Backcover-Serie: Aleksandra Ratkovic

In ihrer Backcover-Serie „More than Meets the Eye‟ porträtiert die Künstlerin Aleksandra Ratkovic Menschen mit einer Behinderung. Im Interview erläutert sie, was sich ändern muss, damit visuelle Kunst inklusiver wird.

Zusammen mit zwölf anderen Künstler*innen stellte Aleksandra Ratkovic Anfang Oktober ihre neueste Porträtserie im Kulturhaus Kopstal aus. Im November ist die Serie auf unseren Backcover zu entdecken. (Copyright: Aleksandra Ratkovic)

woxx: Aleksandra, Sie haben fünf Jahre lang als Behindertenbetreuerin in der „Cooperative Mensch‟ in Berlin gearbeitet. Wie haben Sie mit der Arbeit angefangen?

Aleksandra Ratkovic: In meiner Klasse auf der Universität gab es eine andere Studentin, die die Arbeit jahrelang gemacht hat und mir davon erzählt hat. Ich war sofort interessiert. Meine Aufgaben bestanden darin, den Menschen, die in der Cooperative betreut wohnen, zu assistieren, morgens aus dem Bett zu kommen, für sie zu kochen, mit ihnen Sachen zu unternehmen … In den Jahren, in denen ich dort gearbeitet habe, habe ich viel über Geduld und Kommunikation gelernt. Ich bin mir meiner eigenen gesundheitlichen und körperlichen Privilegien besser bewusst geworden. Leider musste ich wegen der Arbeitsbedingungen ‒ der frühen Uhrzeiten und der körperlichen Anstrengung ‒ aufhören, obwohl ich sehr gerne mit den Leuten gearbeitet habe. Mit den Personen, die ich betreut habe, habe ich Beziehungen aufgebaut und stehe immer noch in Kontakt mit ihnen.

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Porträtserie von Menschen mit einer Behinderung zu machen?

Ich war gerade von Berlin zurück nach Luxemburg umgezogen. Ehe ich mit der Arbeit als Betreuerin aufgehört habe, ist mir aufgefallen, dass ich das Thema Behinderung nie in meiner Kunst aufgegriffen habe ‒ obwohl ich jahrelang in der Cooperative gearbeitet habe. Als erstes habe ich deshalb Dirk und Nebo gemalt, zwei Personen, die ich betreut habe. Ich wollte sie so repräsentieren, dass die Porträts an klassische Aktdarstellungen erinnern. Ziel der Serie ist es, die Stigmatisierung von Personen, die mit einer Behinderung leben, etwas aufzulösen. Ich gebe neben den Bildern ihren eigenen Aussagen Platz. Wie ist es, mit einer Behinderung zu leben? Wie reagiert die Gesellschaft? Als Künstlerin, die nicht selbst behindert ist, ist mir wichtig, ihre eigenen Stimmen und Geschichten darzustellen.

Ihre Serie umfasst fünf Personen. Wie haben Sie die anderen drei kennengelernt?

Durch Kontakte: Matteo kannte ich von früher, auch wenn ich ihn zehn Jahre lang nicht gesehen hatte. Als ich von Berlin zurückkam und nach anderen Personen für meine Serie gesucht habe, hat mir meine Mutter erzählt, Matteo habe eine Behinderung am Fuß. Ich wusste das gar nicht. Als ich ihm von meiner Serie erzählt habe, war er sofort begeistert und hatte die Idee, einen Schuh anzuziehen und den anderen nackt zu zeigen. Damit man im Bild später sieht, dass man ihm seine Behinderung nicht ansieht, wenn er seine Schuhe anhat. Imma kannte ich, weil sie die Mutter einer meiner besten Freundinnen ist. Vor acht Jahren hatte sie einen Verkehrsunfall und hat ein Bein verloren. Allgemein redet sie sehr offen über den Vorfall und ist eine Kämpfernatur. Auch sie war sofort begeistert von der Serie. Der letzte, Choaco, ist selbst Künstler. Er schreibt Gedichte und macht Musik. Unter anderem hat er ein Lied komponiert, das „Gleichberechtigung“ heißt. Das habe ich in Form eines QR-Codes auf seinem Backcover eingefügt. Im Grunde habe ich mit verschiedenen Personen über meine Serie gesprochen und gemerkt, wie viele Menschen mit einer Behinderung ich eigentlich kenne. Die Serie will ich deshalb auch weiterführen.

Mit allen Porträtierten haben Sie vor dem Malen Gespräche geführt. Was ist dabei herausgekommen?

Sowohl Imma als auch Matteo sagten, dass ihre Behinderung für beide vor allem wichtig wird, wenn die Gesellschaft oder ihr Umfeld ein Thema daraus macht. Das ist interessant. Imma hat mir erzählt, sie fühle sich seit ihrem Unfall nicht mehr oder weniger schön. Das fand ich interessant: Ihre Behinderung, die visuell zu sehen ist, behindert ihr Selbstwertgefühl nicht. Bei Matteo ist es so, dass man ihm seine Behinderung nicht ansieht. Er spielt Tischtennis, viele von den Personen, mit denen er spielt, wissen nicht, dass er eine Behinderung hat. Dies zeigt, inwiefern wir wirklich nur ein bestimmtes Bild von Behinderung haben. Dabei gibt es sehr viele Personen mit einer Behinderung, weltweit sind es rund 16 Prozent der Bevölkerung. Doch viele Leute verstecken sie, aus Angst, in ihrem Potenzial unterschätzt oder unangemessenen Reaktionen ausgesetzt zu werden.

