Auf arte.tv: Freie Liebe

Die Comic-Miniserie „Freie Liebe“ räumt mit Mythen um blaues Menstruationsblut und die Vorteile von Sperma auf. Sie zelebriert die weibliche Lust. Dabei konzentriert sie sich leider fast ausschließlich auf heterosexuelle Perspektiven.

In „Freie Liebe“ geht es vor allem um eins: Was heterosexuelle Männer Frauen abverlangen und warum das absoluter Schwachsinn ist. (Quelle: arte.tv/Screenshot „Freie Liebe“)

Sperma schmeckt nach abgestandener Milch mit Spargel-Sud – das behauptet die Erzählerin der Comic-Miniserie „Freie Liebe“ auf Arte. Die Produzentinnen Ovidie und Sophie-Marie Larrouy setzen sich in der ersten von zehn Folgen nicht nur mit dem Geschmack der „Sexsahne“ auseinander, sondern auch mit der Frage nach ihren gesundheitlichen Vorteilen.

Während Sahne aus Kuhmilch im Verdacht steht, auf die Hüften zu schlagen, soll Sperma gegen Depressionen und Falten wirken. Die Protagonistinnen der Serie halten gegen: Warum gibt es denn dann Milch- aber keine Spermapumpen in der Apotheke? Warum schmieren sich Männer keine Spermamasken ins Gesicht? Die Produzentinnen decken in vier Minuten auf, was hinter der Verherrlichung des Spermas steckt: männliche Macht und die Unterdrückung der Frau. Während die männliche Ejakulation vor allem in Pornos zelebriert werde, begegne man der Scheidenflüssigkeit oder dem Menstruationsblut mit Ablehnung, Ekel oder Leugnung. Das Menstruationsblut werde in der Werbung für Hygieneartikel oft als blaues Gel abgebildet. Beim Dreh von Pornos führe sein Austritt zu Drehabbrüchen. Feministische Künstlerinnen der 1970er-Jahre hätten diese Missstände in ihren Werken angeprangert.

Der Penis werde hingegen gefeiert. Meistens ungefragt, wie die Folge „Überall nur Schwänze“ zeigt. Hier geht es unter anderem um das Verschicken von Penisbildern, die niemand haben will. Die Erzählerin verweist auf eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2016: Von den 5.500 befragten Singles gab die Hälfte der Frauen an, schon einmal unverlangt „Dick Pics“ erhalten zu haben. Die Hälfte der männlichen Singles gestand, sie zu verschicken. Zum Senden von Vulvafotos gebe es, so die Erzählerin, keine Studie, da dieses Phänomen selten vorkomme.

Die meisten Folgen von „Freie Liebe“ zerlegen also die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen. Immer mit Humor und aus der Sicht der hetero- oder bisexuellen Frau. In nur wenigen Episoden geht es um homosexuelle oder queere Themen – und wenn, dann nur um erneut die Unterschiede zwischen Männern und Frauen darzustellen.

In „I kissed a girl and I liked it“ kommt die Vermarktung weiblicher Bisexualität zur Sprache. Reine Heterosexualität sei inzwischen ein Fashion-Fehltritt, heißt es. Die Bisexualität von Frauen sei gesellschaftlich allerdings auch nur dann akzeptiert, „wenn ein Mann in der Nähe ist, der sich einen runterholen kann“. Bisexuelle Männer seien nach wie vor verpönt und wenige männliche Pornodarsteller dazu bereit, homosexuelle Szenen zu drehen – im Gegensatz zu ihren Kolleginnen. Die besagte Folge schließt mit der Aussage, dass jede*r seine sexuelle Orientierung frei von Diskriminierung ausleben solle. Das gelte auch für Heterosexuelle, deren Begehren nicht gleich prüde sei.

Eine weitere Folge, in der Homosexualität eine Rolle spielt, ist „Mein kleines Arschloch“. Darin steht Analsex im Mittelpunkt: Einerseits die gesellschaftliche Ablehnung und die Praktizierung im Verborgenen, andererseits die Assoziation mit schwulem Sex und Frauen als passiven Lustobjekten. Die Erzählerin gibt an, die wenigsten heterosexuellen Männer seien offen für Analsex. Schwule Paare müssten sich dafür die Frage gefallen lassen, wer den weiblichen Part in der Beziehung übernehme – sprich, wer beim Sex penetriert werde. Klischees, die die Produzentinnen der Serie ablehnen. Genauso wie festgefahrene Meinungen zu Schamhaaren bei Frauen.

„Die Haarentfernung dient dazu, die Männer zu beruhigen“, betont die Erzählerin. „Behaarung ist nämlich etwas Männliches.“ Die Produzentinnen sprechen hier die Sexualisierung und die verzerrte Vorstellung eines makellosen Frauenkörpers an, ähnlich wie in „Süße Versuchung“. Wenn es um Haarentfernung geht, haben die Produzentinnen eine klare Mitteilung: „Das Leben ist zu kurz, um sich die Möse zu rasieren.“ Diesen Spruch sprayt eine Figur am Ende der besagten Folge an eine Häuserwand.

In einem Interview mit der Tageszeitung „Le Parisien“ sagt Ovidie zum Inhalt der Serie: „Bien sûr que les hommes subissent des pressions sociales sur les performances (…). Mais celles que subit la femme sont plus intrusives dans le corps, plus douloureuses et permanentes. En matière de sexualité, il y a un vrai déséquilibre, des habitudes ancrées qui font que la femme fait passer son propre plaisir au second plan.“ Ihre Mitproduzentin Sophie-Marie Larrouy erinnert in demselben Artikel daran, dass Frauen sich nicht gegenseitig bekämpfen sollten, auch wenn die patriarchale Gesellschaft den Neid nähre.

Umso wichtiger wäre es gewesen, lesbische Beziehungen in die Serie einzubinden und die Belange von trans Frauen anzusprechen. Die Produzentinnen betonen in der Serie mehrmals, dass Begehren im Einverständnis und möglichst frei von gesellschaftlichen Normen ausgelebt werden soll – und doch fehlt es der Serie an Diversität. Das macht sich auch bei der Darstellung der männlichen Charaktere bemerkbar: Schwule und bisexuelle Männer tauchen in zwei Folgen kurz auf, trans Männer gar nicht. So lassen sich Vorurteile und Geschlechterklischees nicht dekonstruieren.

Das mag Meckern auf hohem Niveau sein – immerhin ist die Serie amüsant, erfrischend gestaltet und gibt Einblicke in feministische Belange –, doch wer sich offen gibt und die freie Liebe preist, sollte in Sachen Sexualität über die Grenzen heterosexuellen Begehrens hinausdenken.

Auf Arte.tv

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