Backcover: Jana Hrivniakova

Im September gestaltet Jana Hrivniakova die Rückseiten der woxx. Im Interview teilt sie ihre Faszination für Wirtschaftswissenschaften und Zeit.

In ihrer Backcover-Serie dreht sich alles um Zeit: Jana Hrivniakova. (Copyright: Jana Hrivniakova)

woxx: Jana, Sie sind nicht nur Künstlerin, sondern auch Wirtschaftstheoretikerin und Coach für Menschen in schwierigen Lebenslagen. Inwiefern bereichern sich diese Aktivitäten gegenseitig?


Jana Hrivniakova: Ich habe die Verknüpfung zwischen Kunst und Coachen bewusst gesucht. Momentan hilft mir die Kunst, Fragen meiner Klient*innen zu verbildlichen. Als Coach lege ich großen Wert auf aktives Zuhören und versuche später in Metaphern wiederzugeben, was ich heraushöre. Dies hilft dabei, die Themen aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Darüber hinaus nutze ich beim Coachen Materialien wie Papier und Farbe. Gefühle lassen sich so oft besser ausdrücken; eine taktile Herangehensweise erweist sich ebenfalls als hilfreich.

Sind alle Ihre Klient*innen offen dafür?


Ich zwinge sie natürlich nicht, diese Übungen auszuprobieren. Viele sind jedoch bereit dazu und erstaunt, was sie durch Kunst erfahren und wiederentdecken können. In der Kindheit malen wir alle, ohne uns über die Qualität der Zeichnungen den Kopf zu zerbrechen. Mit den Jahren geht dies verloren und viele halten sich damit zurück, weil sie ihre Fähigkeiten bewerten. Dabei macht es Spaß, wie willkürlich Malerei sein kann, wie verspielt. Wenn Sie einen großen Farbklecks aufs Papier bringen, warum dann nicht darüber reden?

Warum coachen Sie, statt Kunsttherapie anzubieten?


Ich nehme meinen Klient*innen die Entscheidungen nicht ab, denn ich bin keine Mentorin – das wäre mir zu bevormundend. Ich möchte auch keine Diagnosen stellen. Ich bevorzuge das Coachen, weil es irgendwo dazwischen liegt und ich die Menschen bei ihrer Suche nach Antworten begleiten kann.

Nebenbei haben Sie im Juli im Zuge der Impact Days das Projekt Artisan Hub präsentiert: ein Atelier für Künstler*innen. Was genau steckt dahinter?


Ich finde es schade, dass in vielen Gemeinden Wert auf Sportplätze und Fitnessparcours im Freien gelegt wird, nicht aber auf Treffpunkte für Künstler*innen. Damit meine ich keine Orte für etablierte Künstler*innen, sondern Räume, in denen alle, die sich gern künstlerisch betätigen, einfinden können.

Um gemeinsam Kunst zu schaffen?


Zum Beispiel, oder um Material auszutauschen beziehungsweise gemeinsam zu nutzen. Ich selbst kann mir kein Atelier leisten und nutze derzeit meine Küche zum Malen – wenn ich keinen Besuch erwarte. Der Artisan Hub soll dem entgegenwirken. Es ist doch traurig, dass zahlreiche kommunale Kulturzentren die meiste Zeit ungenutzt sind, wenn sie als Gemeinschafts-
ateliers verwendet werden könnten!

„Wie oft denken wir, dass etwas ewig hält? Dabei läuft von Anfang an die Sanduhr mit.“

Wie läuft das Projekt bisher?


Ich bin im Gespräch mit unterschiedlichen Akteur*innen und hoffe der Gemeinde Walferdingen, in der ich lebe, bald ein Pilotprojekt präsentieren zu können.

Hier kommt Ihnen vermutlich Ihre Ausbildung als Wirtschaftstheoretikerin aus praktischen Gründen zugute, doch was für eine Rolle spielt das Studium in Ihrer künstlerischen Arbeit?