Was ist beispielsweise eine unangemessene Reaktion?

(Copyright: Samantha Wilvert)

Etwa, wenn man einer Person ungefragt hilft. Da müssten Leute besser aufgeklärt werden. Denn viele Leute denken sofort, das Gegenüber sei hilfsbedürftig, wenn sie eine Person mit Behinderung sehen. Manchmal greifen Leute deshalb auch einfach ein: Schieben eine Person, die im Rollstuhl sitzt, einfach mit, ohne darum gebeten worden zu sein. Oder nehmen einer Person die Gabel aus der Hand und füttern sie, weil sie in ihren Augen zu langsam isst. Bei diesen Eingriffen geht es um Konsens. Man sollte nie ohne zu fragen eingreifen, nur weil man das Gefühl hat, die Person brauche „Hilfe‟.

Ihre Serie trägt den Titel „More than Meets the Eye‟: Gab es während Ihrer Arbeit Momente, in denen Sie selbst etwas Neues gelernt haben?

Ja, die Ölmalerei ist noch neu für mich und ich war erstaunt darüber, wie einfach es sich anfühlte. Vorher habe ich nur abstrakte Bilder gemalt. Doch bei diesen figurativen Porträts fühlte ich mich interessanterweise nicht gestresst. Ich habe das Malen genossen und war neugierig darauf, inwiefern die einzelnen Bilder schon einen eigenen Stil aufzeigen. Eine Inspiration für mich ist die Künstlerin Jordan Casteel, die eine perfekte Mischung von fotorealistischen und abstrahierten Porträts macht. Das finde ich gerade so interessant an der Malerei: wenn ein Bild einer Fotografie ähnelt, jedoch gleichzeitig ein gewisses künstlerisches Etwas hat.

Inwiefern lässt sich abstraktes Malen mit figurativem vergleichen?

Abstrakte Malerei bringt eine andere Herangehensweise mit sich. Ich male intuitiv, höre dabei Musik, und liebe es, mich auf die optischen Illusionen und die Farben zu konzentrieren. Während des Malens merke ich, wie ich in eine Art Tunnel falle, in dem ich das darstelle, was ich höre. Während abstrakt Kunst intuitiv ist, ist figurative Malerei eher eine Herausforderung, ich setze mich mit der Frage, was ich überhaupt kann, auseinander. Was mir auch aufgefallen ist, ist, dass abstrakte Kunst eine ganz andere Gruppe von Menschen anspricht. Seit ich mit meiner figurativen Serie angefangen habe, höre ich manchmal Kommentare wie „Da sieht man, wer malen kann.‟ Für die meisten Personen ist figurative Malerei ansprechender. Das ist nicht der Grund, warum ich mit meiner Serie angefangen habe, aber es war eine interessante Beobachtung.

Wie sehen Sie Ihre Serie im Kontext der traditionellen Ölmalerei, die meist nur konventionell schöne Körper ‒ oft weibliche ‒ darstellt, dabei aber auch stereotypisch und objektifizierend vorangeht?

Die meisten Ölgemälde stellen Frauen dar, das stimmt. Ich selbst male normalerweise auch eher Frauen ‒ vor dieser Ölserie habe ich eine Porträt- serie von Frauen gemacht. In der aktuellen sind es bisher hauptsächlich Männer. Ich glaube nicht, dass ich aktiv nur nach Männern gesucht habe, das hat sich einfach so ergeben. Doch wie bei den Frauen, die ich nicht pornografisch darstellen will, geht es in meiner Serie darum, Personen mit einer Behinderung nicht als hilflos darzustellen. In der Kunst fehlt es leider an dieser Repräsentation. Wenn es sie gibt, dann ist sie meist voller Stereotypen. Das ist eine Parallele, die man zwischen Frauen und Menschen mit einer Behinderung ziehen könnte.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach immer noch diesen Mangel an diverseren Körpern in der Kunst?

Ich denken, es liegt daran, dass wir von schönen Sachen angesprochen werden ‒ dementsprechend, was schön für jeden bedeutet. Generell werden deshalb vor allem Personen dargestellt, die unseren gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechen. Ein weiterer Grund ist, glaube ich, dass viele Personen keine Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung haben. Würden Behinderungen mehr thematisiert, kämen sie wahrscheinlich auch öfters in künstlerischen Werken vor. Für uns Menschen ist die visuelle Wahrnehmung von überragender Bedeutung und es ist deshalb leider auch normal, dass wir in Systemen und Stereotypen denken. Den meisten Künstlern fehlt es an diesen Berührungspunkten, weshalb sie nicht auf die Idee kommen, solche Personen darzustellen, oder sie anders darzustellen.

Über die Künstlerin

Nach einem Studium in Berlin zog Ratkovic Mitte 2024 zurück nach Luxemburg. Die gelernte Grafikdesignerin wechselte nach einigen schlechten Erfahrungen in einer Agentur über zur Kunst und arbeitet nun mit einer Vielfältigkeit von Techniken ‒ von abstrakten Bildern und interaktiven Installationen bis hin zu Ölgemälden. „Ich schätze die Freiheiten, die ich als Künstlerin habe, mehr, als die Struktur, die mir Grafikdesign bietet‟, so Ratkovic gegenüber der woxx. Während ihrer Zeit in Berlin hat sie als Betreuerin in der „Cooperative Mensch‟ mit behinderten Personen gearbeitet. Die Arbeit bildet die Basis für ihre neue Serie „More than Meets the Eye‟, die sie im November auf den Rückseiten der woxx präsentiert. Ihre Werke sind auf www.ratkovicstudio.de zu finden.


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