Kultur soll in Luxemburg künftig für alle zugänglicher werden. Bei den „Assises culturelles“ standen Inklusion und Barriereabbau im Fokus.

Die Förderung kultureller Inklusion erklärte Kulturminister Eric Thill vergangenes Jahr zu seiner persönlichen Priorität. Bei den „Assises culturelles“ stand das Thema nun wieder im Mittelpunkt. (Foto: Ministère de la culture, Veronique Kolber)
„Danke, dass ihr heute morgen bis nach Ettelbruck gekommen seid“, begrüßte die Schauspielerin Marianne Bourg vergangene Woche das Publikum zu Beginn der „Assises culturelles“ im „Centre des arts pluriels Ettelbruck“ (Cape). „Ich komme aus der Stadt – die Fahrt war ziemlich lang“, lachte die Moderatorin. Mit dieser Bemerkung, ungeachtet ihrer auflockernden Wirkung, verwies Bourg auch gleich auf eine der Herausforderungen des Luxemburger Kultursektors: die weitere Stärkung des kulturellen Lebens außerhalb der Hauptstadt. Denn zurzeit steht Luxemburg-Stadt, was das kulturelle Angebot angeht, nach wie vor im Mittelpunkt, während andere Regionen – insbesondere der Norden – eine untergeordnete Rolle spielen. Auf diesen Sachverhalt machte schon eine vor Kurzem veröffentlichte Ilres-Studie über das kulturelle Leben in Luxemburg aufmerksam (siehe woxx 1838). Ebendiese Studie wurde während der im Zweijahrestakt stattfindenden „Assises culturelles“ noch einmal vorgestellt.
Im Mittelpunkt der Informations- und Austauschveranstaltung stand die Frage, wie der Zugang zu Kultur für alle verbessert werden kann – ein besonderes Anliegen von Kulturminister Eric Thill (DP). Vergangenes Jahr hatte er während des Workshops „Les publics de la culture“ (siehe woxx 1794) bereits davon gesprochen, Kultur und Publikum näher zusammenbringen zu wollen. Bildung, sozialer Hintergrund und finanzielle Ressourcen dürften sich nicht auf den Zugang zu Kultur auswirken, hatte er betont.
Im Rahmen der diesjährigen „Assises culturelles“ stellte Eric Thill einen Aktionsplan für kulturelle Inklusion vor, der gemeinsam mit Akteur*innen aus der Kulturszene weiter ausgearbeitet werden soll. Ziel dabei ist es, soziale, geografische, physische und symbolische Barrieren abzubauen. Demgemäß soll Kultur als Instrument für gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert werden. Dies bedeutet auch, dass Menschen jeden Alters die Möglichkeit zu kultureller Bildung und Einbindung zuteilwerden soll. Bei der Dezentralisierung der kulturellen Angebote gebe es Nachholbedarf, gab Eric Thill zu. Auch müsse die Vermittlung der Angebote verbessert werden. Luxemburg solle zudem seine Sogwirkung für ausländische Tourist*innen mit einem attraktiven Kulturangebot verstärken.
„Ein barrierefreier Zugang zur Kultur dient dem Wohlbefinden der Gesellschaft“, erklärte Ameer Shaheed, Forscher und Projektmanager bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Etliche Studien hätten bewiesen, dass Kunst der Prävention von psychischen Krankheiten diene. Anders als andere Mittel könne Kunst sowohl leicht erkrankten Menschen als auch Patient*innen in der Palliativversorgung Linderung schenken.
Mit seinem Vortrag machte der Mitarbeiter der WHO auf einen wichtigen Umstand aufmerksam: Künstler*innen leisten einen bedeutenden gesellschaftlichen Dienst. Doch wer kümmert sich um die Kunstschaffenden? Eine Teilnehmerin sprach die Pflege der mentalen Gesundheit der Künstler*innen an. Dieses Thema komme quasi bei jeder Diskussionsrunde auf, so Shaheed. Kulturschaffende und Pflegepersonal litten oft an Burn-out, ihre gesundheitliche Belastung müsse man stärker in den Fokus rücken.
Expert*innen kommen zu Wort
Im Cape wurden auch innovative Projekte vorgestellt, die dem Abbau von Hürden dienen. So bringt die Tänzerin und Choreografin Elisabeth Schilling mit ihrem Projekt „Mat Iech“ zum Beispiel zeitgenössischen Tanz zu Menschen, die wegen Sprachbarrieren, ihrem Alter, ihrem gesundheitlichen Zustand oder auch sozialen Faktoren keinen Zugang zu dieser Kunstform haben. „Tanz gehört überall hin – in Theaterhäuser, in Museen, in Seniorenheime, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, in urbane und ländliche Räume“, bekräftigte Schilling.
Die Philologin Sandy Artuso und die Soziologin Enrica Pianaro des „Laboratoire d’études queer, sur le genre et les féminismes“ (LEQGF) stellten „Queer Possibilities – Queering the Museum“ vor. Dabei handelt es sich um ein Projekt, das kulturellen Institutionen hilft, ihr Angebot so zu gestalten, dass auch queere Menschen sich willkommen fühlen (siehe woxx 1773). Des Weiteren wurde über die physische Barrierefreiheit kultureller Räume gesprochen. Die Architektin Tatiana Fabeck gewährte interessante Einblicke in die Renovierungsarbeiten des „Schloss Koerich“, durch die das Kulturerbe in einen modernen und zugänglichen Veranstaltungsort verwandelt wurde. Nun finden dort unter anderem Konzerte, Lesungen und Märkte statt, die auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind.
Einen Blick in die Vergangenheit, in der die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern noch um einiges stärker als heute ausgeprägt war, lieferte Réjane Nennig, Leiterin des „Service culturel“ der Stadt Differdingen. Sie zeigte Schwarz-Weiß-Fotos von lokalen Chören und Musikkapellen, auf denen vor allem Männer in die Kamera lächeln. „Kunst war eben bis vor Kurzem eine Männersache“, sagte sie. Als sie gleich darauf bemerkte, dass erst 1978 die erste Frau in den Differdinger Musikverein aufgenommen worden sei, ging ein Raunen durch das Auditorium.
Marie-Paule Jungblut, Forschungs- und Entwicklungsspezialistin der Uni Luxemburg, lieferte zum Schluss noch Einsichten in ihre Arbeit mit Geschichtsstudent*innen, die sie in das Stadtviertel Cents schickte, um Spuren des nationalen Kulturerbes ausfindig zu machen. Das Projekt zielte darauf ab, das kritische Denken über Raum, Erinnerung und Macht zu fördern.
Kritische Anmerkungen kamen aus dem Publikum. Einige Anwesende wiesen darauf hin, dass Künstler*innen sich um Repräsentation, Einkommen und Gesundheit sorgten. Ein weiterer Kritikpunkt eines Teilnehmers betraf die unzureichende Berücksichtigung sozioökonomischer Unterschiede in der Ilres-Studie.
Allgemein verdeutlichten die Redebeiträge der Expert*innen, dass sich hinsichtlich der kulturellen Inklusion schon einiges in Luxemburg getan hat. Sie gaben interessante Denkanstöße und legten gleichzeitig mehrmals den Finger in die Wunde – oder besser gesagt: die Wunden. Sie gilt es in den nächsten Jahren angemessen zu verarzten. Wer weiß, vielleicht finden die nächsten „Assises culturelles“ wieder im Norden statt?
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