Bahnt sich eine neue Pandemie an? Obwohl das unwahrscheinlich ist, gibt es einmal mehr die Gefahr einer Stigmatisierung.
Ein ungutes und bekanntes Gefühl kam auf, wenn man die Nachrichten über den aktuellen Affenpockenausbruch verfolgte: Erst waren es nur vereinzelte Fälle, dann meldeten immer mehr Länder Infizierte. Schlittern wir also von einer Pandemie geradewegs in die nächste? Die Fakten sprechen dagegen, doch ein großes Risiko sollte ernst genommen werden: die Stigmatisierung von Minderheiten. Das Luxemburger Gesundheitsministerium scheint jedoch keine Lehren aus der misslungenen Kommunikation der letzten zwei Jahre gezogen zu haben.
Affenpocken und Analsex haben so viel miteinander zu tun wie Influenza und Missionarsstellung.
Vieles spricht gegen die Gefahr einer weiteren Pandemie. Das Affenpockenvirus ist lange bekannt und es gibt immer wieder lokale Ausbrüche, auch außerhalb der natürlichen Verbreitungsgebiete in Zentral- und Westafrika. Der Pockenimpfstoff ist hochgradig effektiv, der ältere Teil der Bevölkerung hat also bereits Immunität. Außerdem handelt es sich im Gegensatz zu Sars-COV-2 um ein DNA-Virus, das seltener mutiert.
Allerdings gibt es seit 2017 in Nigeria vermehrt Ausbrüche. Das liegt vermutlich daran, dass die Bevölkerung gewachsen ist und Wald gerodet wurde. Hier ist die Parallele mit Corona gerechtfertigt: Dadurch, dass wir Menschen immer näher an die Lebensräume der Reservoir-Tiere rücken, erhöhen wir das Risiko, dass deren Viren auch uns befallen.
In Luxemburg habe es bisher noch keinen Fall von Affenpocken gegeben, vermeldete das Gesundheitsministerium am 20. Mai in einer Pressemitteilung. Leider enthielt die auch einige erschreckend irreführende Aussagen. So hieß es, die Affenpocken übertrügen sich „durch sexuellen Kontakt“. Außerdem: Menschen mit mehreren Sexualpartner*innen und Männer, die Sex mit Männern (MSM) hätten, seien besonders gefährdet. Eine gefährliche Mischung aus Information, Spekulation und Halbwahrheiten.
Ob sich die Affenpocken wirklich sexuell übertragen, wird noch erforscht. Klar ist, dass beim Sex die bekannten Übertragungswege – Tröpfcheninfektion und Kontakt mit Hautveränderungen – vorkommen können. Das Merkmal einer sexuell übertragbaren Infektion ist jedoch, dass Geschlechtsverkehr der Hauptvektor ist. Um klar anzusprechen, was beim Thema MSM und Sex in vielen Köpfen herumschwirrt: Affenpocken und Analsex haben so viel miteinander zu tun wie Influenza und Missionarsstellung. Natürlich kann man die Grippe auch beim Sex erwischen, der häufigste Übertragungsweg ist jedoch ein anderer.
Im Moment sind viele MSM betroffen, weil es zwei Cluster auf einschlägigen Veranstaltungen in Europa gab. Auf Fetisch-Festivals und Prides gibt es viel Nähe, Sex muss überhaupt keine Rolle gespielt haben. Der Grund, warum das Risiko für MSM aktuell höher ist, hat mit Gruppendynamiken und nicht mit ihrer sexuellen Orientierung zu tun. Manche Gesundheitsbehörden, zum Beispiel das US-amerikanische CDC, kommunizieren dies eindeutig. Die WHO warnt ausdrücklich vor einer Stigmatisierung.
Die HIV/Aids-Krise hat gezeigt, was Stigmatisierung anrichten kann, sowohl sozial als auch gesundheitlich. Wir brauchen keine neue Welle des Hasses gegen homo- und bisexuelle Männer. Es wäre auch fatal, wenn die Affenpocken sich weiter verbreiteten, weil Infektionen aus Angst vor sozialen Konsequenzen versteckt würden. In den ersten Tagen und Wochen eines Ausbruchs ist klare Kommunikation seitens der Behörden enorm wichtig, das wissen wir spätestens seit Covid-19. Es ist unverantwortlich, wie das luxemburgische Gesundheitsministerium kommuniziert und dabei die Stigmatisierung queerer Menschen mit in Kauf nimmt. Bald ist wieder Pride Month und überall werden Regenbogenfahnen wehen. Sollte die Luxemburger Regierung darin mehr als Symbolpolitik sehen, täte sie gut daran, ihre Kommunikation zu den Affenpocken zu überdenken.