Es hat mich vor allem gelehrt, Wissenschaften und Disziplinen miteinander zu verknüpfen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Einer meiner Professoren der Wirtschaftstheorie hat im Unterricht beispielsweise Religion und Wirtschaft thematisiert. Ich selbst hätte keine Steuererklärung schreiben können, war dafür aber in der Lage, die Theorien dahinter zu erklären. Um auf die Verbindung zu meiner Kunst zurückzukommen: Diese Denkweise schlägt sich dort nieder, indem ich aus verschiedensten Bereichen schöpfe, etwa der Physik oder der Philosophie.

Gilt dasselbe für Lebensfragen?


Wirtschaft hat meiner Meinung nach einiges mit dem Leben gemein, ähnlich wie Physik, die Mutter aller Wissenschaften. Wir verstehen inzwischen grob, wie das Universum funktioniert, doch etliche Details sind noch offen. Wir können uns demnach über nur wenige Dinge wirklich sicher sein und das fasziniert mich.

Beschäftigen Sie sich deswegen in Ihrer Kunst auch mit mentaler Gesundheit und Vergänglichkeit?


Der Versuch, mentale Gesundheit zu beschreiben, kommt nah an die Physik heran. Ich störe mich daran, wenn Menschen schnell diagnostiziert und kategorisiert werden, als seien sie eine Maschine, in der sich Fehlfunktionen oder Ähnliches klar benennen ließen. Ich begreife mentale Gesundheit wie das Universum: Es gibt schwarze Löcher, verschiedene Geschwindigkeiten und Kräfte, die interagieren …

Und was hat es mit Vergänglichkeit auf sich?


Zeit passt auch gut zum Thema: Wir wissen aus der Physik, dass Zeit sich je nach Schwerkraft verändert, unterschiedliche Geschwindigkeiten und Sphären hat … Aber was wäre die Welt ohne Zeit? Und gab es Zeit vor dem großen Big Bang? Wissenschaften erlauben es, solch komplexe Fragen auf eine möglichst klare, einfache Formel herunterzubrechen, die gerade genug Informationen liefert, um Erkenntnisse zu vermitteln. Auch wenn diese nicht komplett sind.

Ist Zeit aufgrund dieser Komplexität Thema Ihrer Serie in der woxx?


Wir können Zeit als wirtschaftliches Element, als Ware betrachten: Wir alle erhalten pro Leben eine gewisse Menge davon. Manche nur ein paar Stunden, andere mehrere Jahre. Unverändert bleibt, dass wir nur dieses eine Zeitpaket zur Verfügung haben. Wenn wir Zeit aus dieser Perspektive betrachten, kommt die Frage auf: Wie geben wir sie aus?

Daher kommt die detaillierte Rechnung für den Zeitkonsum auf einem der Cover, oder?


Ja! Dabei hat mich auch das Buch „Sum“ von David Eagleman inspiriert. Der Autor erzählt darin Geschichten über das Leben nach dem Tod. Was für eine Summe ergibt sich aus unserem Leben? Würden wir unsere Perspektive auf das Leben ändern, wenn wir sie kennen würden? Mit dem Gedanken im Hinterkopf habe ich diese fiktive Rechnung erstellt. Ich bin sicher, dass es einschlägige Studien dazu gibt, womit wir wie viel Zeit verbringen, doch in dieser Arbeit höre ich auf mein Bauchgefühl.

Warum schenken Sie dann der puren Freude nur wenige Minuten?


Ich hoffe, dass es in Wirklichkeit mehr ist, als ich in der woxx in Rechnung gestellt habe. Spaß beiseite: Erinnern Sie sich, wann Sie das letzte Mal absolut glücklich waren? Diese Momente gleiten uns so schnell aus den Händen, sie sind selten. Manchmal müssen wir besonders aufmerksam sein, um sie überhaupt wahrzunehmen.

Was für eine Geschichte verbirgt sich also hinter Ihrer Serie?


Es ist eine persönliche Angelegenheit: Ein sehr enger Freund, der nicht mehr unter uns ist, hat mir vor Jahren ein Buch über Zeit geschenkt. Es ging darum, dass Zeit eine Illusion ist. Wir haben viel darüber diskutiert, auch über physikalische und philosophische Ansätze. Zeit ist mysteriös. Auf dem Cover „Time Is Almost Out Of Us“ thematisiere ich auch das Ende von intimen Beziehungen: Wie oft denken wir, dass etwas ewig hält? Dabei läuft von Anfang an die Sanduhr mit.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.