile darüber einig, dass nicht die Willenskraft, sondern vor allem die genetische Veranlagung das Körpergewicht beeinflusst: Wer durch seine Gene ein überdurchschnittlich hohes Hungergefühl oder Bedürfnis nach kalorienreichem Essen hat, nimmt mit größerer Wahrscheinlichkeit zu als eine Person bei der diese Bedürfnisse qua Biologie weniger ausgeprägt sind. Zahlreiche Studien belegen, dass sich durch Diäten und Sport zwar in manchen Fällen das Gewicht reduzieren lässt, allerdings nicht langfristig. Dass der Körper in solchen Momenten dem Abnehmwunsch entgegenarbeitet, ist evolutionär bedingt. Infolge einer restriktiven Diät steigt das Hungergefühl, die Kalorienverbrennung wird gedrosselt, die Fettspreicherung vermehrt: Der Körper setzt alles dran, damit das verlorene Gewicht wieder schnellstmöglich zurückgewonnen wird.
Es sind Erkenntnisse wie diese, die dazu geführt haben, dass Adipositas mittlerweile als chronische Krankheit gilt. Durch Medikamente wie Wegovy, so die Hoffnung, könnte sich diese Sichtweise in der breiten Bevölkerung etablieren, Hochgewicht würde von seinem Stigma befreit. Im Vergleich zu invasiven Eingriffen wie dem Magenbypass stellen die Medikamente zudem eine willkommene Alternative dar.
Andererseits sind entsprechende Medikamente aber mit Vorsicht zu genießen. Zu den Nebenwirkungen zählen neben Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Verstopfung, auch ein erhöhtes Risiko, an Schilddrüsen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs zu erkranken. Manche Expert*innen befürchten zudem, dass die Medikamente das Risiko erhöhen könnten, an einer Essstörung zu erkranken: Nichts vereinfacht eine drastische Nahrungsreduktion immerhin so sehr, wie ein völlig ausbleibender Appetit. Ungeklärt ist zudem die Frage, wie sich Medikamente wie Wegovy langfristig auf den Körper auswirken beziehungsweise was passiert, wenn man sie absetzt. Das ist vor allem deshalb relevant, weil das Medikament nur so lange wirkt, wie es eingenommen wird: Wer aufhört, sich Ozempic zu spritzen, nimmt sogleich wieder zu.
Ethische Dimension
Sowohl bei Ozempic als auch bei Wegovy kam die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) zu dem Schluss, dass der Nutzen des jeweiligen Medikaments gegenüber den Risiken von Diabetes beziehungsweise Adipositas überwiegt. Nur deshalb wurde es in der EU zugelassen. In ihrem Gutachten bezog sich die Ema ausdrücklich nicht auf Menschen, die an keiner dieser Erkrankungen leiden, und auf die Wirkstoffe etwa mit dem Ziel zurückgreifen, vor der eigenen Hochzeit noch schnell fünf, sechs Kilo loszuwerden.
Manche Expert*innen befürchten, dass durch die „Mainstreamisierung“ von Abnehmmedikamenten die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßigen Bewegung gänzlich in den Hintergrund rücken wird. Aus diesem Grund empfehlen medizinische Instanzen die medikamentöse Behandlung immer auch durch eine kognitive Verhaltenstherapie und professionelle Ernährungsberatung zu ergänzen.
Ob die Influencer*innen, die auf Ozempic oder Wegovy zurückgreifen, und anschließend auf Social Media mit Vorher-Nachher-Fotos für Klicks und Follower*innen werben, das auch so sehen? Letztlich muss jede*r für sich entscheiden, ob die paar Kilo weniger, die damit einhergehenden Risiken Wert sind. Die ethische Dimension des Trends ist allerdings nicht von der Hand zu weisen: Wer aktuell solche Medikamente einnimmt, ohne an Diabetes oder Adipositas zu leiden, schränkt das Angebot für diejenigen ein, die von den Krankheiten betroffen sind.